Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1
Jens König hat während seines Besuchs
bei Amaryllis Fox erfahren, dass
viele Männer sie das Gleiche fragen:
„Sie waren Geheimagentin bei der CIA?
Sie können mich also mit Ihrem kleinen Finger
umlegen?“ Mitarbeit: Anuschka Tomat

sie einen Krieg gegen den Islam führen.
Niemand jedoch ist gut oder böse aus sich
heraus. Wir reagieren alle auf das, was die
Welt uns bietet. Erst wenn wir unseren
Gegner nicht als unmenschliches Monster
betrachten und uns in seine Lage hinein-
versetzen, werden wir verstehen, was seine
Gewalt antreibt. Und erst dann können wir
diese Gewalt stoppen.“
Fox zieht ihr Top ein Stück herunter. Sie
zeigt auf ein Tattoo. Farsi-Schriftzeichen
laufen ihren Rücken herab. „Es sind Zeilen
aus einem Gedicht des persischen Dichters

wann es stattfand. Sie sei erstaunt gewe-
sen, wie viel er über die westliche Kultur
gewusst habe. Er habe Malcolm X zitiert
und über Kafka geredet. Sie wiederum
habe aus dem Koran zitiert, was ihn über-
rascht habe. Er habe ihr erzählt, wenn er
nachts aus dem kleinen Fenster seiner
Zelle schaue, sehe er den Oriongürtel. Das
Sternbild erinnere ihn daran, dass alle
Menschen dieselbe Wahrheit sehen, auch
wenn sie sie in verschiedene Worte klei-
den. Sie behielt während des Verhörs ihren
Hidschab auf. Sie begegnete dem Häftling

schen Geheimdienstes war. Sie hatte Angst
um Zoe. Ihr Mann Dean kämpfte derweil
mit seinem Afghanistan-Trauma. Nach
ihrer Rückkehr nach Washington ließen sie
sich scheiden.
Heute sucht Amaryllis Fox beständig
nach neuen Wegen, ihre Erfahrungen
weiterzugeben. In Flüchtlingscamps im
Nordirak arbeitet sie mit schiitischen und
sunnitischen Jugendlichen, die ihre Eltern
und Verwandten verloren haben, weil die
jeweils andere Partei sie getötet hat. In
Workshops erzählen sie sich gegenseitig

Rumi aus dem 13. Jahrhundert.“ Sie liest
laut vor: „Jenseits von richtig und falsch
gibt es einen Ort. Dort werde ich dich tref-
fen.“ Dann sagt sie: „So denke ich heute.“
Sie habe über die Jahre gelernt, dass man
mehr erreicht, wenn man Vertrauen auf-
baut, statt Gewalt anzuwenden. „Ich weiß,
eigentlich keine überraschende Erkennt-
nis“, sagt sie. Trotzdem verteidigt sie die
CIA bis heute. Sie habe dort viele moralisch
integre Mitarbeiter kennengelernt, die für
ihr Land große Opfer gebracht und viele
Terroranschläge verhindert hätten.
Sie erzählt von ihrem allerersten Ver-
hör mit einem inhaftierten Terroristen,
Mahmoud. Sie darf nicht verraten, wo und

mit Respekt. Am Ende verriet Mahmoud,
„ohne Waterboarding und ohne Folter“, wie
Fox betont, wo der Sprengstoff für den
nächsten Anschlag gelagert wurde; er war
mit dem Anschlagsziel nicht einverstan-
den, zu viele Zivilisten. Und wieder war ihr
Verständnis ein Stück gewachsen.
Fox schildert in ihrem Buch auch, wie
einsam der Alltag einer Geheimagentin ist,
wie quälend das Leben mit einer falschen
Identität. Nicht mal ihrem
Ehemann Dean, der als CIA-
Offizier im Afghanistankrieg
gekämpft hat und mit ihr nach
Shanghai gegangen ist, durfte
sie von ihren Einsätzen erzäh-
len. Jedes Gespräch eine Lüge.
Sie wurden 24 Stunden am Tag
vom chinesischen Geheim-
dienst überwacht, sogar beim
Sex. Sie sollten regelmäßigen
Sex haben, aber nicht zu häu-
fig, heißen Sex, aber nicht zu
heiß, so die Anweisung der
CIA. Die Chinesen sollten
glauben, das Ehepaar wüsste
nichts von der Überwachung.
Die Geburt ihrer Tochter Zoe
machte Fox plötzlich verletz-
lich. Sie war die erste Under-
coveragentin der CIA, die im
Einsatz ein Baby bekam. Sie
nahm es sogar mit auf ihre
Geheimmissionen. Sie wollte
ihre Tochter nicht bei der
Haushälterin zurücklassen,
weil sie wusste, dass die eine
Mitarbeiterin des chinesi-

ihre Lebensgeschichten. Sie sollen erken-
nen, dass sie den Konflikt, den schon ihre
Groß- und Urgroßeltern ausgetragen ha-
ben, nur beenden können, wenn sie sich
ihre Verletzlichkeit offenbaren. Fox will
außerdem eine Organisation gründen, die
Veteranen der US-Armee zurück in den
Irak bringt, um dort ehemaligen iraki-
schen Kämpfern zu begegnen. Sie sollen
den Feind von früher neu sehen lernen.

F


ox hat sich einen unbequemen Ort aus-
gesucht: den Platz im Leben, der keine
Gewissheiten kennt. Wo man, wenn
zwei Dinge unvereinbar erscheinen, über-
legt, ob nicht beide, aus unterschiedlichen
Perspektiven betrachtet, richtig sein kön-
nen. In den USA, wo man sich gerade nicht
mal mehr auf eine Wahrheit ver ständigen
kann, grenzt das an Provokation. Und jetzt
verfilmt Apple auch noch ihre Geschich-
te. Die Dreharbeiten zur Serie laufen be-
reits. Sendestart: 2020. In der Hauptrolle
der Amaryllis Fox: Hollywoodstar Brie
Larson.
Beim Schreiben ihres Buches, erzählt Fox
zum Abschluss des Gesprächs, habe sie
oft auf die Münze geschaut, die sie als
CIA-Trainee geschenkt bekommen hat.
Sie lag auf ihrem Schreibtisch. Plötzlich
habe sie sich daran erinnert, dass sie
die Worte, die darauf eingraviert sind,
auch auf dem alten Basar im irakischen
Erbil auf einem Medaillon entdeckt hatte.
Sie lauten: Und ihr werdet die Wahrheit
erkennen, und die Wahrheit wird euch
frei machen. 2

„Life Undercover. Als Agentin
bei der CIA“ von Amaryllis Fox,
Übersetzung: Elisabeth Liebl,
Hanserblau, 368 Seiten, 20 Euro

IM KRIEG TUN DOCH ALLE SO, ALS SEIEN SIE DIE GUTEN




Fox’ Alltag als
Undercoveragentin
war oft einsam.
2010 verließ sie
nach acht
Jahren die CIA


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