Der Stern - 24.10.2019

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FOTOS: ROY LETKEY/AFP; ALEX FUCHS/AP

Es dauerte lange, bis sie ihre wahre Iden-
tität und ihr altes Leben zurückbekam.
Erst heute darf sie über all das reden, ihre
Agententätigkeit, den Krieg, die CIA, wenn
auch nicht über Einzelheiten ihrer ge-
heimen Operationen. Sie sitzt im Garten
ihres Hauses in Los Angeles und sagt: „Bei
meinen Einsätzen da draußen habe ich vor
allem eines gelernt: Du kannst deinen
Feind nicht besiegen, ohne ihn zu verste-
hen. Du musst ihm zuhören. Wenn wir mit
dem Krieg gegen den Terror so weiterma-
chen wie bisher, dann wird er nie enden.“
Amaryllis Fox erzählt, wie schwer es
gewesen sei, ihre Furchtlosigkeit und Cool-
ness abzulegen, ihre Masken, die sie viele
Jahre lang getragen hat. Sie habe erst
wieder lernen müssen, sie selbst zu sein. In
ihrem neuen Zuhause, malerisch gelegen
im Laurel Canyon in den Bergen von Hol-
lywood, trifft man eine entspannte 39-jäh-
rige Frau, sie trägt ein schwarzes Top, eine
schwarze Hose und Sneaker. Sie erscheint
ungeschminkt zum Fotoshooting und zum
Gespräch. Ihre Haare sind noch nass vom
Duschen. Sie hat inzwischen zwei Töchter,
Zoe, 11, während ihrer Agentenzeit in
Shanghai geboren, und Bobcat, 8 Monate.
Ihr Mann verschwindet gerade ins Fitness-
studio, die Nanny ist gekommen. Fox ist
zum dritten Mal verheiratet – mit einem
Kennedy, ausgerechnet: Robert F. Kennedy
III, 34, Autor und Regisseur, vor allem
aber Enkel des früheren Senators Robert
F. Kennedy, des Bruders von JFK. Damit ist
auch Fox jetzt Mitglied des berühmten
Kennedy-Clans, was in den USA automa-
tisch Celebrity-Status und Aufmerksam-
keit bedeutet. Ihr Haus hier sei in den 20er
Jahren gebaut worden und früher eine Bar
gewesen, erwähnt sie. Es verströmt eine
selbstverständliche Kennedy-Lässigkeit.
Über ihre Zeit bei der CIA hat Amaryllis
Fox ein Buch geschrieben, das in diesen
Tagen in 13 Ländern erscheint. „Life Under-
cover“ heißt es. Es ist keine der üblichen

So-war-es-wirklich-Geschichten. Und kein
Edward Snowden, Teil zwei, keine Whistle-
blower-Abrechnung mit dem weltweiten
Abhörsystem oder der Folterpraxis des
US-Auslandsgeheimdienstes. Die CIA hat
das Manuskript vor der Veröffentlichung
genau geprüft.

F


ox erzählt einfühlsam und poetisch von
ihrer „persönlichen Reise“, wie sie es
nennt. Sie beschreibt ihre Jahre bei der
CIA als eine Geschichte wachsender Er-
kenntnis und fortlaufender Desillusionie-
rung: eine junge Frau, die den Krieg gegen
den Terror am Anfang voller Überzeugung
unterstützt und dann im Inneren des Ge-
heimdienstapparates miterleben muss,
wie ihr Land angesichts dieses Krieges
paranoid wird, wie ihre Regierung die
demokratischen Werte, in deren Namen
sie diesen Krieg führt, verrät. Ihre Zweifel,
das Richtige zu tun, wachsen.
Heute glaubt sie nicht länger an ihre
eigene Erzählung von den „Guten“ und den
„Bösen“. „Im Krieg tun doch alle so, als
seien sie die Guten“, sagt sie. „In Amerika
behaupten viele Leute, die Terroristen des
IS attackieren uns, weil sie unsere Freiheit
hassen. Im Irak sind sie davon überzeugt,
die Amerikaner werfen Bomben, weil 4

IHN ZU VERSTEHEN. DU MUSST IHM ZUHÖREN



Einwohner von
Lockerbie vor
einem Wrackteil
der Pan Am 747.
Unten: die
Ruine des World
Trade Center

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