Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1
Das Bild, das sie vom Alltag in Familien
zeichnet, dürfte vielen Menschen be-
kannt vorkommen. Nicht nur die Mieten
steigen, sondern auch die eigenen An-
sprüche. Beide Elternteile arbeiten, um
ihren Lebensstandard zu halten. Beide
kämpfen ständig gegen die
Uhr und gegen all das Un-
vorhergesehene, das die
mühsam aufgebaute All-
tagslogistik zum Einsturz
bringen kann.
Sie kämpfen aber nicht
nur mit äußeren Umstän-
den, sondern auch mit sich selbst: mit
ihrem unbedingten Willen zur Perfektion.
Mit dem schlechten Gefühl, weder Fami-
lie noch Arbeitgeber zu genügen.
Denn natürlich steckt meist auch die
Firma im Umbruch. Sie erwartet maxi-

Berlin. Die „Immanuel Erziehungs- und

Familienberatung Helmholtzplatz“ liegt


mitten im Prenzlauer Berg, wo sich viele


Besserverdienende so herrlich kommod


in der postindustriellen Moderne eingerich-


tet haben. Hier finden sich jene Codes, die


für ein Leben im lässigen Wohlstand stehen:


Saab, Altbauwohnung, Laptop-Eltern mit


Latte Macchiato auf dem Spielplatz. In der


Erziehungsberatung tritt zutage, was nicht


für den öffentlichen Blick bestimmt ist:


Zweifel, Verzagtheit und ein enormer Druck.


„Die Unsicherheit in Erziehungsfragen

hat deutlich zugenommen“, sagt Diplom-


Sozialpädagogin Cordula Klaffs, die hier


seit mehr als 20 Jahren zusammen mit


ihrer Kollegin Beatrix Solyga ratsuchenden


Eltern hilft. „Nach außen sieht alles schick


aus, aber innerhalb der Familie nehmen


die Spannungen zu.“


male Flexibilität und Mobilität. Arbeits-
verträge sind immer häufiger nur noch
befristet, die Belastung nimmt zu.
Ruhezonen zum Durchschnaufen gibt es
immer seltener – auch wegen des omni-
präsenten Smartphones, das mindestens
so viel Aufmerksamkeit for-
dert wie Partner und Kinder.
„Eltern geben diesen Druck
häufig eins zu eins an ihre
Kinder weiter. Der Stress der
Eltern wird zum Stress der
Kinder“, sagt Erziehungsbe-
raterin Klaffs. „Gleichzeitig
aber plagt die Eltern ein schlechtes Gewis-
sen, nicht mehr ausreichend für die
Kinder da zu sein. Und aus diesem schlech-
ten Gewissen wird Konfliktvermeidung. In
der kurzen Zeit, die Eltern und ihren
Kindern nach Job und Ganztagsschule 4

KLAGEN


SIND EIN


ALTER HUT


FANTASIE
Schatz, du bist ja
ein toller Astronaut.
Aber die Nudeln
wollten Mami
und Papi eigentlich
noch essen

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