Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1
FOTO: DR. JÜRGEN GEBHARDT/STERN

V


olker Hinz war ein Fotograf des
wahren Moments. Des Augen-
blicks der unverstellten Empfin-
dung, des Gesichts hinter dem
Schemen und des Seins hinterm
Schein. Er erwischte zuverlässig die
Nanosekunde der Angst, der Verzweiflung,
der Einsamkeit und des Zorns hinter der
Pore. Aber er sah auch den Moment höchs-
ten Glücks. Einmal traf sein Auge im Vor-
beifahren auf eine Parade von disneymäßig
kostümierten Tuba-Bläsern. Auf einem Hügel, irgend-
wo in Amerika. Es sah aus, als hätten sie gerade eine
kreisrunde weiße Wolke in den kitschblauen Himmel
gepustet. Göttlicher Zufall, irgendwie. Aber dafür hatte
Hinz einen Blick.
So war er, der eigentlich Flugzeugmechaniker gelernt
hatte, zum Fotografieren gekommen. Schon mit Anfang

zwanzig. Sven Simon hatte den drolligen
Typen mit dem schwarzen Wuschelhaar für
seine Agentur in Bonn entdeckt. Ihm ge-
fielen wohl die murmelrunden Augen, aus
denen einen die Neugier ansprang wie eine
abenteuerlustige schwarze Katze.
Danach lieh Hinz über fast vier Jahr-
zehnte seine Augen dem stern. Er war ein
Weltreisender in Sachen Bilder, ein Men-
schensammler. Einer, der die Gesellschaft
zeigte, wie sie sich durch alle Zeiten gab
und gibt. Ihr Mienenspiel, das Gute wie das Böse. Ihre
Moden, ihre Rituale, all die Kaspereien. In New York
ließ er sich zwar auf dem Papier nieder, aber in Wirk-
lichkeit raste er auch dort durchs Leben. Tags durch die
Straßen, nachts durch die Clubs. Wir nannten ihn
„Kugelblitz“. Er war rund und schnell und explosiv.
Er wusste um die Wirkung des hingeworfenen Witzes.

Mal ganz im Ernst
Sein Leben war
die Fotografie – und
umgekehrt

Body-Bildnis
Er hat den schlafenden Arnold im Privatflieger fotografiert und den zubeißenden Schwarzenegger beim Training. Hinz war einfach immer dabei

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