Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1
FOTO: PETER RIGAUD

etzt, wo alle von der „Klimakrise“ reden, blei-
ben die Stimmen nicht aus, die vor einer Öko-
Diktatur warnen. Vor einem Totalitarismus im
Namen des Gemeinwohls, vor drastischen
Zwängen und brutalen Einschränkungen der
bürgerlichen Freiheit. Wenn sie nur wüssten,
wie sehr sie mir aus dem Herzen sprechen! Ich schätze
die freiheitliche Demokratie über die Maßen, und mein
größtes Anliegen ist es, sie gegen jeden mutmaßlichen
Diktator, jede Gewaltherrschaft zu verteidigen.
Genau aus diesem Grund wünsche ich mir eine viel
rigorosere Klimapolitik! Ich ermuntere zum Mut zu zu-
mutbaren Verboten. Und ich appelliere an die Verant-
wortlichen, all die Vereinbarungen einzuhalten, die
Deutschland beim Pariser Klimaabkommen unter-
zeichnet hat.
Wer hier Verständnisprobleme hat, der möge ganz
schnell dazulernen. Die Betonung liegt auf „schnell“.
Denn was geschieht, wenn wir die menschengemach-
te Katastrophe durch CO 2 -bedingte Überhitzung der
Atmosphäre nicht entschieden verhindern? Wenn wir
Olaf Scholz und Co. weiterhin Pillepalle produzieren
lassen? Wenn wir das deutsche Volk glauben machen
wollen, Maßnahmen wie eine sanft reduzierte Mehr-
wehrsteuer von Bahntickets führten dazu, die unter-
schriebenen Klimaziele zügig zu erreichen? Solche
Symbolpolitik im Zeichen der Katastrophe macht mir
Angst. Denn was soll das „Klimapaket“ sein? Ein Ver-
such, mit der Luftpumpe die Windrichtung zu ändern?
Schönheitschirurgie am krebskranken Patienten?

Genau dieser fehlende Mut führt Deutschland in eine
fürchterliche Diktatur!
Man brauche in Fragen des Klimaschutzes eine ge-
wisse Sachlichkeit, fordert Sachsens Ministerpräsident
Michael Kretschmer. Und ich stimme ihm völlig zu. Wer
wäre sachlicher als die unabhängigen internationalen
Klima-Experten? Diese äußerst Sachverständigen sehen
Seeeis am Nordpol im arktischen Sommer bereits bei
zwei Grad Erderwärmung vollständig schmelzen. Groß-
städte am Meer könnten überflutet werden, die am
Äquator unbewohnbar. In Afrika südlich der Sahara
wächst kaum noch eine essbare Pflanze. Die Weltbank
sieht in den nächsten drei Jahrzehnten 140 Millionen
Menschen auf der Flucht, die Vereinten Nationen spre-
chen von einer Milliarde. Hitzetode und Tropenkrank-
heiten breiten sich nach Europa aus. Das Höllenjahr-
hundert überzieht auch Deutschland mit himmlisch
verursachten Plagen, denen kein biblischer Pharao und
auch keine moderne Gesellschaft standhalten kann.
Unter solchen Vorzeichen an den ungerührten Fort-
bestand unserer liberalen Demokratien zu glauben ist
illusorisch. Bereits eine knappe Million Geflüchtete, die
2015 nach Deutschland kamen, hat dem Rechtspopulis-
mus die braune Gruft geöffnet, Mauerbau- und Schieß-
fantasien neues Leben eingehaucht. Doch auch mit Zäu-
nen und Schusswaffen wäre nichts mehr zu machen,
wenn mehr Menschen ihre Heimatländer verlassen als
zur Völkerwanderungszeit den ganzen Erdball besiedel-
ten. Bürgerkriege auch in Europa, Genozide, Massenla-
ger und Epidemien wären die Folgen.
Den Untergang des liberal-kapitalistischen Weltim-
periums ebenso vor Augen wie die totale Zerrüttung
unserer Gesellschaft, wäre jede Bundesregierung,
völlig egal, welche Parteien regieren, zu drakonischen
Maßnahmen gezwungen. Millionen Zwangsrekrutier-
te bauen Deich um Deich höher und streichen die
Dächer unserer Häuser weiß, Milizen kontrollieren die
Straßen. Luftverkehr gibt es nicht mehr, nur noch fürs
allgegenwärtige Militär. Autofahren ist nur noch der
völlig überforderten Polizei und Feuerwehr erlaubt, der
Konsum ist längst erlahmt, der Zugang zu Rohstoffen
abgeschnitten, statt Wachstum droht der kollektive
Abstieg, die Auflösung, der Verfall.
All das ist keine Schwarzmalerei, so sehr man sich
wünschte, dass es so wäre. Es ist schlichtweg die Konse-
quenz aus Hunderten, wenn nicht Tausenden von sach-
lichen Klimastudien und Folgenabschätzungen bei einer
Erderwärmung von zwei Grad und mehr. Der einzige
Weg, die Öko-Diktatur in Zeiten eines künftigen Klima-
kriegsrechts zu verhindern, ist die schnellstmögliche
Prävention, jetzt und sofort. Mit weniger Stromver-
brauch, ohne Massentierhaltung und ohne Kreuzfahren
lässt es sich prima leben. Mit zwei Grad Erderwärmung
und total verseuchten Meeren nicht. Wer eine künftige
Öko-Diktatur verhindern will, der entscheidet sich
äußerst sachlich für die Partei mit der konsequentesten
Klima- und Umweltpolitik. Wer dagegen die künftige
Diktatur herbeiführen will, der mache bei Wahlen sein
Kreuzchen bei den Unsachlichen, die vor „Klimahyste-
rie“ warnen und zur Mäßigung aufrufen – dem sichers-
ten Weg ins Chaos und zu einer dann notgedrungen
totalitären Politik! 2

J


An dieser Stelle schreiben im wöchentlichen Wechsel unsere Kolumnisten
Luisa Neubauer, Richard David Precht, Harald Welzer und Aleida Assmann

Der 54-jährige Philosoph ist
Honorarprofessor und hat mehrere
Bestseller geschrieben

VERHINDERT


DIE ÖKO-DIKTATUR!


62 24.10.2019

KOLUMNE


AUF DEM WEG NACH MORGEN


Richard David Precht

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