Neue Zürcher Zeitung - 25.10.2019

(vip2019) #1

20 ZÜRICHUND REGION Freitag, 25. Oktober 2019


Jositsch oder Juso?


Die Zürcher SP steht nach der Wahlschlappe vomSonntag vor einem erneuten Richtungsstreit


MICHAELVON LEDEBUR,DANIEL FRITZSCHE


DreiTage hat sich die SP des Kantons
Zürich Zeit gelassen,um die Niederlage
setzen zu lassen.4,08 Prozentpunkte hat
sie amWahlsonntag eingebüsst – so viel
wie keine anderePartei. Das brutale
Verdikt derWählerinnenund Wähler
traf die Genossen ins Mark.Jene wan-
derten zuTausenden ab und billigten
der SP nur noch sieben statt neun der
Zürcher Nationalratssitze zu.
Am Mittwochabend hat die kanto-
naleParteispitze zur «Chropfleerete»
geladen.In einem waren sich die An-
wesenden einig:Das Co-Präsidium mit
Nationalrätin PriskaSeiler Graf und
Kantonsrat AndreasDaurù trifftkeine
Schuldander Kanterniederlage.Sie be-
halten ihre Ämter.Am Sonntag hatte
Seiler Graf noch deutlich gemacht, dass
nach einersolch en Schlappe diePartei-
leitung infrage gestellt sei. EinRück-
tritt sei seither aber «inkeiner Art und
Weise» an sie herangetragen worden.
An der Niederlage hat diePartei
aber nach wie vor zu knabbern. Der
eine oder andereParteistratege dürfte
einem Manöver nachtrauern, das die
SP erwogen, aber schliesslich verwor-
fen hat. Sie wollte nämlich ihren popu-
lären Ständerat und Stimmengaranten
Daniel Jositsch auch auf die National-
ratsliste setzen. Das bestätigt Seiler Graf
auf Anfrage.Diese Praxissei in anderen
Kantonen gang und gäbe,in Zürichje-
doch unerprobt. Jositsch habe seine Zu-
stimmung davon abhängig gemacht, dass
auchRuedi Noser auf der FDP-Natio-
nalratsliste figuriere. Man sei sich dann
aber nicht einig geworden.


Sozialliberalestärken


Der Verzicht auf ihre«Wahlkampfloko-
motive», wie Jositsch parteiintern gern
betitelt wird, hat die SP bei den Natio-
nalratswahlen wohl zahlreichePana-
schierstimmen gekostet.Rund 35 000
davon hatJositsch derPartei 2015 ge-
bracht.Vor vierJahren figurierten wei-
tere prominenteFiguren auf der SP-
Liste. Chantal Galladé undTim Guldi-
mann wurden ebenfalls oft panaschiert.
Hinzukommt der Mobilisierungseffekt
in den eigenenReihen.
Dass drei wichtige damaligePana-
schierstimmen-Lieferanten dem sozial-
liberalen Flügel zuzurechnen sind, lie-
fert denjenigenArgumente, die die Ur-
sache der Niederlage in derVernachläs-
sigung desrechtenParteiflügels sehen.
Entsprechend äussern sich mehrerePar-
teigrössen.Daniel Jositsch versprach am
Wahlsonntag, sich für eine Stärkung die-
ses Flügelseinzusetzen.Tatsache ist,dass


es rechten Sozialdemokraten oft gelingt,
Popularität über dieParteigrenzen hin-
aus zu erlangen. Die diesjährigePana-
schier-KöniginJacquelineBadran, die
prononciert links politisiert und weitum
bekannt ist, ist hier eher dieAusnahme
als dieRegel.
Ob eine Stärkung desrechtenPar-
teiflügels auch mit Blick auf die eigene
Wählerschaft ein Erfolgsrezept wäre,
ist eine andereFrage. Sie wird in der
Zürcher SP seit langem diskutiert und
flammt nach dem vergangenenWahl-
sonntag erneut auf.Allerdings vermit-
telt die Zürcher SP den Eindruck, vom
«rechten»Parteiflügel sei abgesehen von
Jositsch undRegierungsratMario Fehr
nicht mehr viel übrig. Ein Eindruck,
demDaniel Jositsch klar entgegentritt.
Wie bei so vielen Gremien sei es aber
auch bei derReformplattform so,dass es
letztlic h nur einige wenige seien,die sich
engagierten und öffentlich aufträten.

Das Imagevon Dissidenten


Jositsch schwebt vor, dass die soziallibe-
rale Plattform ein eigenständigerTeil
der SP wird, analog zu denJuso. Im Par-
teiprogramm erhielte sie demnach ein

Unterkapitel, und die Abweichung des
sozialliberalen Flügels in den Berei-
chenWirtschaft und Sicherheit würde
schriftlich niedergelegt. «Bisher wurde
die Plattform zu stark als Dissidenten-
bewegung wahrgenommen.»
Die Verluste, die an die Grünen gin-
gen, sind nachJositschs Einschätzung
weniger bedenklich, weil es die entspre-
chendenWanderungen zwischen SP und
Grünen immer gegeben habe und ge-
ben werde.Die AbwanderungRichtung
GLP hingegen gelte es zu stoppen. «Wir
müssen aufzeigen, dass man als Sozial-
liberalerTeil der SP sein kann.»Dass die
Diskussion nach derWahlniederlagege-
hässig werde, glaubtJositsch nicht. Die
Bereitschaft, sie zu führen, sei vorhan-
den. Es sei den meistenParteimitglie-
dern mittlerweile bewusst, dass einTeil
der SP-Wählerschaft sozialliberal einge-
stellt sei – ja, dass es der Plattform zu
verdanken sei, dass sich die Abwande-
rung vonParteiexponenten zur GLP in
engen Grenzen gehalten habe.
Während die Sozialliberalen gemäs-
sigtereTöne alsRezept für denWahl-
erfolg der Zukunft empfehlen, tönt es
vom linkenRand der SP ganzande rs.
Der Ex-Juso-Chef und wiedergewählte

NationalratFabian Molina hat einen
«Diskussionsbeitrag zu möglichen Leh-
ren aus derWahlschlappe» ins Internet
gestellt.Darin fordert er seinePartei-
freundeauf,gross zu denken. Um etwa
das Klima zurett en, müsse die heu-
tige Wirtschaftsweise «transformiert»
werden.
«Wer der Sozialdemokratie dieRolle
der gutenVerwalterin und der punktuel-
lenVerbesserungen zuschreibt, schaufelt
ihr Grab»,schreibt Molina.«Wir müssen
die sozialeFrage, die feministischeFrage
und die ökologischeFrage als einen ge-
meinsamen Kampf verstehen.» Er zeigt
sich überzeugt, in den nächsten Mona-
ten noch intensiv über die Zukunft
der Sozialdemokratie «diskutieren und
streiten» zu müssen.
Besonders vieleFedern lassen musste
die SP in ihrer Hochburg, der Stadt
Zürich. Dort tritt diePartei mit pro-
nonciertlinken Parolen undPositio-
nen auf. Minus 6 Prozentpunkte müssen
die Städter verdauen. Am Donnerstag-
abend traf sich der Stadtzürcher Partei-
vorstand zu einerAussprache.Präsident
Marco Denoth verunsichern die Ergeb-
nisse vomWahlsonntag. «Wir müssen
etwas ändern», sagt er. In zweieinhalb

Jahren stehen in Zürich bereits wieder
Stadt- und Gemeinderatswahlen an.

Sich nicht selber zerfleischen


Denoth sagt, dass man in Zukunft noch
pointierter auftreten müsse. Ein Ein-
schwenken auf einen stärker sozial-
liberalenKurs hält er für den falschen
Weg. In der Stadt seien die Stimmen
von der SP mehr oder weniger direkt
zu den Grünen gewandert.«Wir müs-
sen vielmehr unserePositionen schär-
fen – auch in der Klimapolitik», sagt
er.Auch diese Sichtweise lässt sich mit
Zahlen untermauern.Laut Peter Mo-
ser vom kantonalen statistischen Amt
büsste die SP in denjenigen Gemein-
den am meisten ein, wo die Grünen am
stärksten zulegten. Die SP dürfteWäh-
lerinnen undWähler vor allem an die
Grünen und in klar geringerem Mass
an die GLP verloren haben.
Wer setzt sich durch? Die Soziallibe-
ralen oder dieParteilinke? Der Rich-
tungsstreit dürfte, angeheizt durch die

Wahlniederlage, weiterschwelen. Die SP
hat aberkein Interessedaran, den Flü-
gelkampf öffentlich auszufechten und
sich selber zu zerfleischen. Davon zeugt
die Konstanz in derFührungsfrage. Die
kantonale Co-Parteipräsidentin Priska
Seiler Graf betont bei jeder Gelegen-
heit, in der SP habe es Platz für meh-
rere Strömungen; dasParteipräsidium
pflege beide Flügel.
Tatsächlich eskalierte der Streit zu-
letzt unter dem früheren Präsidenten,
dem inzwischen zur GLP abgewander-
ten Daniel Frei. Er war ein klarerVer-
treter desrechtenParteiflügels. Der Ein-
satz des eher linkenDaurù ausWinter-
thur und der eherrechten Seiler Graf
aus Kloten war derVersuch, denKon-
flik t zu entschärfen. In der Zürcher SP
hat offenbar kaum jemand Lust, dieses
Paket wieder aufzuschnüren.Das nützt
dem Parteifrieden.Längerfristig geht die
Harmonie aber wohl zulasten eines kla-
ren Profils.

Die Zürcher Sozialdemokraten hatten amWahltag allen Grund zum Heulen. CHRISTIAN BEUTLER / KEYSTONE

Der Einsatz des eher
linken Daurù und der
eher rechten Seiler
Graf als Co-Präsiden-
ten war derVe rsuch,
den Konflikt
zu entschärfen.

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