Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1
Ich war immer schon ein Träumer und wurde deshalb oft be-lächelt. Aber ich habe einfach weitergeträumt, nur eben ohne meinen Freunden davon zu erzählen. Es klingt ja auch leicht verrückt, wenn du als Teenager davon träumst, in der NBA zu spielen, in der besten Basketball-Liga der Welt. Nachts träume ich nicht viel. Als Kind waren Albträume für mich ein großes Thema, vielleicht fing ich deshalb an, auch die normalen Träume zu verdrängen. Um mir die Angst vor schlimmen Träumen zu nehmen, griffen meine Eltern zu Kassetten mit Hörspielen wie

TKKG

oder

Fünf Freunde,

die

Klassiker. Die haben mich gut abgelenkt. Ursprünglich war es meine Mutter, die mich zum Basketball brachte. Ich war damals acht und hatte bis dahin Fußball gespielt. Irgendwann hatte meine Mutter keinen Bock mehr, bei Regen am Spielfeldrand zu stehen. Deshalb überredete sie mich, zum Basketballtraining zu gehen. Ich stellte schnell fest, dass mir diese Sportart wesentlich leichter fiel. Sehr bald wollte ich nichts anderes mehr machen als Basketball spielen. Natürlich habe ich damals zu Dirk Nowitzki aufgesehen. Mein größtes Idol war allerdings Kevin Garnett. Der ist ein

ganz anderer Spielertyp als ich, aber ich mochte seine Intensi-tät auf dem Platz, seine Liebe zum Spiel, die totale Hingabe, die er an den Tag legte. Damit konnte ich mich identifizieren. Dass es in meinem Umfeld Leute gab, die schon früh mein Potenzial erkannten, hat mir das nötige Selbstvertrauen ver-mittelt. Obwohl ich noch so jung war, hatte ich die Aufmerk-samkeit der Chefetage meines Vereins Alba Berlin. Zu diesem Zeitpunkt war nicht absehbar, was mal aus mir werden würde, aber diese Leute gaben mir das Gefühl, dass sie mich ernst nahmen. Ich sagte mir: Wenn du jetzt nicht an dich selbst glaubst, dann enttäuschst du die. Also:

Let’s go!

Der Tag, an dem ich dann tatsächlich für die NBA ausge-wählt wurde, kommt mir vor wie gestern. Während der NBA-Drafts, dieser großen Veranstaltung in New York, bei der die Entscheidung fallen sollte, saß ich da und hoffte, dass mein Name aufgerufen wird. Das ganze Drumherum kam mir vor wie in Zeitlupe, in mir brodelte es. Ich hatte alles gegeben, nun lag die Entscheidung bei den Teams. Als die Los Angeles Lakers ihre Wahl verkündeten und mein Name fiel, bin ich emotional zusammengebrochen. Für eine Sekunde wollte ich

einfach nur weg und Zeit für mich haben, um zu begreifen, was da eben passiert war. Das war definitiv einer von diesen Momenten, in denen man weiß, dass man lebt.

»Es klingt leicht verrückt, wenn du als Teenager davon träumst, in der NBA zu spielen«


Moritz Wagner, 22, ist in Berlin geboren und Foto Christoph VoyAufgezeichnet von Nana HeymannZu hören unter http://www.zeit.de/audio
aufgewachsen. Nach einer Saison in der Bundesliga­mannschaft von Alba Berlin spielte er ab 2 015
in den USA für die University of Michigan, dann in
der Profiliga NBA für die Los Angeles Lakers.
In der kommenden Saison, die am 22. Oktober beginnt, wird er für die Washington Wizards antreten
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