Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.10.2019

(Michael S) #1

SEITE 22·SAMSTAG, 26. OKTOBER 2019·NR. 249 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Herr Wolf, der Südwesten war immer
ein Wachstumszentrum der deutschen In-
dustrie. Nun hat sich der Aufschwung
wohl verabschiedet. Wie ist die Lage?


Ich würde gerne ein freundlicheres
Bild zeichnen, aber das ginge an der
Wirklichkeit in allzu vielen Unterneh-
men vorbei. Knapp gesagt: Da ist richtig
Feuer unterm Dach. Wir befinden uns in
einer extrem schwierigen wirtschaftli-
chen Situation, weil gerade alles zusam-
menkommt. Wir müssen einen schwieri-
gen strukturellen Wandel schaffen, Stich-
worte: Digitalisierung und Elektromobili-
tät. Wir haben mittlerweile einen starken
konjunkturellen Abschwung. Und jetzt
kommen außerdem noch verschärfte Be-
lastungen durch die neue Klimaschutzge-
setzgebung dazu.


Geht Ihnen der Klimaschutz zu weit?


Nicht zu weit, aber zu oft in die falsche
Richtung. Und oft scheint Symbolpolitik
wichtiger zu sein als die Frage, wie man
damit effizient vorankommt – ohne dass
unser Industriestandort ernsten Schaden
nimmt. Natürlich ist das eine Gratwande-
rung. Aber wer ständig nur danach ruft,
Vorgaben zu verschärfen und Kosten zu
erhöhen, der muss sich schon fragen las-
sen, worauf das alles hinauslaufen soll in
einem Land, das gerade einmal 2,1 Pro-
zent des weltweiten CO 2 -Ausstoßes verur-
sacht. Und wer bitte erklärt dann den vie-
len Arbeitnehmern in der Industrie, dass
dafür jetzt leider ihre gutbezahlte Arbeit
wegfällt oder zu ausländischen Standor-
ten verlagert wird?


Wer sollte die Kosten tragen – genauer:
Wie beeinflusst die Klimaschutzpolitik
die Spielräume für Lohnerhöhungen?


Größer werdensiedadurch keinesfalls,
und auch das wird in der kommenden Ta-
rifrunde zu beachten sein. Bliebe der Zu-
sammenhang einfach ausgeblendet, wür-
den jedenfalls die Arbeitnehmer beson-
ders hart belastet, deren Arbeitsplätze we-
gen verschlechterter Kosten- und Produkti-
onsbedingungen in Gefahr geraten.


Belastet die verschärfte Klimaschutzpoli-
tik den Flächentarifvertrag?


Das ist eine starke Zuspitzung. Richtig
ist in jedem Fall: Wir spüren ohnehin ei-
nen riesigen Unmut unter unseren Mit-
gliedsunternehmen, der vielfältige Ursa-
chen hat. Das fängt an mit einer Serie
teurer Tarifabschlüsse und reicht bis zu
den vielen Belastungen, die ihnen die So-
zial- und Abgabenpolitik in den vergan-
genen Jahren schon auferlegt hat. Und
jetzt soll da in Sachen Klimaschutznoch
einmal ein Packen obendrauf kommen –
da ist einfach irgendwann die Gedulds-
grenze erreicht. Das bekommen wir
dann als Arbeitgeberverbände, die mit
der IG Metall über den nächsten Tarifab-
schluss verhandeln sollen, besonders zu
spüren.


Also weniger Klimaschutz oder Lohnver-
zicht, um den Flächentarifvertrag zu sta-
bilisieren?
Soweit es die Regierung betrifft, gibt es
da auch andere Möglichkeiten. Sie muss
eben in anderer Hinsicht endlich einmal
für Entlastung sorgen, zum Beispiel durch
eine unternehmensfreundliche Steuerpo-
litik oder echten Bürokratieabbau. Im Er-
gebnis wäre das dann auch ein Beitrag,
um die Bedingungen für eine sozialpart-
nerschaftliche Tarifpolitik zu verbessern.
Gleichzeitig muss aber auch die IG Metall
verstehen, dass sich die Bedingungen für
unsere Industrie nach vielen guten Jahren
gerade fundamental ändern, was auch für
die Tarifpolitik Folgen haben muss.

Erkennen Sie ein solches Verständnis
bei der IG Metall?
Da bin ich im Zweifel. Sie scheint noch
in einer anderen Welt zu leben. Sie redet
viel von Transformation. Ihr Vorsitzender
Jörg Hofmann hat kürzlich auf dem IG-
Metall-Gewerkschaftstag in seiner Rede
eine eindrucksvolle Analyse dazu abgelie-
fert. Aber leider folgen daraus bisher kei-
ne Lösungsvorschläge.

Die IG Metall fordert ein neues „Trans-
formationskurzarbeitergeld“ – für mehr
Kurzarbeit verknüpft mit Weiterbildung.
Was halten Sie von dieser Lösung?
Das klingt schöner, als es ist. Denn
ganz redlich verhält sich Herr Hofmann

dabei nicht. Wir – also beide Sozialpart-
ner – sind uns einig, dass die Politik wie-
der die Bedingungen für eine leichtere An-
wendung von Kurzarbeit schaffen sollte,
wie das in der Krise von 2008/09 gelun-
gen ist. Aber die IG Metall belässt es nicht
dabei. In Wahrheit ist ihr sogenanntes
Transformationskurzarbeitergeld ein Ve-
hikel, um ganz nebenbei mehr Mitbestim-
mungsrechte für die Betriebsräte in den
Unternehmen durchzusetzen. Das finde
ich nicht in Ordnung. Das gefährdet un-
ser gemeinsames Ziel einer besseren Be-
schäftigungssicherung durch Kurzarbeit.

Ist Kurzarbeitergeld denn überhaupt ge-
eignet, um durch eine Strukturkrise der
Industrie zu kommen?
Es kann konjunkturelle Belastungen ab-
federn und natürlich nicht den strukturel-
len Umbau von Unternehmen ersetzen.
Aber den gehen wir ja auch mit allem Ein-
satz an. Zu glauben, dass Beschäftigungs-
sicherung durch Kurzarbeit die Unterneh-
men im Strukturwandel automatisch trä-
ge werden ließe, geht an der Realität vor-
bei. In der richtigen Dosierung und mit
Augenmaß eingesetzt, kann es ihnen not-
wendige Veränderungen erleichtern.

Einige Arbeitgebervertreter fordern von
der IG Metall, sich jetzt schon auf Lohn-
zurückhaltung in der Tarifrunde im
Frühjahr 2020 zu verpflichten. Wundert
es Sie, dass sie das bisher nicht macht?

Natürlich habe ich nicht erwartet, dass
die IG Metall das kritiklos übernimmt.
Sorge bereitet mir, dass sie die Position
zu beziehen scheint: Es gibt zwar Trans-
formation und Abschwung, aber mit
Lohn- und Tarifpolitik hat das nichts zu
tun. Bezahlen sollen für den Wandel bit-
te andere. Nur so wird das nicht funktio-
nieren.Leider gewinne ich eher den Ein-
druck, dass in der IG Metall zunehmend
größere Funktionärskreise den Bezug zu
ihrer Basis verlieren, zu den Belangen,
die normalen Arbeitnehmern wirklich
wichtig sind.

Das müssen Sie erläutern.
Ich sehe da vor allem die vielen Be-
schäftigten in der mittelständischen In-
dustrie, denen es derzeit zuallererst um
eine stabile Zukunft ihrer Betriebe und
Arbeitsplätze geht. Schon in der Tarifrun-
de 2018 gab es etliche Betriebsräte aus
dem Mittelstand, die mit dem harten
Kurs der IG Metall so nicht einverstanden
waren. Die wären mit 2 Prozent Lohner-
höhung zufrieden gewesen, weil sie gese-
hen haben: Das wäre gut für ihre Firma
und ihren Job.

Am Ende haben auch die Arbeitgeberver-
bände gut 7 Prozent Lohnplus und neue
Freizeitansprüche akzeptiert, oder nicht?
Tarifpolitik ist kein Wunschkonzert, be-
sonders in Aufschwungzeiten sitzt die Ge-
werkschaft oft kurzfristig am längeren He-
bel. Aber schon damals haben wir ge-
warnt, dass das eine ernste Belastungspro-
be für den Flächentarifvertrag wird und
für die Bereitschaft vieler Unternehmen,
sich an ihn zu binden. Leider können wir
heute sehen, wie berechtigt diese Sorge
war und wie dringend wir deshalb in der
kommenden Tarifrunde etwas dafür tun
müssen, dass das Zutrauen der Unterneh-
men in die Arbeit der Tarifparteien nicht
noch weiter beschädigt wird.

Wie sollte das aussehen?
Im Kern müssen wir den Flächentarif so
gestalten, dass er wieder besser zu den viel-
fältigen Anforderungen und Möglichkei-
ten der Unternehmen in unseren Bran-
chen passt. Dazu gibt es zwei wichtige Stell-
schrauben: Zum einen müssen wir schlicht
den Anstieg des Tarifniveaus dämpfen, die-
ser darf sich nicht nur nach den Starken
richten. Und bei durchschnittlich 65 000
Euro Jahreslohn in unserer Industrie in Ba-
den-Württemberg kann das auch nicht die
zentrale Gerechtigkeitsfrage sein. Die
wäre ja wohl eher, warum eigentlich der
Lohnvorsprung der Metaller auf Pflegekräf-
te, Friseure und Hotelfachkräfte selbst
dann noch weiter wachsen soll, wenn sich
die Industrie in der Rezession befindet.

Und die zweite Stellschraube?
Wir sollten in der kommenden Runde
ein neues System für mehr Variabilität im
Flächentarif entwickeln. Wir müssen den
Verteilungsspielraum nicht für simple
Lohnerhöhungen nutzen, sondern damit
Möglichkeiten schaffen, dass Unterneh-
men von einzelnen Regelungen des Tarif-
vertrags individuell abweichen können,
ohne gleich die Tarifbindung aufgeben zu
müssen. Wir haben ja das Pforzheim-Ab-
kommen von 2004, das so etwas erstmals
etabliert hat. Nun ist es Zeit, das auszu-
bauen, um den Unternehmen passendere
Bedingungen für neue Herausforderun-
gen bieten zu können – seien sie konjunk-
turell oder strukturell. Nur so können wir
einer verstärkten Tarifflucht entgegenwir-
ken, die sich mit dem enormen Unmut
bei vielen unserer Mitglieder anbahnt.
Das Gespräch führteDietrich Creutzburg.

bfch.FRANKFURT,25. Oktober. Jede
elfte Person hat in den vergangenen
drei Jahren sexuelle Belästigung am Ar-
beitsplatz erlebt. Das geht aus einer am
Freitag veröffentlichen repräsentativen
Studie des Instituts für empirische So-
ziologie an der Universität Erlangen-
Nürnberg hervor. Im Auftrag der Anti-
diskriminierungsstelle des Bundes wur-
den hierfür 1531 Personen befragt.
Frauen waren demnach mit 13 Prozent
erheblich häufiger betroffen als Män-
ner (fünf Prozent).
Die Belästigung ging in der Regel von
Männern aus. Insgesamt 82 Prozent der
Betroffen gaben an, dass sie „aus-
schließlich oder überwiegend“ von Män-
nern belästigt wurden. Mehr als die
Hälfte der Betroffenen sagte zudem,
dass der Übergriff von Kunden, Patien-
ten oder Klienten ausging. In 43 Pro-
zent der Fälle waren es Kollegen und
bei 19 Prozent Vorgesetzte.
Die häufigsten Formen der Belästi-
gung waren der Studie zufolge sexuali-
sierte Kommentare (62 Prozent), beläs-
tigende Gesten oder Handlungen wie
etwa Hinterherpfeifen (44 Prozent). 26
Prozent der Betroffenen berichteten zu-
dem von unerwünschten Annäherun-
gen oder gar Berührungen. Einzelfälle
waren diese Erfahrungen offenbar nur
selten: 83 Prozent erlebten mehr als
eine solche Situation, wie es in der Stu-
die heißt.
Eine Betrachtung unterschiedlicher
Branchen gestaltet sich aufgrund der ge-
ringen Fallzahl von Betroffenen als

kompliziert. Grundsätzlich bestehe oh-
nehin überall das Risiko, Opfer von se-
xueller Belästigung zu werden. Trotz-
dem verweisen die Studienautoren auf
„Auffälligkeiten“: So sei die Zahl derer,
die von sexueller Belästigung berich-
ten, gerade im Bereich des Gesund-
heits- und Sozialwesens besonders
hoch (29 Prozent). In diesen Bereichen
würden Belästigungen teils als „Berufs-
risiko“ abgetan.
Viele Betroffene wehrten sich verbal
gegen die Belästigung, eine offizielle Be-
schwerde bei Vorgesetzten oder etwa
dem Betriebsrat reichten aber nur 23 Pro-
zent ein. Anzeige erstattete so gut wie
niemand. Gleichwohl fühlten sich 48 Pro-
zent der belästigten Frauen „mittel bis
sehr stark erniedrigt“, unter den betroffe-
nen Männern waren es 28 Prozent. Fast
ein Drittel der Frauen und 21 Prozent
der Männer empfanden die Situation
überdies als bedrohlich.
Die Studienautoren erklären, dass se-
xuelle Belästigung dem Betrieb an sich
und der Unternehmenskultur schade. So
wiesen Betroffene eine deutlich geringe-
re Arbeitszufriedenheit als ihre Kollegen
auf und seien etwa aufgrund des psy-
chischen Drucks gesundheitlich zum Teil
stärker beeinträchtigt. Entsprechend sei-
en besonders Führungskräfte in der Ver-
antwortung, gegen sexuelle Belästigung
konsequent vorzugehen sowie verbindli-
che Regeln im Umgang miteinander zu
etablieren. Die Autoren regen überdies
an, die Fristen zur Geltendmachung von
Ansprüchen zu verlängern.

Im Gespräch:Stefan Wolf, Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall


Sexuelle Belästigung auf der Arbeit


Jede achte Frau fühlt sich betroffen / Männer seltener


bü.DÜSSELDORF,25. Oktober. Die Ho-
telsuchmaschine Trivago ist das erste „Ein-
horn“ aus Nordrhein-Westfalen. Wie die
amerikanischen Internetgiganten Ama-
zon, Google oder Facebook verdient sie
ihr Geld mit einem Marktplatz, der Unter-
nehmen und Verbraucher zusammen-
bringt. Das nächste Milliardending aus
der Start-up-Szene zwischen Rhein und
Weser verortet Andreas Pinkwart (FDP)
eher in einem anderen Segment: unter
den B2B-Plattformen für den geschäftli-
chen Austausch zwischen Unternehmen
(Business to Business). „Hier hat Nord-
rhein-Westfalen mit seiner hohen Dichte
an Industrie- und erfolgreichen Familien-
unternehmen die besten Voraussetzun-
gen, zum Vorreiter zu werden“, sagte der
Wirtschaftsminister der F.A.Z.
An erfolgversprechenden Beispielen ist
kein Mangel. Ob Plattformen für Chemie-
handel, Metall- und Werkstoffgeschäfte,
Medizin, Maschinenwartung oder, immer
wichtiger, Dienstleistungen rund um die
Energieversorgung: Nicht nur Hunderte
von Gründern, auch zahlreiche etablierte
Konzerne und Mittelständler arbeiten an
neuen digitalen Lösungen für die Unter-
nehmenswelt. „Wir erleben die zweite Wel-
le der digitalen Revolution, und dieses
Mal müssen Deutschland und Europa
ganz vorn dabei sein“, sagte der FDP-Poli-
tiker. Die in Nordrhein-Westfalen ansässi-
gen Start-ups machen rund drei Viertel ih-
res Umsatzes mit B2B-Anwendungen,
deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt.
Ein erheblicher Teil der Umsätze wird,
wie Auswertungen zeigen, mit Geschäfts-
kunden vor Ort generiert. Neben der In-
dustrie und den sogenannten Hidden
Champions wächst das Interesse auch in


den vielen größeren familiengeführten
Unternehmen. Jedes vierte deutsche Fami-
lienunternehmen mit einem Jahresumsatz
von mehr als 50 Millionen Euro hat seinen
Sitz in Nordrhein-Westfalen. Die gute Aus-
gangsposition ist aus Pinkwarts Sicht frei-
lich nur eine Momentaufnahme. Dass sich
B2B-Plattformen in den kommenden Jah-
ren zu einem immer lukrativeren, viele
Milliarden schweren Markt entwickeln
werden, wissen auch die mächtigen Inter-
netriesen aus Amerika oder China.
„Unsere Anbieter müssen möglichst
schnell Größenordnungen erreichen, mit
denen sie international bestehen können.
Mit ihrer Professionalität und Daten-
macht im Rücken hätten die großen
B2C-Anbieter sonst auch auf diesem

Markt ziemlich einfaches Spiel“, warnte
Pinkwart. „Dieses Segment dürfen wir
nicht leichtfertig anderen überlassen.“
Kommende Woche, auf dem Digitalgipfel
der Bundesregierung in Dortmund, soll
die Plattformökonomie eines der Schwer-
punktthemen bilden.
Pinkwart geht es nicht nur darum, regu-
latorische und bürokratische Hürden abzu-
schütteln, die gerade Gründern und kleine-
ren Unternehmen das Leben schwerma-
chen. Beispielhaft verweist er auf die Da-
tenschutzgrundverordnung, die für kleine
Anbieter mit einem lähmenden Aufwand
verbunden sei. „Wir brauchen eine intelli-
gente Regulierung, welche die Plattform-
Ökonomie und ihre Innovationen fördert
und nicht hemmt“, sagte er. Ganz entschei-
dend ist aus seiner Sicht, die Datenbasis
zu verbessern. „Ganz wesentlich im Be-
reich der Plattformökonomie ist der Ein-
satz Künstlicher Intelligenz, und dafür
braucht es Big Data“, sagt er. Dafür müss-
ten, unter Wahrung von Geschäftsgeheim-
nissen und des Schutzes personenbezoge-
ner Informationen, nicht nur Daten hiesi-
ger privater Unternehmen leichter für
Plattform-Anwendungen zugänglich ge-
macht werden. Um die Marktmacht der In-
ternetriesen einzuhegen und für mehr
Chancengleichheit im Wettbewerb zu sor-
gen, will Pinkwart möglichst auch an die
von Google und Co. gehorteten Bestände
heran. Darüber denken inzwischen eben-
falls die Kartellbehörden nach. Auch bei
der geplanten Reform des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen spielt die
Datenmacht eine große Rolle.
Es gebe eine bedenkliche Tendenz zur
Monopolisierung, sagte Pinkwart. Er ver-
weist darauf, dass absehbar etwa drei Vier-
tel des gesamten Werbeetats für Online-

Anzeigen in Deutschland an Google und
Facebook gingen und sich Missbrauchsvor-
würfe gegen das Sammeln und Auswerten
von Daten erhärtet hätten. „Um solche
Fehlentwicklungen zu bekämpfen, brau-
chen wir offene Plattformen mit einem fai-
ren Zugang für andere Unternehmen“, for-
derte er. Mindestens aber brauche es eine
interne Entflechtung der Datenbestände
der Internet-Giganten, um das Zusammen-
führen von Daten aus verschiedenen Quel-
len und Tochtergesellschaften einzu-
schränken.
Ein Engpass bleibt die Anschubfinan-
zierung durch privates Wagniskapital. Im
Wettbewerb mit den Start-up-Hochburgen
Berlin, Hamburg oder München baut die
Landesregierung in Düsseldorf deshalb
ihre Förderpolitik in größeren Schritten
aus. So soll sich, wie Pinkwart ankündigte,
das von der NRW-Bank investierte Wagnis-
kapital bis 2023 um mehr als 200 Millio-
nen auf eine halbe Milliarde Euro erhö-
hen. Außerdem werde die Förderbank für
das Start-up-Segment weiter „professiona-
lisiert“ und enger mit dem in Bonn ansässi-
gen und vom Bund finanzierten Hightech-
Gründerfonds verzahnt. Um mehr priva-
tes Kapital zu mobilisieren, ruft Pinkwart
nach der Börse: „Wir brauchen endlich ein
echtes Marktsegment für Börsengänge
deutscher Wachstumsunternehmen.“ Was
in Stockholm mit der „Nasdaq First
North“ als attraktives Marktsegment für
Start-ups gut funktioniere, müsse auch in
Deutschland seinen Platz finden.

„Da ist richtig Feuer unterm Dach“


pwe.TOKIO,25. Oktober. Südkorea
gibt dem Druck der Vereinigten Staaten
nach und will in der Welthandelsorgani-
sation (WTO) auf besondere Vorteile als
Entwicklungsland verzichten. Wirt-
schafts- und Finanzminister Hong Nam-
ki kündigte in Seoul an, Südkorea werde
in Zukunft auf die damit gewährten Privi-
legien verzichten. Angesichts des wirt-
schaftlichen Entwicklungsstands des
Landes werde es schwieriger werden, als
Entwicklungsland anerkannt zu werden,
sagte Hong. Auch Taiwan hatte vor eini-
gen Tagen angekündigt, in der WTO
nicht mehr als Entwicklungsland auftre-
ten zu wollen. Damit will die Regierung
in Taipeh sich positiv von Peking unter-
scheiden.
In Südkorea kritisierten Landwirte
und ihre Verbände die Entscheidung der
Regierung scharf. Seoul hat den Status
des Landes als Entwicklungsland bislang
vor allem dazu genutzt, die Bauern durch
hohe Zollschranken vor dem internatio-
nalen Wettbewerb zu schützen. Der Ein-
fuhrzoll auf manche Reissorten beträgt
mehr als 500 Prozent. Die Regierung si-
cherte zu, die Landwirtschaft weiterhin
zu schützen und bei Handelsverträgen
die Interessen der Bauern zu achten.
Südkorea fügt sich mit der Entschei-
dung dem Willen des amerikanischen
Präsidenten Donald Trump. Dieser hatte
vor allem mit Blick auf China kritisiert,
dass viele Länder zu Unrecht in der
WTO den Status als Entwicklungsland
beanspruchten. Damit würden echte Ent-
wicklungsländer benachteiligt. Der ame-
rikanische Präsident prangerte neben
China und Südkorea unter anderem die
Ölstaaten Kuweit, Katar und die Verei-
nigten Arabischen Emirate, aber auch
Singapur, Mexiko und die Türkei an.

Trump droht damit, dass Amerika die
im Rahmen der WTO gewährten Privile-
gien einseitig nicht mehr respektieren
werde, falls die Welthandelsorganisation
sich nicht reformiere. Der Status als Ent-
wicklungsland in der Welthandelsorgani-
sation bietet zum Beispiel den Vorteil,
dass Zölle in Freihandelsverträgen lang-
samer abgebaut werden müssen. Mit der
Kritik an Südkorea und anderen Län-
dern in der WTO steht Trump nicht al-
lein. Südkorea ist ein besonders krasses
Beispiel für eine ungewöhnliche Einstu-
fung als Entwicklungsland. Das Land ist
wirtschaftlich die Nummer l0 in der
Welt, Mitglied des OECD-Klubs wohlha-
bender Staaten und der G-20-Gruppe
großer Industrie- und Schwellenländer.
Die Weltbank ordnet Südkorea in ihrer
Wohlstandsskala in die Spitzengruppe
der Länder mit hohem Einkommen ein.
Im vergangenen Jahr erzielte Südkorea
nach Angaben des Internationalen Wäh-
rungsfonds eine Wirtschaftsleistung von
umgerechnet rund 31 600 Dollar je
Kopf. Das sind nur etwa 600 Dollar weni-
ger als das italienische Niveau.
Der Verzicht auf den Status als Ent-
wicklungsland in der WTO wird keine
unmittelbare Auswirkung auf Südkoreas
Wirtschaft haben. Bestehende Handels-
verträge bleiben unangetastet. Erst im
Zuge neuer Freihandelsverträge im Rah-
men der WTO würde Südkorea seine
Landwirtschaft mehr öffnen müssen.
Trump setzt Südkorea derzeit auch unter
Druck, mehr für die Stationierung ameri-
kanischer Soldaten im Land zu zahlen.
Verhandlungen laufen. Der Verzicht auf
den WTO-Status als Entwicklungsland
dürfte die Verhandlungsposition Südko-
reas tendenziell schwächen.

sju.FRANKFURT, 25. Oktober. Nach
der monatelangen Talfahrt ist die Stim-
mung in der deutschen Wirtschaft im
Oktober stabil geblieben. Das geht aus
dem am Freitag veröffentlichten Ge-
schäftsklimaindex des Münchener Ifo-
Instituts hervor. Er gilt als wichtigstes
Stimmungsbarometer der deutschen
Konjunktur. Wie schon im September
lag der Index bei 94,6 Punkten. „Die
deutsche Konjunktur stabilisiert sich“,
kommentierte Ifo-Präsident Clemens
Fuest das Ergebnis der Befragung von
rund 9000 Unternehmen. Während die
Beurteilung der aktuellen Lage in den
deutschen Chefetagen überwiegend et-
was pessimistischer ausfiel, waren die
Geschäftserwartungen positiver als
noch im Vormonat. Das gilt vor allem
für das Sorgenkind der deutschen Wirt-
schaft, die Industrie. „Im Verarbeiten-
den Gewerbe konnte der Abwärtstrend
beim Geschäftsklima vorerst gestoppt
werden“, sagte Fuest. Dennoch verharrt
der Index auf einem vergleichsweise
niedrigen Niveau.
Die anhaltende Schwäche der
Wirtschaft dämpft auch die Stimmung
der Verbraucher. Das zeigt die monatli-
che Konsumklimastudie des Marktfor-
schungsunternehmens GfK, die eben-
falls am Freitag veröffentlicht wurde.
Für November prognostiziert die GfK
für das Konsumklima einen Wert von
9,6 Punkten – 0,2 Punkte weniger als
noch im Oktober. So schlecht war das
Konsumklima zuletzt vor drei Jahren.
Dass das Vertrauen der Verbraucher
schwindet, führt die GfK neben der an-
haltenden globalen Konjunkturschwä-

che, den internationalen Handels-
konflikten und Brexit-Unsicherheiten
auf sich häufende Meldungen zum
Arbeitsplatzabbau zurück. Nachdem
sich die Konjunkturaussichten im
Vormonat leicht erholt hatten, schätz-
ten die Verbraucher das Risiko, dass die
deutsche Wirtschaft in eine Rezession
rutschen könnte, zuletzt wieder höher
ein. Das trübte auch die Einkommens-
erwartungen der Verbraucher. Ungeach-
tet leichter Verluste behauptet sich die
Anschaffungsneigung der Konsumen-
ten weiterhin auf einem hohen Niveau.
Rolf Bürkl, GfK-Konsumfachmann,
erwartet daher, dass der private Kon-
sum „in diesem Jahr eine wichtige Stüt-
ze der deutschen Wirtschaft“ bleiben
wird.

Nordrhein-Westfalen hofft auf das nächste Einhorn


Das Land sieht sich als Vorreiter für Unternehmensplattformen – und wehrt sich gegen Google & Co.


Stefan Wolf leitet im Hauptberuf den Autozulieferer Elring-Klinger. Foto dpa


Südkorea gibt Trumps Druck nach


Das Land will kein Entwicklungsland mehr sein


Ifo-Chef: Die deutsche


Konjunktur stabilisiert sich


Stimmung der Verbraucher leicht eingetrübt


NRW-Traumbild Foto ddp


Stefan Wolf befürchtet


eine Fluchtwelle der


Unternehmen raus


aus dem Tarifvertrag.


Neben der IG Metall


macht er dafür auch die


deutsche Klimapolitik


verantwortlich.


Unverändertes Stimmungsbild
Ifo-Geschäftsklimaindex (2015 = Index 100)1)

2015 20172016 2018 2019 (Okt.)
1) Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß- und Einzelhandel in
Deutschland. Saisonbereinigte Monatswerte. 2) Mittelwert aus Geschäfts-
lage und -erwartungen (sechs Monate).
Quelle: Ifo Institut für Wirtschaftsforschung F.A.Z.-Grafik Niebel

91,5

94,6

97,8

90

95

100

105

110

Geschäftserwartungen

Geschäftsklima2)


Geschäftslage
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