14 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT FREITAG,18.OKTOBER
I
n nur sechs Sekunden fla-
ckerten am 14. Oktober gan-
ze 39 Filmplakate über den
Twitter-Account des neuen
Streaming-Dienstes Disney+.
„Schneewittchen und die sie-
ben Zwerge“ machte den Auf-
takt, die galaktische „Star
Wars“-Saga folgte, und auch
der Teenager-Film „High
School Musical“ durfte nicht
fehlen. Mit diesem Aufgebot
kündigte die US-Plattform an,
dass ihr neuer Service knapp ei-
nen Monat später, am 12. No-
vember, in den USA starten
werde.
VON FLORIAN GEHM
Es war ein Beitrag in den so-
zialen Medien, der die Konkur-
renz der Video-Plattformen
nervös machte. In einem länge-
ren Video, um genau zu sein
dauerte es drei Stunden und
siebzehn Minuten, stellte die
Filmschmiede Disney zusätz-
lich im Detail vor, was poten-
zielle Abonnenten erwartet.
Selbst wenn es möglicherweise
nicht alle Inhalte Ende März
2020 nach Europa schaffen
werden, ist die Begeisterung
auch hierzulande groß. Denn
ein Abonnement wird in
Deutschland wohl nur sieben
Euro pro Monat kosten und be-
inhaltet bereits hochauflösen-
des 4K-Streaming.
Wer beim Video-Platzhirsch
Netflix die identische Bildquali-
tät genießen will, zahlt mit
knapp 16 Euro aktuell sogar
mehr als das Doppelte.Diese
Aussichten dürften es sein, die
das Unternehmen aus dem kali-
fornischen Los Gatos künftig in
Sorge versetzen. Doch schon
jetzt spürt der Konzern den
Atem der Konkurrenz. Denn
nicht nur Disney bringt sich
momentan mit einem eigenen
Streaming-Angebot in Stellung.
Auch der iPhone-Konzern
Apple lanciert eine eigene
Plattform: Apple TV+startet
bereits am 1. November in über
100 Ländern für nur 4,99 Euro
pro Monat. Im Angebot sind
dann mehrere sogenannte Ori-
ginals enthalten – also Sendun-
gen, Filme und Dokumentatio-
nen, die eigens für das Strea-
ming-Angebot des Konzerns
aus Cupertino produziert wer-
den. All das waren denkbar
schlechte Ausgangsvorausset-
zungen für Netflix, in der Nacht
neue Quartalszahlen vorzustel-
len. Und tatsächlich konnte das
Unternehmen seine eigenen
Ziele nicht erfüllen: Zwar ge-
wann man in den drei Monaten
bis Ende September weltweit
6,8 Millionen neue zahlende
Abonnenten, verfehlte jedoch
die eigene Prognose von sieben
Millionen neuen zahlenden
Nutzern.
Seit 2016 bleibt der Konzern
damit erstmals in zwei Quarta-
len in Folge hinter den eigenen
Versprechungen zurück, wie
aus einen Brief an die Aktionäre
hervorgeht. Auch die Zahl der
Probemitgliedschaften war so
gering wie seit einem Jahr nicht
mehr. Analysten erklärten die
Preiserhöhung im vergangenen
Quartal als einen wesentlichen
Faktor für das gedämpfte
Wachstum, berichten US-Me-
dien. Dass der Konzern sich den
Erwartungen überhaupt annä-
herte, dürfte vor allem der Serie
„Stranger Things“ zu verdan-
ken sein, die Anfang Juli in den
USA in die dritte Staffel starte-
te. Sie zog 64 Millionen Zu-
schauer in den ersten vier Wo-
chen nach Veröffentlichung an,
gab das Unternehmen bekannt.
Bereits im Vorquartal hatte
Netflix mit relativ schwachem
Wachstum enttäuscht. Beson-
ders schlecht kam damals ein
Rückgang der Nutzerzahlen im
wichtigen US-Heimatmarkt an.
In der Folge fiel die Aktie bis
September kontinuierlich um
über 20 Prozent. Nun stieg der
Kurs nachbörslich vorerst aber
um über acht Prozent. Insge-
samt beliefen sich die bezahlten
Mitgliedschaften zum Quartal-
sende auf gut 158 Millionen. Im
kommenden Quartal wolle man
weitere 7,6 Millionen neue Nut-
zer hinzugewinnen, gab Net-
flix-Chef Reed Hastings be-
kannt. Damit bleibt die Zielvor-
gabe aber deutlich hinter den
9,4 Millionen neuen Abonnen-
ten zurück, die laut „New York
Times“an der Wall Street als
Ziel ausgegeben wurden.
Die erwartete Neukunden-
Zahl für das Gesamtjahr liegt
damit bei nur 26,7 Millionen –
1,9 Millionen weniger Zugänge
als im Vorjahr. Während man
bisher Jahr für Jahr höhere Zu-
wächse erwartet hatte, müsse
man die eigenen Erwartungen
nun dämpfen.
Es falle dem Unternehmen
schwerer, potenzielle Erfolge
der Konkurrenz vorherzusagen,
gibt man offen in dem vier-
zehnseitigen Schreiben an die
Aktionäre zu: „Die leicht erhöh-
te Abwanderung von Abonnen-
ten als Reaktion auf Preis-
erhöhungen und der bevorste-
hende Wettbewerb“, führten zu
der Korrektur, schreibt das Un-
ternehmen. Auch deshalb sieht
Eric Haggstrom, Analyst bei
eMarketer, die letzten ruhigen
Monate vor einem Krieg der
Streaminganbieter gekommen.
Vor allem ein geringeres Abon-
nenten-Wachstum bedeute „Är-
ger für das Unternehmen ange-
sichts des sich verschärfenden
Wettbewerbs“. Das vierte
Quartal bringe völlig neue Aus-
gangsbedingungen mit sich, „da
Disney+ und Apple TV+ nicht
nur um Abonnenten, sondern
auch um Formate konkurrieren
werden“.
Das Fazit des Marktkenners,
dessen Unternehmen wie
WELT zum Medienkonzern
Axel Springer gehört, dürfte
Netflix deshalb kaum gefallen:
„Die Tatsache, dass Netflix oh-
ne den neuen Wettbewerb nur
enttäuschendes Wachstum
zeigt, ist ein schlechtes Zeichen
für das Jahr 2020 und die weite-
re Zukunft“, so Haggstrom.
Immerhin: Die reinen Quar-
talszahlen konnten die Erwar-
tungen der Analysten vorerst
noch knapp übertreffen. Der
Gewinn je Aktie belief sich im
vergangenen Quartal bereinigt
auf 1,52 Dollar, der Umsatz lag
bei 5,2 Milliarden Dollar. Im vo-
rigen Jahresviertel hatten noch
vier Milliarden Dollar in den Bü-
chern gestanden. Experten hat-
ten diese Zahlen vergleichswei-
se genau prognostiziert; über-
treffen konnte Netflix die Er-
wartung damit also auch nicht.
Währenddessen schlägt sich
der Internetdienst, zumindest
in Deutschland, ohnehin mit
ganz anderen Problem herum.
Ein Frankfurter Rapper hatte
kürzlich versucht, die Aus-
strahlung einer neuen Serie ge-
richtlich zu verhindern. Zwar
bekam das Unternehmen vor
dem Landgericht Frankfurt die
Erlaubnis, die Serie weiter zu
zeigen, musste sich aber mit
einem gekränkten Musiker
herumärgern.
Am Ende der über dreistün-
digen Vorschau für Disney+ ist
die Stimmung beim Konkurren-
ten hingegen besser. Beim Trai-
ler für „High School Musical:
The Series“ hüpfen glücklich
singende Teenager durch ein
Schulgebäude. Die Konkurrenz,
sie hat offenbar schon jetzt
gute Laune.
Streaming vor
dem D-Day
Netflix bleibt hinter den Erwartungen
zurück. Die Zahl der Abonnenten im
Heimatmarkt stagniert. Konkurrenten
Disney und Apple in den Startlöchern
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Gewinn von Netflix zuletzt kräftig gestiegen
Quelle: Statista, Netflixinvestor
Angaben in Millionen Dollar
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Netflix: Kundenwachstum in den USA stagniert
Quelle: Netflix, Q�-Zahlen
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Bezahlte Abos USA
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Bezahlte Abos International ���.���
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arum in aller Welt
machen Lottogewin-
ne nicht glücklich?
Ökonomen und Psychologen
ringen mit dieser Frage seit
Jahrzehnten. Studie um Studie
widersprach dem gesunden
Menschenverstand und ergab:
messbarer Glückszuwachs –
Fehlanzeige.
VON INGA MICHLER
Nun, es sieht ganz danach
aus, als hätten die Wissen-
schaftler sich geirrt. Das jeden-
falls legt eine Untersuchung na-
he, die erstmals mit einer grö-
ßeren Datenbasis operiert und
die Zufriedenheit derselben
Menschen vor und nach ihrem
Lottogewinn vergleichen kann.
Rainer Winkelmann, Öko-
nom an der Universität Zürich,
und ein Kollege von der Univer-
sität Warwick in Großbritan-
nien haben dafür auf das Sozio-
oekonomische Panel (SOEP)
des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW)
zugreifen können. Es befragt
jährlich etwa 30.000 Personen
in Deutschland – auch nach ih-
rer Lebenszufriedenheit und
auch nach erzielten Lottoge-
winnen. Ausgestattet mit derlei
Daten, sehen die Wissenschaft-
ler die Lage grundlegend anders
als etwa Philip Brickman und
Kollegen. Diese kamen im Jahr
1978 zu dem Schluss, dass das
Wohlbefinden um ein Grundni-
veau tanzt, das bei jedem Men-
schen unterschiedlich ist – und
sich über das Leben hinweg in
der Regel kaum ändert.
Der Psychologe Brickman
und sein Team hatten damals
das Glück von Lottogewinnern
und Unfallopfern untersucht.
Ergebnis: Weder führte ein
schlimmer Schicksalsschlag –
hier ein Unfall mit folgender
Querschnittslähmung – zu dau-
erhaftem Unglück. Noch hob
ein Lottogewinn die Laune der
Betroffenen langfristig an.Das
Problem der Brickman-Unter-
suchung lag allerdings im De-
tail: Denn erstens war die Stich-
probe winzig – sie umfasste le-
diglich 22 Lottogewinnerund
eine ebenso kleine Kontroll-
gruppe. Und zweitens konnten
die Wissenschaftler eben nicht
das Glück der Menschen vor
und nach ihrem Gewinn unter-
suchen. So verglichen sie ledig-
lich das Glücksempfinden der
Gewinner mit dem der Nicht-
Gewinner.
„Das ist so, als vergliche man
die Gesundheit von Vegetariern
mit derjenigen von Fleisch-
essern“, kritisiert Rainer Win-
kelmann, Mit-Autor der neuen
Studie. „Die beiden Gruppen
unterschieden sich natürlich in
vielerlei Hinsicht.“ Winkel-
mann nahm auf der Basis der
SOEP-Daten 370 größere Ge-
winnerins Visier. Sie gewannen
jeder mindestens 2500 Euro,
strichen im Durchschnitt rund
20.000 Euro ein – etwa 60 Pro-
zent ihres durchschnittlichen
jährlichen Nettoeinkommens.
Die Menschen wurden vor und
ein bis zwei Jahre nach ihrem
Gewinn nach ihrer „allgemei-
nen Lebenszufriedenheit“ so-
wie nach der „Zufriedenheit
mit ihrer finanziellen Situati-
on“ gefragt. Das Ergebnis: Bei-
des stieg signifikant an.
Lottogewinne machen doch glücklich
Eine neue Studie räumt mit einem alten Paradox auf: Plötzlicher Geldsegen lässt die Menschen auf Dauer nicht kalt