Süddeutsche Zeitung - 18.10.2019

(Jacob Rumans) #1
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Wie stark die Erde von Wolken bedeckt ist,
hat einen großen Einfluss auf das Klima.
Der kondensierte Wasserdampf reflektiert
Sonneneinstrahlung zurück ins Weltall
und trägt so zur Kühlung des Planeten bei.
Im MagazinNatureberichten Klimafor-
scher nun, dass der kühlende Effekt der
Wolkendeckewomöglich größer istals bis-
langvermutet.DazuvermaßendieWissen-
schaftler der University of Colorado Boul-
der, der Nasa sowie der US-Klimabehörde
NOAA drei Jahre lang mit einem Spezial-
flugzeug den Himmel. Insgesamt vier Mal
flogensievonderArktisindieAntarktis,ei-
ne Reise dauerte jeweils 26 Tage und be-
stand aus unzähligen Etappen. Das Mess-
flugzeug startete dabei jeden Tag auf Mee-
reshöhe,stieginzwölf KilometerHöheund
sankdannwiederab.NebenderKonzentra-
tionvonTreibhausgasenwieCO 2 analysier-
ten die Forscher auch Aerosole, flüssige
oder feste Teilchen in der Luft, welche die
Wolkenbildung beeinflussen. Dabei ent-
deckten sie einen bislang unbekannten
Prozess, der vor allem in den Tropen auf-
tritt. Demnach steigen dort mit warmen
Luftmassen Gase in höhere Schichten der
AtmosphäreaufundbildendortneueAero-
sol-Partikel. Diese Teilchen lassen Wolken
insgesamt heller werden. Da hellere Kör-
permehrSonneneinstrahlung reflektieren
als dunkle, vermuten die Klimaforscher,
dass der kühlende Effekt der Wolken glo-
balbetrachtetgrößeristalsbislangvermu-
tet.DiebeobachteteWolkenaufhellungge-
schehe auf mehr als 40 Prozent der Erd-
oberfläche.Ziel derMission ist es, den Ein-
fluss von Wolken künftig präziser in den
Klimamodellen zu berücksichtigen. cvei

Hellere Wolken,


kühleres Klima


von christina berndt
und markus grill

P


harmafirmen fackeln meist nicht
lange. In der Regel schaffen es Stu-
dierende der Medizin kaum bis ins
sechste Semester, da haben sie schon ihr
erstes Geschenk von der Industrie bekom-
men – ein Lehrbuch etwa oder eine Reise
zu einem Kongress. Und oft genug sind
den Studierenden die damit verbundenen
Probleme gar nicht bewusst, weil ihre Uni-
versitäten sie weder vor den Zudringlich-
keiten der Pharmakonzerne schützen
nochsieimUmgangmitInteressenkonflik-
ten schulen. Das bringt jetzt eine Studie an
den Tag, die Mitglieder der Bundesvertre-
tungderMedizinstudierenden inDeutsch-
land (bvmd) und des Netzwerks Universi-
ties Allied for Essential Medicines (UAEM)
auf dem Preprintserver Biorxiv veröffent-
licht haben.
„An kaum einer medizinischenFakultät
existierenRegelnzumUmgangmitInteres-
senkonflikten“,fasstSophieGepp,eineder
Autorinnen,dasErgebniszusammen.„Da-
bei sind solche Kenntnisse eminent wich-
tig für eine gute Ausbildung und auch für
die Gesundheit der Patienten.“ So zeigten
Forschungsarbeiten, dass Ärzte, die den
Umgang mit Interessenkonflikten gelernt
haben, vernünftigere Entscheidungen bei
derVerordnung von Medikamenten fällen.
„Sie verschreiben weniger von den ganz
neuen, teuren Präparaten mit einem un-
günstigeren Risikoprofil“, sagt Gepp.
Für ihre Studie haben die angehenden
Ärzte alle 38 deutschen medizinischen Fa-
kultäten angeschrieben. Nur 16 antworte-
ten – und von diesen konnten lediglich
zwei auf ein Statut zum Umgang mit Inter-

essenkonflikten verweisen: die medizini-
sche Fakultäten der TU Dresden und die
BerlinerCharité.Besondersumfassendwa-
ren allerdings auch diese Statuten nicht:
Sind Geschenke von der Industrie an Mit-
gliederderFakultätverboten?Essenseinla-
dungen? Die Teilnahme an Werbeveran-
staltungen? Stipendien? Und wird die
OffenlegungvonInteressenkonfliktenaus-
drücklichverlangt?DasStatutderTUDres-
den bejahte immerhin acht von 13 solcher
Fragen, das der Charité drei. Keine der be-
fragten Fakultäten gab allerdings an, dass
das Thema Interessenkonflikte expliziter
Teil des Studiums sei.

„Die Studierenden leuchten hier in ei-
nenBereich,derbislangvölligunterbelich-
tet ist“, sagt David Klemperer, der sich bei
der Arzneimittelkommission der deut-
schen Ärzteschaft (AkdÄ) für Transparenz
einsetzt und an der Studie mitgearbeitet
hat. Tatsächlich sind Interessenkonflikte
von Ärzten ein großes Problem. Gerade an
Universitäten arbeiten Mediziner häufig
mit Pharmafirmen zusammen, deren Arz-
neien sie in Studien testen; es gibt Einla-
dungen zu Kongressen, die sich ältere Ärz-
tenicht leisten wollen und junge nicht leis-
ten können; auch die Fortbildung liegt oft
inderHandderPharmaindustrie.DieKur-
se finden dann in schönen Hotels bei ge-
pflegtem Essen statt und sind damitin den
AugenanspruchsvollerMedizinerattrakti-
ver als Veranstaltungen pharmaunabhän-
giger Anbieter. So kommt es zu finanziel-

len und ideologischen Verflechtungen, die
die Wahrnehmung verzerren; und diese
verzerrte Wahrnehmung fließt wiederum
in die Lehre ein.
Am Ende sind die Entscheidungen von
Ärzten auchin Klinikund Praxis –bewusst
oderunbewusst–durchPharmafirmenbe-
einflusst. „Patienten bekommen dann
nicht das für sie beste Medikament, son-
dern das von der Firma, die den Arzt am
bestenüberzeugthat“,sagtKlausLieb,Vor-
sitzenderdes AkdÄ-Ausschusses Transpa-
renz und Unabhängigkeit. Zugleich ist die
EinsichtvielerMedizinererschreckendge-
ring.OfthörtmanArgumentewie„Geldbe-
einflusst meine Entscheidung nicht“ oder
„Ich nehme ja von allen Firmen Einladun-
genan,dasmachtmichamEndewiederun-
abhängig.“ Je früher solche Denkmuster
entstehen,destoselbstverständlicherwer-
den sie, warnt Wolfgang Wodarg, Vorstand
von Transparency Deutschland, einer
NGO, die sich gegen Korruption einsetzt.
„Deshalb wäre es so wichtig, Studierende
möglichst früh im kritischen Umgang mit
Interessenkonflikten zu schulen.“
Ein Interessenkonflikt selbst ist noch
kein Vergehen. Viele Ärzte sind zudem der
Ansicht,ohneZusammenarbeitmitderIn-
dustrie könne es keinen Fortschritt geben.
Aber die Transparenz ist wichtig, damit
EmpfehlungenundStudienergebnissekri-
tisch hinterfragt werden können. Daher
verlangt der Weltärzteverband schon seit
2004, dass Ärzte ihre finanziellen Verbin-
dungen zu Firmen „vollständig offenle-
gen“ müssen. In den meisten ernst zu neh-
menden Medizinzeitschriften müssen Au-
toreninzwischenangeben,vonwelcherFir-
ma sie Geld bekommen, für welche sie als
„Berater“tätigsindoderobsieAktienantei-

le halten. Auch auf Kongressen ist es üb-
lich, dass Vortragende zumindest für eine
halbe Minute all ihre Geldgeber auflisten.
Doch in der Praxis müssen Ärzte selten
mit Konsequenzen rechnen, wenn sie Zu-
wendungen verschweigen. Das unter-
streicht ein Fall am Universitätsklinikum
Bonn, über den NDR, WDR und SZ im Fe-
bruar2018berichtethaben.Ausden„Para-
dise Papers“ war damals hervorgegangen,

dass der Herzspezialist Eberhard Grube in
den Jahren 2001 und 2002 jeweils 100000
Aktienoptionen des Medizinprodukteher-
stellers Biosensors erhalten hatte, dessen
Geräte er in Studien testete – der Wert da-
mals: knapp eine Million Dollar. In Presse-
mitteilungenvonBiosensorslobtederPro-
fessor die Produkte der Firma, die Zuwen-
dungenaberverschwiegerinseinenPubli-
kationen.
Ob das Universitätsklinikum nach den
Medienberichten etwas unternommen ha-
be, wollten NDR, WDR und SZ nun vom
Ärztlichen Direktor Wolfgang Holzgreve
wissen. Er habe sich persönlich um den
Fall gekümmert, antwortete Holzgreve. Er
sehe zwar keinen Verstoß gegen den Com-
pliance Code seiner Universität, habe Gru-
beabernocheinmal„nachdrücklichaufge-
klärt“. Außerdem sei der Compliance Code
inderFolgeüberarbeitetworden.DieNach-
frage, was genau verändert wurde, und ob
es tatsächlich mit den Statuten vereinbar
gewesen sei, dass Professoren Interessen-
konflikte im Wert von mehreren Hundert-

tausend Euro verschweigen, wollte Holz-
greve nicht mehr beantworten.
In den USA werden ähnliche Fälle dage-
gen hart geahndet. So musste der Brust-
krebsspezialist José Baselga vom Memori-
al Sloan Kettering Cancer Center der Cor-
nell-Universität seine Ämter niederlegen,
als2018herauskam,dasserinForschungs-
artikeln seinefinanziellen BandezurPhar-
maindustrie verschwiegen hatte. Anders
alsinDeutschlandhabenauchfastalleme-
dizinischen Fakultäten in den USA Statu-
ten zum Umgang mit Interessenkonflik-
ten, schon 2014 waren es 136 von 160.
Daran sollten sich deutsche Universitä-
ten ein Beispiel nehmen, sagt Wolfgang
Wodarg. Lehrende sollten zudem offen mit
den Studierenden über ihre Verbindungen
zur Industrie diskutieren. Das fordern
auch die Autoren der neuen Studie. „Auf
Kongressen zeigen Professoren ihre Inter-
essenkonflikte an, im Hörsaal erzählen sie
dieselben Inhalte, verschweigen aber die
Geldgeber“, beklagt Peter Grabitz, einer
der Autoren: „Das muss aufhören.“ Damit
Interessenkonflikte im Medizinstudium
deutschlandweit geregelt werden, wollen
UAEMundbvmdnuneineKampagnestar-
ten. Ihr Vorbild ist Frankreich: Dort hatte
eine Studie 2017 ähnlich schlechte Ergeb-
nisse zutage gefördert wie die aktuelle
deutsche. Das sorgte für so viel Aufruhr,
dass die Dekane schließlich ein landeswei-
tes Statut für den Umgang der medizini-
schen Fakultäten mit Interessenkonflik-
tenverabschiedeten.Immerhin:AufNach-
frage von NDR, WDR und SZ beteuerten
alle angefragten deutschen Universitäten,
dass ihnen das Thema sehr am Herzen lie-
ge – und dass sie die Forderungen der Stu-
dierenden nur unterstützen könnten.

Esmuss einstmartialisch zugegangensein
auf Europas ältestem Schlachtfeld. Gefun-
dene Schnitt- und Hiebspuren von Mes-
sern, Keulen, Schwertern und Pfeilen,
Speerspitzen in Knochen, durchlöcherte
Schädel sind in den letzten Jahren Zeugnis
dessen gewesen, was für eine blutige
Schlacht sich vor 3300 Jahren in einem
Sumpfgebiet um den mecklenburgischen
Tollense-Fluss zugetragen hat. Das macht
das vor zehn Jahren entdeckte Schlacht-
feld zu einem fortlaufenden archäologi-
schen Glücksgriff, der ein immer differen-
zierteres Bild von der damaligen Gesell-
schaft zeichnet.
Archäologen haben nun herausgefun-
den,dasszumindest einige derKriegeraus
weit entfernten Gegenden kamen. Das
schließen sie aus einer im Flusssediment
der Tollense gefundenen Sammlung von
Alltagsgegenständen, die den Teilneh-
mern der Schlacht gehört hatten. Insge-
samt 31 verschiedene Objekte beschreiben
die Archäologen um Tobias Uhlig von der
UniversitätGöttingenimFachjournalAnti-
quity: darunter eine verzierte Gürteldose,
dreiGewandnadeln,ein Meißelundmehre-
re bearbeitete Bronzestücke, die wohl als
Rohmaterialien für Geldmünzen dienen
sollten. Der Knackpunkt: Viele der Relikte
sind Teile, die so gar nicht typisch für die
Region waren – wohl aber für die Gegend
um das heutige Frankreich, Süddeutsch-
land und Tschechien. Der Rückschluss der
Archäologen: „Es mehren sich die Hinwei-
se, dass zumindest einige der Krieger aus
dem südlichen Mitteleuropa stammen“,
sagt der Prähistoriker Thomas Terberger.
Für den Kampf sind Krieger also offenbar
über mehrere hundert Kilometer gen Nor-
den gereist. Schlachten vor 3300 Jahren
warenalsooffenbarmehralslokaleAngele-
genheiten.
EinSchluss,denauchPhilippStockham-
mer von der Ludwig-Maximilians-Univer-
sität München zieht. Der Fund zeige, „wie
mobil und vernetzt die damalige Welt
schon war.“ Für ihn sind Funde wie dieser
ein Grund mehr, die Strukturen in der Vor-
zeit nicht zu unterschätzen. „Es ist nicht
so, dass die Menschen in ihren Hütten sa-
ßen und nicht herumkamen.“ Im Gegen-
teil, offenbar gab es eine überregionale In-
frastruktur.„Dasistwissenschaftlichfaszi-
nierend“, sagt Stockhammer.
Offen ist derweil, warum Krieger vor
über 3000 Jahren scheinbar Hunderte von
Kilometern reisten, um im heutigen Nord-
deutschland zu kämpfen. Eine Frage, über
die auch Stockhammer nur spekulieren
kann. Die neue Entdeckung zeigt für ihn
aber einmal mehr, dass die heutige Sicht
auf die damalige Zeit oft verzerrt und ro-
mantisiertist.Andersalsvieleglauben,leb-
ten die Menschen in der Bronzezeit nicht
friedlichimEinklangmitderNaturundih-
ren Zeitgenossen. „Früher wie heute war
derMenschmobil,töteteundzerstörteim-
mer wieder, sobald er es konnte“, sagt
Stockhammer. Alles andere sei eine Illusi-
on, die wir aufgeben sollten. „Der Mensch
ist kein friedliebendes Wesen.“ vfs

In den USA werden Verstöße
gegen die Compliance Codes
inzwischen hart geahndet

Geschenke mit Hintergedanken


Arzneimittelhersteller beginnen oft schon an den Universitäten, angehende Ärzte zu beeinflussen.


Die meisten Hochschulen lassen die Studierenden mit dem Problem allein


Weite Reise


in den Kampf


Krieger der Tollense-Schlacht
legten Hunderte Kilometer zurück

Fortbildungen von Pharmafirmen
sind oft attraktiver als die
von unabhängigen Anbietern

(^22) WISSEN Freitag, 18. Oktober 2019, Nr. 241 DEFGH
FOTO: ROBERTO MACHADO/NOA/LIGHTROCKET/GETTY IMAGES
Besitz eines Kriegers der Schlacht an der
Tollense FOTO: V.MINKUS
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