Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Teuteberg, Lindner:
Auch am
Parteichef wächst
vorsichtig Kritik.

ddp images/Sven Simon


Ich verstehe


den


Liberalismus


nicht nur


als unter-


nehmerische


Freiheit,


sondern als


individuelle


und gesell-


schaftliche


Grundhaltung.


Linda Teuteberg
FDP-Generalsekretärin

weit auseinander. So sagt Marie-Agnes Strack-Zim-
mermann, FDP-Vorstandskollegin, Bundestagsab-
geordnete und seit Neuestem Spitzenkandidatin ih-
rer Partei für den Oberbürgermeisterposten in Düs-
seldorf: „Ihr fehlt noch die Freude zuzubeißen. Sie
weiß, dass sie bissfreudiger werden muss. Sie wird
ihre Doppelrolle noch finden, nämlich die Partei in-
haltlich zu inspirieren und gleichzeitig die Wettbe-
werber zu attackieren. Sie ist eine kluge Frau und
wird das schaffen!“ Der Ex-Topmanager und FDP-
Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger hin-
gegen ist sehr zufrieden und lobt: „Linda Teute-
berg: differenziert, wie ich es mir wünsche. Kein
,Schlag drauf ‘, sondern unaufgeregt klare Kante.“
Teuteberg selbst kennt die Kritik an sich und
auch die gut gemeinten Ratschläge. Darauf ange-
sprochen, erklärt sie, während ihr Chauffeur sie
durch Erfurt und Umgebung fährt: „Ich kann auch
Attacke. Es dominieren derzeit in der Öffentlichkeit
aber die extremen Positionen von Grünen in der
Klimapolitik und der AfD in der Migrationspolitik.
Sie sind einfacher und unbedingter und finden des-
halb leichter Aufmerksamkeit als unsere um Diffe-
renzierung bemühten Aussagen. Ich mache mir
deshalb natürlich jede Menge Gedanken, wie sich
unsere Positionen zuspitzen lassen, aber Zuspit-
zung um jeden Preis ist nicht mein Ding.“ Und in
puncto Wirtschaft weiß sie: „Über Wirtschaft und
die Voraussetzungen unseres Wohlstands sprechen
wir insgesamt viel zu wenig. Vieles wird wegen der
positiven Entwicklung der vergangenen Jahre für
selbstverständlich gehalten. Vielleicht ändert sich
das jetzt aber mit der möglichen Krise.“

H


inzu kommt eine Crux: Ein Politiker
sollte nicht zu häufig in Talkshows
auftreten, aber auch nicht zu wenig.
Teuteberg war bisher nur einmal bei
Maybrit Illner zu Gast und noch nie
bei Anne Will, Markus Lanz oder Frank Plasberg.
Sie hatte zwar schon mehrere Anfragen, habe diese
auch prompt zugesagt, kurzfristig kam es dann
aber stets anders, erzählt sie.
So hatte sie nach ihrem Ausruf zum geplanten
Mietendeckel „Ruinen schaffen ohne Waffen“ zwar
zunächst eine Einladung zu „Hart, aber fair“ von
Frank Plasberg für Montag, den 7. Oktober. Dann
kam aber wieder die Absage. Das Thema habe sich
noch einmal geändert. Statt über den Mietendeckel
würde jetzt über die Bahn diskutiert. „Da kann
man nichts machen“, konstatiert Teuteberg.

Ihre offene, aber auch zurückhaltende Art und
Grundhaltung basiert auf ihrer Biografie. Teuteberg
wird 1981 als Linda Merschin in Königs Wusterhau-
sen geboren. Ihr Vater ist Ingenieur, ihre Mutter
Lehrerin. Ihr Elternhaus ist christlich geprägt. So
besucht sie nach der Schule den evangelischen Re-
ligionsunterricht: die Christenlehre. Ihre Kindheit
in der DDR hat Teuteberg, wie sie seit ihrer Hoch-
zeit 2007 mit dem Betriebswirt Björn Teuteberg
heißt, geprägt. „Ich war 1989 zwar erst in der drit-
ten Klasse. Dennoch habe ich bis dahin schon Un-
freiheit erlebt“, erzählt sie. So sei ihr als Kind auf-
gefallen, dass die Verwandtschaft aus West-
deutschland immer nur zu Besuch kam. Sie selbst
und ihre Eltern aber nie dorthin fuhren.
Im wiedervereinigten Deutschland besucht Teu-
teberg das Katholische Gymnasium Bernhardium
in Fürstenwalde/Spree. 1998 interviewt sie für die
Schülerzeitung den damaligen Bundesaußenminis-
ter Klaus Kinkel (FDP), der auf Wahlkampftour in
Brandenburg ist. Auf das Gespräch bereitet sie
sich vor, liest unter anderem die damals gerade
beschlossenen „Wiesbadener Grundsätze für die
Liberale Bürgergesellschaft“. „Ich war erst vom
Programm – dem dort beschriebenen umfassen-
den Liberalismus – und dann von Klaus Kinkel be-
eindruckt“, erinnert sie sich.
Es folgt eine steile politische Karriere: Mit 28 Jah-
ren wird Teuteberg Landtagsabgeordnete in Bran-
denburg. In Potsdam zeigt sie die von ihr derzeit

eingeforderte Bissfreude. Mit dem damaligen Mi-
nisterpräsidenten von Brandenburg, Matthias
Platzeck (SPD), liefert sie sich Rededuelle. Als er sie
als „süß“ bezeichnet, maßregelt sie ihn: „Süß oder
nicht süß ist für mich keine Kategorie.“ Platzeck
entschuldigt sich bei ihr.
Im Jahr 2017 zieht Teuteberg als Spitzenkandida-
tin der FDP Brandenburg in den Bundestag ein. In
Berlin wird sie Mitglied im Innenausschuss und
dort auch Obfrau ihrer Fraktion sowie Sprecherin
für Migration. In dieser Funktion findet sie deutli-
che Worte, die ihr und der FDP viel Aufmerksam-
keit einbringen – aber auch den Vorwurf, sich als
„AfD light“ zu inszenieren: „Die heutige Abschiebe-
praxis ist lebensfremd. Wer ausreisepflichtig ist,
muss vor der Abschiebung vorübergehend in Ab-
schiebehaft genommen werden können.“ Und wei-
ter: „Ausreisepflichtige vor einer Abschiebung zu
warnen oder ihnen beim Untertauchen zu helfen,
ist weder edel noch eine Bagatelle.“
Es wird klar, Teuteberg will Aufmerksamkeit,
kriegt sie bisher aber nur bedingt. Obwohl sie das
ärgert, scheint sie mit sich selbst im Reinen zu
sein. Bei einer Thüringer Rostbratwurst am frühen
Abend in der Fußgängerzone von Erfurt be-
schreibt sie sich selbst: „Ich bin ein ernsthafter
Mensch, der weder spielerisch noch taktisch Poli-
tik macht. Ich bin streitlustig, aber nur, wenn es
um die Sache geht und konstruktiv ist. Es ist ein
Wert an sich, sich politisch einbringen zu dürfen –
und zwar besonders für einen Menschen wie
mich, der in einer Diktatur aufgewachsen ist.“ Sie
habe dieses Amt mit der Absicht angetreten, die
FDP breiter aufzustellen. „Ich verstehe den Libera-
lismus nicht nur als unternehmerische Freiheit,
sondern als individuelle und gesellschaftliche
Grundhaltung.“
Ob das reicht? „Ihre Durchschlagskraft war des-
halb bisher noch nicht voll durchgreifend, weil ihr
Mitarbeiterstab erst jetzt komplett ist“, versucht
Wolfgang Kubicki zu erklären. Der streitbare FDP-
Vize ist einer der frühen Förderer von Teuteberg.
Ihm gefiel einst ihre Unerschrockenheit, mit der sie
sich etwa auch ohne die Unterstützung ihres Lan-
desverbands auf dem Bundesparteitag zur Wahl in
den Vorstand stellte – und gewählt wurde. Kubicki
erklärt: „Sie testet noch ihre Wirkungsmacht und
welche Argumente wie in der Öffentlichkeit wir-
ken. Sie hat mein vollstes Vertrauen. Sie ist eine
sympathische und ausdauernde Kämpferin und
wird ihre Sache sehr gut machen.“

FDP-Parteitag,
Berlin:
Linda Teuteberg
lächelt oft, hört
konzentriert zu.
Poltern liegt ihr
nicht. Ihre Kritiker
legen ihr das als
Schwäche aus.

ddp images / Henning Schacht


Report


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WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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