Handelsblatt - 18.10.2019

(Joyce) #1
Zugleich stellt er aber klar: „Entschei-
dend für uns ist, dass der Drittelmix
in der gesamten Stadt knallhart
durchgezogen wird, Investoren sich
also bei der Behörde keine Sonderge-
nehmigung holen können.“
Geld für die Sozialwohnungen holt
sich Hamburg am Kapitalmarkt. Erst
in dieser Woche emittierte die städti-
sche Förderbank ihren zweiten soge-
nannten Social Bond und sammelte
250 Millionen Euro ein. Der Bond
wurde deutlich überzeichnet, trotz
eines mageren Kupons von 0,01 Pro-
zent. Knapp 150 Millionen Euro sind
zudem jährlich im Stadt-Haushalt für
Sozialbau reserviert.
Doch im Zuge steigender Bau- und
Bodenpreise gerät der Drittelmix in
die Kritik. 1 000 bis 1 500 Euro je
Quadratmeter würden Eigentums-
wohnungen dadurch im Schnitt teu-
rer, rechnet Investor Becken vor –
schließlich müssen diese Wohnun-
gen den Bau der Sozialwohnungen
querfinanzieren. Skurrile Folgen hat
der Drittelmix vor allem in Europas
größtem innerstädtischem Erweite-
rungsgebiet, der Hafencity. Nach-
dem dort anfangs allein Luxuswoh-
nungen entstanden sind, werden
nun neben Nobelwohnungen für
15 000 Euro je Quadratmeter Sozial-
wohnungen am Wasser gebaut. Die
Folge: In der Hafencity können künf-
tig besonders gut betuchte und Men-
schen mit Wohnungsschein leben –
die Mittelschicht bleibt bis auf einige
Genossenschaftsprojekte außen vor.
Bei den Baugenehmigungen bleibt
Hamburg Vorreiter: Zwischen Januar
und September hat die Hansestadt
9 300 Wohnungen genehmigt, 1 100
mehr als noch im Vorjahr. Zum Ver-
gleich: Nach aktuellen Zahlen sind
die Baugenehmigungen bundesweit
zwischen Januar und August um 2,5
Prozent auf 228 500 Wohnungen ge-
sunken. Das sei deutlich zu wenig,
kritisieren Branchenverbände. Doch
selbst für Hamburg gibt es Mahner:
Die ausgewiesenen Baulandflächen
seien ausgereizt. Es sei unabdingbar,
dass in großem Maßstab neues Bau-
land für den Wohnungsneubau aus-
gewiesen wird, fordert der Lobby-
verband der Baubranche, BFW, im
September.

Die Hamburger Hoffnungen ruhen
zum Beispiel auf Grundstücksflächen
im Osten der Stadt. In Oberbillwer-
der, wo heute noch Felder liegen,
soll ein Reißbrettviertel neuen Typs
entstehen, durchmischt mit allen
Wohntypen bis hin zum Sozial-Rei-
henhaus, dazu Gewerbe- und Erho-
lungsflächen. Solche Grundstücke
kann die Stadt verbilligt abgeben –
und sollte das öfter tun, findet Inves-
tor Becken. In anderen Neubauge-
bieten auf privatem Grund, etwa auf
dem Gelände der Holsten-Brauerei
in Altona, gehe die Rechnung kaum
noch auf, seien die verlangten Preise
für freien Wohnungsbau nicht nach-
haltig erzielbar. „Wohnungsbau ist ei-
ne der größten gesellschaftlichen He-
rausforderungen. Wenn das nicht ge-
lingt, werden die Leute auf die
Straße gehen und das mit Steinen
fordern“, warnt er.
Zwischen 2016 und 2019 sind die
Hamburger Grundstückspreise um

12,4 Prozent gestiegen. „Und diese
Entwicklung wird wohl auch in Zu-
kunft anhalten“, sagt Dorothee Sta-
pelfeldt, die Stadtentwicklungssena-
torin (SPD). Sie kündigt weitere Maß-
nahmen an: „Wir wollen mehr
Grundstücke in Erbpacht vergeben
und den Erbpachtzins von zwei auf
1,7 Prozent senken“, sagt sie. Bei den
Baugenehmigungen hat sie ein klares
Ziel vor Augen: Bis zu 3 500 Sozial-
wohnungen sollen bewilligt werden.
Vom in Berlin geplanten Mietende-
ckel hält die Hamburgerin indes
nichts: „Abgesehen von allen verfas-
sungsrechtlichen Bedenken würde
er auch die sozialen Vermieter tref-
fen“, sagt sie mit Blick auf die städti-
sche Wohnungsgesellschaft Saga.
Für das „Paloma-Viertel“ an der
Reeperbahn gibt es indes Hoffnung.
Die Bayerische Hausbau hält am Bau-
start im kommenden Jahr fest. 2023
soll der Hybrid aus Wunscharchiv
und Betriebswirtschaft stehen.

Zukunftsvision:
So soll das Paloma-
Viertel nahe der
Reeperbahn einmal
aussehen.

picture alliance / Daniel Bockwo

München

Städtischer Wohnungsbau
Fertiggestellte Wohnungen je 1 000 Einwohner*

5,90

4,67

6,45

3,44

*Jeweils anhand der Bevölkerungszahl 2016
HANDELSBLATT

2009 2012 2015 2018

Quellen: Empirica regio, Destatis, eigene Berechnungen

7,5

5,0

,5

0

Hamburg Berlin Köln

besser da als andere Städte“, bestä-
tigt Dieter Becken, einer der bekann-
testen Hamburger Immobilienent-
wickler. Scholz’ Nachfolger Peter
Tschentscher (SPD) trägt die Pläne
mit in den anstehenden Bürger-
schaftswahlkampf. Selbst Oppositi-
onspolitiker Jörg Hamann (CDU) kriti-
siert allenfalls Details. Manches Neu-
baugebiet hält er für zu groß, einige
Umweltauflagen für zu teuer.
Als ein zentraler Erfolgsfaktor gilt
ein 2011 geschlossenes Bündnis zwi-
schen der Stadt und Verbänden der
Wohnungswirtschaft. Die Stadt ver-
pflichtete sich zu Förderung und
schneller Genehmigung, die Woh-
nungswirtschaft erkannte das Ziel an,
ein Drittel ihrer Wohnungen als ge-
förderten Wohnungsbau entstehen
zu lassen – auch in noblen Stadttei-
len. 10 000 Wohnungen sollen jähr-
lich entstehen. Das Bündnis gilt als
Vorbild für anderen Metropolen.


Verlässliche Vorgaben


Im holzvertäfelten Salon einer 120
Jahre alten Villa, seinem Amtszim-
mer, berichtet der Leiter des Bezirks
Bergedorf, Arne Dornquast, über ei-
nen wesentlichen Erfolgsfaktor: die
2011 eingerichtete monatliche Ta-
gung einer Senatskommission. Das
ist eine Runde aus dem Ersten Bür-
germeister, der Wohnungsbau-Sena-
torin, Behördenchefs und Oberbau-
direktor sowie dem Chef der kommu-
nalen Wohnungsgesellschaft Saga.
Diskutiert wird eine stets aktuell ge-
haltene Liste von Bauvorhaben, bei
denen es Konflikte gibt – Bedenken
des Denkmalschutzes, Anwohnerpro-
teste, Stellplatzvorgaben. Das hoch-
rangige Gremium habe einen „erzie-
herischen Effekt“, sagt Dornquast:
Für die Verwaltungsbeamten sei es
unangenehm, einen Konflikt bis zur
Senatskommission zu eskalieren.
Zudem stockten die Planungsbe-
hörden beim Personal auf. So konn-
ten die Bezirke 55 Ingenieurstellen
ausschreiben. „Mit den vorhandenen
Ressourcen hätten wir die Genehmi-
gungsziele nicht erreichen können“,
sagt Dornquast. Wichtig für den stu-
dierten Stadtplaner und früheren
Baudezernenten ist auch frühzeitige,
verlässliche Beratung für Investoren.








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Immobilien
WOCHENENDE 18./19./20. OKTOBER 2019, NR. 201
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