Handelsblatt - 17.10.2019

(Ron) #1

Ulf Sommer Düsseldorf


D


eutschland lieferte Porsche und be-
kam Lehman-Zertifikate.“ So be-
schrieb der Wirtschaftswissenschaft-
ler Hans-Werner Sinn schon vor zehn
Jahren die Diskrepanz der Deutschen
zwischen ihren hohen Leistungsbilanzüberschüs-
sen und ihren Verlusten mit Finanzanlagen.
US-Amerikaner sprechen vom „dumb German
money“, dem dummen deutschen Geld. Damit
ist auch gemeint, dass hierzulande zwar fast jeder
Drei-Streifen-Turnschuhe, solide Versicherungs-
policen und hochwertige Halbleiter in seinem Au-
tobordcomputer nutzt – aber nicht in diese Un-
ternehmen investiert, um am Gewinn teilzuha-
ben. Ausländer dagegen mögen diese seit Jahren
exzellent geführten Konzerne so gerne, dass sie
die Mehrheit an ihnen halten: Beim Sportartikel -
hersteller Adidas sind es 83 Prozent der Aktien,
bei der Versicherungsgesellschaft Allianz 68 Pro-

zent und beim Technologiekonzern Infineon 72
Prozent.
Der Einsatz ausländischer Aktionäre hat sich
gelohnt. Wer die Aktien dieser Unternehmen seit
fünf Jahren hält, hat mit ihnen satte Gewinne er-
wirtschaftet. Aus 5 000 Euro sind bei der Allianz
bis heute 8 650 Euro geworden, bei Infineon
10 250 und bei Adidas sogar 25 200 Euro. Diese
Unternehmen bieten zudem Jahr für Jahr steigen-
de Dividenden, die hier nicht eingerechnet sind,
aber vor allem bei der Allianz noch starke Zuge-
winne brachten.
Ebenso global wie die Herkunft ihrer Anteilseig-
ner sind die Geschäfte von Adidas & Co.: Mehr als
drei Viertel ihrer Umsätze (77 Prozent) erzielen die
Dax-Konzerne nach Handelsblatt-Berechnungen im
Ausland. Wichtigste Einzelmärkte sind neben dem
deutschen Heimatmarkt die USA und China. Frese-
nius Medical Care (FMC), Heidelberg Cement, Adi-

das, Linde und Merck erwirtschaften sogar mehr
als 90 Prozent ihrer Geschäfte im Ausland.
Ohne den seit Jahrzehnten weitgehend stagnie-
renden Heimatmarkt könnten die Aufträge schon
lange nicht mehr zulegen und die Gewinne steigen.
Folgerichtig beschäftigen die Unternehmen auch
ihre meisten Mitarbeiter im Ausland. Mitte der
1990er-Jahre arbeiteten 60 Prozent der Angestell-
ten in Deutschland, inzwischen sind 2,5 der vier
Millionen Dax-Beschäftigten – also über 60 Prozent


  • in Auslandsmärkten auf allen fünf Kontinenten tä-
    tig. Bei Adidas, Heidelberg Cement, Linde, Freseni-
    us Medical Care und Henkel arbeiten über 80 Pro-
    zent der Angestellten außerhalb Deutschlands.
    Das sieht nach purer Globalisierung aus. Nur
    wenn es darum geht, wer das Sagen hat, geht es
    immer noch recht deutsch zu. Doch der Trend
    zeigt aktuell auch hier in Richtung Internationali-
    sierung. Von den 30 Vorstandsposten, die die Un-


Die neue Globalisierung

im Topmanagement

Wenn es um die Führung ging, blieben deutsche Vorstände und Aufsichtsräte lange


Zeit gerne unter sich. Das ändert sich gerade. Eingestellt werden immer öfter ausländische


Topmanager – zum Vorteil vor allem der Aktionäre.


Max Brugger, REUTERS, imago stock&people

Covestro-Managerin
Sucheta Govil: Mehr
ausländische Frauen
rücken in die Vorstände. Liveorg

Dax-Konzerne
Merck, Adidas, MTU:
Die Unternehmen
treiben ihre Interna-
tionalisierung voran.

Titelthema


Erfolgsfaktor Diversity


DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200


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