Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1

Wirtschaft & Politik


MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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von 250 Milliarden Dollar bleiben vorerst beste-


hen. Auch niedrigere Zollsätze auf Waren im Wert


von 110 Milliarden Dollar lassen die USA unverän-


dert. Für Dezember hatte Washington zudem wei-


tere Zölle auf Konsumgüter im Wert von 160 Milli-


arden Dollar angekündigt. Laut dem US-Handels-


beauftragten Lighthizer gibt es noch keine


Entscheidung, wie damit verfahren werden soll.


Von einem Durchbruch, der Lieferketten und In-


vestoren langfristig beruhigt, kann man also noch


nicht sprechen.


Boeing als großer Profiteur?


Offen ist bisher auch, inwieweit die jetzige Teileini-


gung auf Kosten europäischer Firmen gehen wird.


Neben den neuen Absatzchancen für Amerikas


Landwirte hatte Trump auch andere Aspekte des


Deals als „großartig“ bezeichnet und etwa die Be-
reiche Technologie und Finanzdienstleistungen ge-
nannt. So könne die Einigung mit China dem Flug-
zeughersteller Boeing zusätzliche Aufträge über 16
bis 20 Milliarden Dollar bescheren, twitterte der
Präsident.
Ein Konzernsprecher wollte die Äußerung nicht
kommentieren. Laut Boeings eigenen Berechnun-
gen wird China aber bald der größte Luftfahrt-
markt der Welt sein und in den nächsten 20 Jahren
mehr als 8 000 neue Flugzeuge im Wert von fast
drei Billionen Dollar benötigen. Bisher hatte Pe-
king jedoch die Aufträge immer gleich zwischen
Boeing und seinem europäischen Wettbewerber
Airbus aufgeteilt.
Fakt ist, dass der Handelsstreit bereits Spuren
auf dem Weltmarkt hinterlässt. In dieser Woche
warnte die neue IWF-Chefin Kristalina Georgiewa
vor einem globalen Abschwung. Würden die Straf-
zölle zwischen den Wirtschaftsgiganten nicht auf-
gehoben, könnte sich das weltweite Bruttoinlands-
produkt (BIP) um 700 Milliarden Dollar reduzie-
ren, so die Prognose des IWF. Für das laufende
Jahr erwartet der Fonds in fast 90 Prozent der
Welt ein langsameres Wachstum, verglichen mit
2018.
Auch China muss aus wirtschaftlichen Gründen
Interesse an einer Deeskalation haben. Analysten
gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachs-
tum der Volksrepublik im dritten Quartal weiter
verlangsamen wird. Bereits das Wachstum im
zweiten Quartal war mit 6,2 Prozent so schwach
ausgefallen wie seit 30 Jahren nicht mehr.
Wenn Trumps Euphorie bestätigt wird, dann
dürften sich tatsächlich zunächst die amerikani-
schen Farmer über den Deal freuen. China soll
demnach in den kommenden zwei Jahren Land-
wirtschaftsprodukte im Gesamtwert von 40 bis 50
Milliarden Dollar kaufen. 2017 exportierten die
USA nach offiziellen Angaben Agrarprodukte im
Wert von fast 20 Milliarden Dollar nach China.
Zu den Erzeugnissen zählt neben Sojabohnen
und Baumwolle auch Schweinefleisch. Bis zum En-
de des Jahres wird China rund 400 000 Tonnen
davon importieren. Das ist eine riesige Geschäfts-
chance für amerikanische Schweinezüchter, die im
vergangenen Jahr nur 85 700 Tonnen nach China
lieferten. China hat seit Ausbruch der afrikani-
schen Schweinepest Probleme, seinen Bedarf zu
decken. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der
Preis für Schweinefleisch fast verdoppelt. Laut of-
fiziellen Angaben mussten bereits mehr als 100
Millionen Schweine in China getötet werden, Be-
obachter gehen von einer noch höheren Zahl aus.
Erste US-Landwirte haben Zweifel geäußert, ob
sie die Lücke füllen können. Der Präsident ist aber
optimistisch: „Danke, China!“, twitterte er.

US-Handel mit China


Volumen in Mrd. US-Dollar


HANDELSBLATT


Januar 2017 August 2019


Quelle: US-Statistikamt

50


40


30


20





0

Importe aus China


Exporte nach China


41,2 Mrd. US$


9,4 Mrd. US$


Liu He bei Donald Trump:
Schöne Worte,
kaum kritische Themen.

Diese Verein -


barung


adressiert


keine der


Haupt ur -


sachen,


die dem


Handels- und


Wirtschafts -


konflikt


zwischen


diesen zwei


Ländern


zugrunde


liegen.


Eswar Prasad
Cornell University

Finanzmärkte


Warten auf den


Durchbruch


Robert Landgraf Frankfurt


E


uphorie sieht anders aus: In der Hoffnung
auf ein Handelsabkommen zwischen den
USA und China hatten die Anleger an der
Wall Street am Freitag zunächst auf ein weitrei-
chendes Ergebnis gesetzt. Am Ende behielten Ex-
perten wie Rolf Schaeffer von der LBBW recht,
die meinten, dass ein umfassender Deal „wohl
nicht erreichbar“ sei. Insbesondere die chinesi-
sche Seite spiele auf Zeit. So blieb es bei einem
„Interimsdeal“, auch wenn US-Präsident Donald
Trump das Ergebnis der Verhandlungen lobte.
Den Anlegern reichte das nicht. Der Dow Jones
gelangte zwar zeitweise in die Reichweite des im
Juli markierten Rekordstandes von 27 398 Zäh-
lern. Doch zum Handelsschluss blieb es bei ei-
nem Kursgewinn von 1,21 Prozent auf 26 816,
Punkte. Dank des dritten Gewinntags in Folge er-
reichte der Aktienindex immerhin ein Wochen-
plus von 0,91 Prozent.
Mit der Teileinigung ist die für die neue Woche
geplante Erhöhung der Strafzölle vom Tisch. Das
sei positiv, urteilen Marktteilnehmer. Beide Sei-
ten seien offenbar an einer Eskalation nicht inte-
ressiert. Es blieben aber viele Fragen ungeklärt,
eine umfassende Vereinbarung sei nicht in Sicht.
Zentrale Fragen wie der Umgang der USA mit
dem chinesischen Telekommunikationskonzern
Huawei blieben offen. Auch die von den USA kri-
tisierten angeblichen Währungsmanipulationen
sind weiter ein strittiger Punkt.
Mark Haefele von der UBS warnt vor zu großen
Hoffnungen. China werde keiner Vereinbarung
zustimmen, die den Yuan deutlich aufwerten
würde. Bereits jetzt schwäche sich die Wirtschaft
ab. Ein härterer Yuan würde den bereits starken
Gegenwind verschärfen.
Da eine Rücknahme der bereits verhängten
Zölle gegenüber China erst einmal nicht zu er-
warten ist, bremst das die Konjunktur. Für
Trump ist das ungünstig, denn das Rezessionsri-
siko steigt.
Dass die wirtschaftlichen Perspektiven sich
weltweit verschlechtert haben, machte die neue
Chefin des Internationalen Währungsfonds
(IWF), Kristalina Georgieva, deutlich. Für sie be-
findet sich die Welt im „synchronisierten Ab-
schwung“.
„Der IWF sieht in 90 Prozent der Welt einen
rückläufigen Wachstumstrend“, sagt Robert Greil
vom Bankhaus Merck Finck. „Wir erwarten daher,
dass er in der neuen Woche zum fünften Mal in
Folge seine weltweite Wachstumsprognose redu-
ziert.“ Er rechnet global mit einem etwa dreipro-
zentigen Wirtschaftswachstum in Richtung 2020.
Mitte nächster Woche veröffentlicht die US-
Notenbank Fed ihren Konjunkturbericht für die
USA. Nach Ansicht von Bernd Weidensteiner von
der Commerzbank wird er zeigen, dass sich der
US-Arbeitsmarkt ganz gut hält und der Woh-
nungsbau wieder anzieht. Doch die Stimmung
der US-Firmen habe sich weiter eingetrübt, ur-
teilt die Bank, wobei die seit Längerem schwieri-
ge Lage der Industrie „allmählich die Dienstleis-
ter in Mitleidenschaft zieht“.
Aber Trump kann auf die Fed setzen. Sie werde
wegen des Handelskonflikts die Leitzinsen auf
der Sitzung Ende Oktober erneut senken, urtei-
len Beobachter. Die Markterwartungen haben
sich verfestigt. Analysten rechnen mit einer Zins-
senkung um einen Viertelprozentpunkt auf 1,
bis 1,75 Prozent.
Für Luca Paolini, Chefstratege bei Pictet Asset
Management, ist „der Handel das größte Problem
der Wirtschaft“. Zwar konsumierten die Verbrau-
cher weiter, aber die Exporteingänge fielen ange-
sichts höherer Zölle und anderer protektionisti-
scher Maßnahmen. Er untergewichtet Aktien und
Anleihen und setzt auf sichere Anlagen.
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