Die Welt Kompakt - 15.10.2019

(nextflipdebug5) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,15.OKTOBER2019 WISSEN 27


ERNÄHRUNG


Pflanzliche Milch


nicht für Kinder


Pflanzliche Milch, aromati-
sierte Milch und andere ge-
süßte Getränke sollten für
Kinder unter fünf Jahren tabu
sein. Der Zuckerzusatz för-
dert Karies und trägt zu vie-
len Extrakalorien bei, ohne
zu sättigen, warnt der Berufs-
verband für Kinder- und
Jugendärzte (BVKJ). Pflanzli-
chen Milchalternativen fehl-
ten oft Nährstoffe, die die
Kuhmilch besitzt. Eltern
sollten höchstens dazu grei-
fen, wenn ein Kind auf Milch-
produkte allergisch reagiert,
laktoseintolerant ist oder die
Familie unbedingt auf tieri-
sche Produkte verzichten
will. Zuvor sollten sie sich
allerdings vom Kinderarzt
beraten lassen, rät Hans-
Jürgen Nentwich, Mitglied
des BVKJ. Es komme darauf
an, welcher Milchersatz aus-
reichend Eiweiß, Kalzium
und Vitamin D enthält.


ARCHÄOLOGIE


Uralte Grabenanlage


nahe Tübingen


Erstmals haben Archäologen
im Neckarraum ein Graben-
system eines jungsteinzeitli-
chen Dorfes entdeckt. Die
Anlage bei Ammerbuch im
Landkreis Tübingen stammt
nach Einschätzung der For-
scher der Universität Tübin-
gen und des Landesamts für
Denkmalpflege aus dem 53.
Jahrhundert vor Christus.
Die Archäologen fanden auch
das Grab einer Frau, die im



  1. Jahrhundert vor Christus
    bestattet wurde. Die Tote
    trug eine Kette aus Kalkstein-
    perlen um den Hals. Solche
    Schmuckstücke aus der frü-
    hen Jungsteinzeit waren
    bislang aus dem Karpaten-
    becken und Balkanraum be-
    legt, nicht aber in Süd-
    deutschland.


THÜRINGEN


West-Nil-Virus bei


Pferd entdeckt


Bei einem Pferd in Thüringen
ist das West-Nil-Virus nach-
gewiesen worden. Das Tier
stammt aus einem Bestand
im Unstrut-Hainich-Kreis,
wie das Gesundheitsministe-
rium mitteilte. Das Ministeri-
um empfiehlt allen Pferdehal-
tern, ihre Tiere zu impfen.
Eine Übertragung des West-
Nil-Virus auf Menschen sei
selten. Durch die Erkrankung
kann es bei Pferdenzu Hirn-
und Hirnhautentzündungen
kommen, was wiederum zu
Lähmungen, Bewegungs-
störungen und Muskelschwä-
che führen könne.


KOMPAKT


I

n Deutschland leben 1,7 Mil-
lionen Menschen mit De-
menz. Die meisten davon
sind von der Alzheimer-Er-
krankung betroffen. Doch jetzt
haben Wissenschaftler eine
neue Form identifiziert: die La-
te-Demenz. Özgür Onur, Leiter
der Arbeitsgruppe Altern und
Demenz an der Universitätskli-
nik Köln, erklärt, warum die Di-
agnose auch eine Chance für
die Medizin ist.

VON JÖRG ZITTLAU

WELT:WWWie kam es zu der Ent-ie kam es zu der Ent-
deckung der neuen Demenz?
ÖZGÜR ONUR:Wir beobachten
schon seit Jahren viele Patien-
ten, die zwar die Symptome der
Alzheimer-Erkrankung aufwie-
sen, doch wenn wir dann nach
ihren Biomarkern – also die für
die Erkrankung typischen Amy-
loide und Tau-Proteine – ge-
sucht haben, konnten wir diese
nicht finden. Oder um es plaka-
tiv auszudrücken: Alles sah aus
und verlief auch so wie eine
Alzheimer-Erkrankung, doch
was fehlte, waren die passenden
Laborwerte dazu. In Post-mor-
tem-Untersuchungen an den
Gehirnen dieser Patienten zeig-
ten sich dann Veränderungen,
die man auch von anderen De-
menzformen kennt und erst-
malig an Patienten mit Amyo-
tropher Lateralsklerose (ALS)
und Frontotemporaler Demenz
(FTD) entdeckt wurden, näm-
lich eine sogenannte TDP-43-
Proteinopathie.

Warum wählte man dann als
Namen nicht TDP-43-De-
menz, sondern Late?
Late steht für Limbic-predomi-
nant Age-related TDP-43 Ence-
phalopathy. Das betreffende
Protein steckt also schon im
Namen drin. Das Kürzel kann
man auch aussprechen wie das
englische „late“. Damit wird
zum Ausdruck gebracht, dass

diese Erkrankung oft erst im
fortgeschrittenen Lebensalter
auftritt.

Aber ist das nicht auch bei
Alzheimer der Fall?
Ja, aber nicht so wie bei Late.
Post-mortem-Untersuchungen
haben hier eine besonders star-
ke Zunahme mit dem Alter ge-
zeigt: Von einem Viertel in der
Gruppe der 75- bis 80-Jährigen
bis auf drei Viertel der über 100-
Jährigen.

Was bedeuten würde, dass
diese Demenzform wegen der
zunehmenden Alterung der
Gesellschaft eine immer grö-
ßere Rolle spielen wird, oder?
Richtig. Aber sie spielt wohl
auch jetzt schon eine große Rol-
le. In den Post-mortem-Unter-
suchungen fand man teilweise
die Late-Demenz genauso häu-
fig wie die Alzheimer-Form.

Trotzdem scheint sie unter
Ärzten eher wenig Beachtung
zu finden. Warum?
Möglicherweise weil die Entde-
ckung von Late bisher keine
Konsequenz für den Praxis-
alltag hat. Denn wir haben ja
noch keine Biomarker dafür.
Das heißt, man kann diese Er-
krankung noch nicht am leben-
den Menschen erkennen. Und
so lange das nicht geht, kann
man sie auch nicht gezielt be-
handeln.

Wir sprechen also hier von
reiner Zukunftsmusik?

Nicht unbedingt. Denn Late
weckt auch Hoffnungen auf die
Alzheimer-Therapie, deren Ent-
wicklung ja in den letzten Jah-
ren immer wieder Rückschläge
hinnehmen musste.

Inwiefern?
Sie bietet eine Erklärung, wa-
rum Alzheimer-Therapien und
auch die Studien zu diesen The-
rapien oft nicht die Wirkung
haben, die man sich von ihnen
erhofft hat. Denn wenn es sich
bei der behandelten Demenz
gar nicht um Alzheimer han-
delt, sondern um Late, können
ja die Medikamente zur Be-
handlung von Alzheimer gar
nicht wirken. Man schätzt, dass
ein gehöriger Anteil der Patien-
ten, die anhand ihrer klinischen
Symptome eine Alzheimer-Di-
agnose erhalten, in Wirklich-
keit an Late erkrankt sind. Die
sind bisher einfach nur als so-
genannte Non-Responder, bei
denen die herkömmlichen Alz-
heimer-Therapien partout
nicht wirken wollen, hinten
rausgefallen. Sofern aber erst
mal die Biomarker und damit
Methoden zur exakten Diagno-
se von Late da sein sollten, wür-
de das nicht nur die Therapie-
chancen für diese Erkrankung,
sondern auch für Alzheimer er-
höhen. Denn dann könnte man
beide mit viel größerer Präzisi-
on behandeln.

Wann ist denn damit zu rech-
nen?
Ich hoffe, dass dies in einigen
Jahren der Fall ist. Bis dahin
sollten bei Demenzverdacht die
bisher bekannten Alzheimer-ty-
pischen Biomarker bestimmt
werden. Denn wenn diese un-
auffällig sind, wird Late wahr-
scheinlicher.

Hat die Late-Demenz nicht
auch einige Symptome, in de-
nen sie sich von Alzheimer
unterscheidet? Dann wäre ja

möglicherweise auch eine dif-
ferenzierte Diagnose ohne die
Tests möglich?
Bei Late scheint der kognitive
Abbau langsamer fortzuschrei-
ten als bei Alzheimer. Mögli-
cherweise unterscheidet sich
auch das Ausmaß des Verlustes
an Neuronen im Hippocampus,
dem Gedächtnisareal. Aber an-
sonsten sind die Überlappun-
gen schon ziemlich groß. Es
laufen zwar Bemühungen, Alz-
heimer und Late anhand ihrer
Symptomatik und anhand ko-
gnitiver Tests zu unterschei-
den. Doch damit lässt sich al-
lenfalls eine Richtung feststel-
len, also ob etwa die Defizite
eher Sprache, Erinnerung oder
praktische Fähigkeiten betref-
fen. Für eine konkrete Unter-
scheidung zwischen Late und
Alzheimer reicht das nicht.

Kommt es denn vor, dass bei-
de Erkrankungen gleichzeitig
auftreten?
Ja, das kommt nicht selten vor.
Und dann kommt ja als dritte
Form noch die vaskuläre De-
menz infrage, die sich aufgrund
von Durchblutungsstörungen
im Gehirn entwickelt, etwa als
Folge eines Schlaganfalls. De-
menz kann durchaus ein Misch-
bild all dieser Formen sein, was
die Therapie natürlich noch
einmal schwerer macht.

Wie sieht denn die Situation
bei der Therapie von Demenz-
erkrankungen aus? Man hat
oft den Eindruck, dass viel
Hoffnung erzeugt, aber kein
Durchbruch erzielt wird.
Ein wirklicher Durchbruch im
Sinne einer verfügbaren Thera-
pie, die bald zum Einsatz
kommt, ist nicht abzusehen.
Nichtsdestotrotz gewinnen wir
auch mit jeder gescheiterten
Studie Erkenntnisse, die in der
Weiterentwicklung helfen und
uns hoffentlich Schritt für
Schritt näher ans Ziel bringen.

GETTY IMAGES/ SCIENCE PHOTO LIBRARY

/ ANDRZEJ WOJCICKI

Özgür Onur

PRIVAT

/

Die andere


DEMENZ


Bei einer jüngst entdeckten Form der Erkrankung schlagen gängige Medikamente


nicht an. Eine eindeutige Diagnose ist erst nach dem Tod möglich.


Trotzdem birgt die Entwicklung in der Hirnforschung auch Hoffnung

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