Düsseldorf– Immermehr Bestellungen
imInternet, immer mehrArbeitfür dieZu-
steller: Rechnet man alle Pakete, die in
Deutschland im vorigen Jahr verschickt
wurden, auf alle Einwohner herunter,
dann kam jeder Bürger im Durchschnitt
auf 42 Stück – so viele wie nie zuvor. So
steht es im neuen „Parcel Shipping Index“
des weltweit tätigen Postdienstleisters
Pitney Bowes. Nur in Großbritannien und
Japan klingeln die Paketboten demnach
häufiger an den Türen als hierzulande.
„Es sind allerdings nicht nurdie Online-
Shopper, die die Branche stärken“, sagt
BurkhardHeihoff,GeschäftsführervonPit-
ney Bowes in Deutschland. Vielmehr zählt
die Studie auch geschäftliche Pakete mit –
beispielsweise Büromaterial, das Firmen
sich zuschicken lassen.
Für den Index hat das US-Unternehmen
13 große Paketmärkte untersucht: Berich-
te von Behörden durchforstet, Geschäfts-
zahlen und Mitteilungen der Paketdienste
ausgewertet. Heraus kam eine Rekordzahl
von87 Milliarden Paketen,dieweltweitim
vergangenen Jahr versandt wurden – dop-
pelt so viele wie noch vor fünf Jahren. Das
bedeutet: In jeder Sekunde tragen Zustel-
ler auf der ganzen Welt 2760 Pakete aus.
Und die Autoren prognostizieren, dass
sich die Menge in den nächsten sechs Jah-
renabermalsverdoppelnwerde–trotzvie-
ler Handelskonflikte, Brexit-Wirren und
anderer Unsicherheiten. Denn in sich ent-
wickelnden Volkswirtschaften wie Indien
haben die Menschen im Durchschnitt
mehr Geld zur Verfügung; immer mehr
Haushalte erhalten Zugang zum Internet –
unddamit auch zum Onlinehandel. In Bra-
silien und China wurden Pitney Bowes zu-
folge allein 2018 ein Viertel mehr Pakete
verschickt als im Vorjahr.
VondemWachstumprofitierenLogistik-
konzerne wie die Deutsche Post, UPS oder
TNT.AuchderhiesigePaketmarktkonsoli-
diere sich: hin zu den großen Spediteuren,
so die Autoren, „während kleine Anbieter
einbrechen, geschluckt werden oder vom
Markt verschwinden“. So habe die Post-
TochterDHLimvorigenJahr47 Prozental-
ler Pakete hierzulande befördert, gefolgt
von Hermes und UPS. DHL wachse seit
2014 konstant, heißt es in der Studie, „alle
anderengroßenPost-undPaketdiensteha-
ben in diesem Zeitraum stagniert oder
sind sogar geschrumpft.“ Ein großer Vor-
teil der Post ist, dass auf dem Land ein und
derselbe Bote Briefe und Pakete austrägt;
so verteilen sich die Kosten jeder Fahrt.
Im Gegensatz zum Briefmarkt liefern
sich hiesige Paketdienste einen harten
Preiswettbewerb, vor allem in den Städ-
ten.Zu denSchattenseiten gehörenfreilich
derVerpackungsmülldervielenPaketeso-
wie die Emissionen der Transporter. Zu-
dem hat der Boom zwar Zehntausende
Arbeitsplätze geschaffen, aber auch viele
prekäreArbeitsverhältnissemitSubunter-
nehmernundniedrigenLöhnen.NachRaz-
zien desZolls undderBundespolizeihaben
dieBehörden indiesemJahr ineinigenTau-
send Fällen Anhaltspunkte dafür gefun-
den, dass Arbeitgeber etwa den Mindest-
lohn unterschritten oder Fahrer aus dem
Ausland illegal beschäftigt haben. Daher
hat das Bundeskabinett im September ein
Gesetz auf den Weg gebracht, wonach Pa-
ketdienste künftig für die Sozialversiche-
rungsbeiträge ihrer Subunternehmer haf-
ten sollen. bened ikt müller
von jan willmroth
Frankfurt–AlssieeinKindwar,soerzähl-
te es Esther Duflo vor wenigen Jahren, ha-
be sie ihren Wohlstand irgendwann als
Last empfunden. Die Mutter, eine Ärztin,
reiste und erzählte viel von Entwicklungs-
projekten, das Kind las und machte sich
ein Bild von einer Welt, in der noch immer
viele Menschen in absoluter Armut leben.
Das frühe Wissen darum, wie gut es ihr
geht,habesiezuihrerForschunggebracht,
erzählte Duflo vor vier Jahren in einem In-
terviewmitderSZ.„Ichhabeversucht,mei-
neSchuldgefühlezukompensieren,indem
ich die Armut erforsche.“
Damit ist sie weit gekommen. Am Mon-
tagmittag zeichnete die Schwedische Aka-
demie der Wissenschaften die Ökonomin
mit dem Wirtschaftsnobelpreis aus. Sie
teilt sich den Preis mit ihrem Mann Abhijit
Banerjee, mit dem sie das Poverty Action
Lab, ein internationales Zentrum für Ar-
muts- und Entwicklungsforschung, an der
Bostoner Universität MIT gegründet hat
undleitet.Mitausgezeichnetwurdeaußer-
dem der Harvard-Ökonom Michael Kre-
mer, der in den Neunzigerjahren erstmals
den Forschungsansatz wählte, den Duflo
und Banerjee perfektioniert haben, oft in
ZusammenarbeitmitKremer.DiedreiFor-
scher erhalten den Preis für ihren „experi-
mentellenAnsatzzurBekämpfungderglo-
balen Armut“, wie es in der offiziellen Mit-
teilung heißt. Mit ihrer Forschung hätten
die Preisträger die Möglichkeiten der Ar-
mutsbekämpfung wesentlich verbessert.
Ihr Ansatz hat innerhalb von gut zwei
Jahrzehnten die Entwicklungsökonomik
komplett verändert und von einem relati-
ven Nischenfach zu einem viel beachteten
Forschungsfeld gemacht. Dank Kremer,
Banerjee und Duflo sitzen Entwicklungs-
ökonomen heute nicht mehr nur an
Schreibtischen, füttern Modelle mit Daten
undversuchenaufabstraktemWegezube-
antworten, was den wirtschaftlichen Fort-
schritt in Entwicklungsländern hemmt.
Sie steigen in den Flieger und unterneh-
men Feldexperimente an Ort und Stelle,
um so präzise wie möglich herauszufin-
den, was wirklich gegen Armut hilft.
Als sie am Montag bei der Bekanntgabe
der Preise in Stockholm telefonisch zuge-
schaltet war, sagte Duflo auf die Frage
nach der Essenz ihrer Arbeit: „Es geht dar-
um sicherzustellen, dass der Kampf gegen
ArmutaufwissenschaftlichenErkenntnis-
senbasiert.“Ohnezuwissen,wiedieÄrms-
ten der Armen denken und leben, kann
mandieArmutauchnichteffektivbekämp-
fen – das ist das Leitmotiv der Preisträger.
Verbessert ein einfacherer Zugang zu
Medikamenten den schulischen Erfolg
von Kindern? Sollte man Moskitonetze ge-
genMalaria verschenken, zum vollen Preis
verkaufenodersubventionieren?Wiewich-
tig sind Mikrokredite für Kleinbauern,
und wie müssten sie organisiert sein, um
den größtmöglichen Effekt zu haben?
Die Fragen, denen sich Duflo und ihre
Kollegen widmen, sind so vielschichtig wie
die Gesellschaftsstrukturen, denen sie be-
gegnen. Um sie zu beantworten, teilen sie
etwa die Bevölkerung einiger Dörfer zufäl-
lig in mehrere Gruppen ein, von denen ei-
ne Kontrollgruppe bleibt – so wie es in der
medizinischen Forschung üblich ist. Am
Ende eines solch aufwendigen Vorhabens
steht beispielsweise ein Datensatz, der
zeigt,aufwelchemWegemandieImpfquo-
te von Kleinkindern am ehesten verbes-
sernkann,wiemandieFehlzeitenvonLeh-
rern in Schulen auf dem Land minimiert,
oder wofür extrem arme Menschen ihr
Geldausgeben,wenn es umFreizeitgestal-
tung geht.
MitihrenForschungspapierenüberdie-
se Experimente hat es Duflo unter die am
meisten zitierten Ökonomen der Welt ge-
schafft. Sie ist nach der Politologin Elinor
Ostrom die zweite Frau, die den Wirt-
schaftsnobelpreis erhält. Mit 46 Jahren ist
siezudemdiejüngstejemalsmit demPreis
ausgezeichnete Forscherin. Im Vergleich
zuvielenfrüherenPreisträgernsindBaner-
jee, 58, und Kremer, 54, ebenfalls jung.
Gleiches gilt für ihren Forschungszweig.
SosehrihrAnsatzdieökonomischeWis-
senschaft verändert hat: Er ist auch um-
stritten. Erst 2015 hatte in Angus Deaton
nicht nur ein anderer brillanter Entwick-
lungsökonom den Wirtschaftsnobelpreis
erhalten, sondern auch ein prominenter
KritikerderFeldexperimente.Erargumen-
tiert, Banerjee und Duflo würden sich zu
sehraufdieErgebnisseverlassenundallge-
meinekausaleZusammenhängeunterstel-
len, wo möglicherweise keine sind. Die so-
genannten randomisierten Kontrollstudi-
en könnten helfen, Programme in einem
bestimmten lokalen Kontext zu gestalten,
seien aber meist nicht zu verallgemeinern.
Auch der Ausschnitt aus der Bevölkerung
sei jeweils gerade nicht zufällig gewählt.
Banerjee und Duflo dagegen argumen-
tieren, die Zufallsstudien zwängen For-
scher mehr als alle anderen Methoden,
über Kausalität nachzudenken. Sie ließen
Wissenschaftler alle möglichen Daten un-
tersuchen, die sie sonst unter Verweis auf
eine schlechte Datenlage ignorieren wür-
den.AußerdemtrügendieFeldstudienent-
scheidend dazu bei, das Leben der Ärms-
ten überhaupt erst zu verstehen, und das
sei schließlich die wichtigste Grundlage.
Im Unterschied zu den anderen Nobel-
preisengehtdieweltweithöchsteAuszeich-
nung für Wirtschaftswissenschaftler nicht
auf den Namensgeber Alfred Nobel zu-
rück. Daher heißt der Preis offiziell Alfred-
Nobel-GedächtnispreisfürWirtschaftswis-
senschaften. Die schwedische Reichsbank
stiftete ihn im Jahr 1968 anlässlich ihres
300-jährigen Bestehens, ein Jahr später
wurde er erstmals verliehen. Alfred Nobel
hatte die Ökonomik seinerzeit abgelehnt,
konnte zu seinem Tod im Jahr 1896 aber
auch nicht wissen, welche Entwicklung
das Fach noch nehmen sollte.
von sibyll e haas
E
infachheitalleinistkeinSie-
gelfürQualität.Undnichtal-
les, was Menschen schnell
verstehen,mussgutfürsiesein.Ei-
ne Ampel ist ein einfaches Instru-
ment. Steht sie auf Rot, dann ist Vorsicht
geboten. Zeigt sie Grün, dann ist alles gut.
ImStraßenverkehrsindAmpelneinesinn-
volleSache.BeiRotmüssenAutofahreran-
halten, bei Grün dürfen sie losfahren. Wä-
re dies anders, dann entstünde Chaos auf
den Straßen.
Diese Schlichtheit auf die Ernährung
zu übertragen, ist gefährlich. Doch genau
das passiert mit der Lebensmittel-Ampel,
dem sogenannten Nutri-Score von Bun-
desministerinJuliaKlöckner.Dasfünfstu-
fige, farbliche Modell soll Orientierung
auf einen Blick geben. Na prima. Rot be-
deutet: Stopp! Auf gar keinen Fall essen,
macht krank. Grün bedeutet: Los! Essen,
essen, essen, macht gesund. Rot steht für
Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder
Salz. Grün steht für ausgewogene und ge-
sunde Produkte.
Die Farbskala kann jeder einfach able-
sen.UndgenaudasmachtdieSacheso be-
denklich. Denn Fischstäbchen bekom-
meneinganz gutesErgebnis –weilsieviel
Eiweiß enthalten. Auch Hähnchen-Filet-
steaks als Fertiggericht oder mit Süßstoff
und Geschmacksverstärker angereicher-
ter Joghurt und tiefgefrorene Fritten
schneiden gut ab.
Das Label gibt vor, mehr zu sein als es
ist. Es erfasst zum Beispiel keine Ge-
schmacksverstärker, Süßungsmittel und
Aromen. Durch veränderte Rezepturen
können Lebensmittelhersteller ihre Pro-
dukte mit einfachen Mitteln „gesünder“
machen, als sie es tatsächlich sind. Das ist
irreführend, und deshalb nutzt der Nutri-
Score nicht den Kunden, sondern vor al-
lem der Industrie. Dennes machtsich gut,
Produkte anzubieten, die als gesund gel-
ten. So können die Hersteller dem Zeit-
geist folgen, der die Fleischesser ächtet
und die Veganer als bessere Menschen
hoch lobt. Für die Verbraucher ist es
schwierig, die Bewertung zu überprüfen.
So kann der Nutri-Score von der Industrie
alsschönesAushängeschildfür vermeint-
lich gesundes Essen missbraucht werden.
UnddieLebensmittel-Ampelisteineschö-
ne Werbung – mit bestem Dank an das
Bundesernährungsministerium.
Die Lebensmittel-Ampel hat
das Zeug, die Verbraucher in die
falsche Richtung zu führen. Eben
weil sie so leicht verständlich ist,
bietet sie eine einfache und damit
gefährliche Orientierung an. So
wie die Auto-Navigation den Fah-
rer auch mal in den Waldführen kann,ob-
wohlerineineLandstraßeeinbiegenwoll-
te. Das ist durchaus möglich, wenn er sich
alleine aufs Navi verlässt, statt auf das ei-
gene Gespür und Wissen.
Wer ohne nachzuhaken diesem Ampel-
system vertraut, könnte sich am Ende un-
gesund ernähren. Etwa wenn er oder sie
nurFischstäbchenisstundähnlicheindus-
triell gefertigte Nahrung, die gut bewertet
wurde. Die Ampel hat aber noch weitere
Lücken. Sie erfasst kein frisches Gemüse
undObst,undsieberücksichtigtkeineVit-
amine und Mineralstoffe. Außerdem ist
sie freiwillig, die Produkte sind daher
schwierig vergleichbar.
Was also bringt der Nutri-Score? Die
Antwort ist einfach: wenig bis nichts.
Dass Obst und Gemüse gesünder sind
als Chips und Limonade, ist keine Neuig-
keit.DassvieleMenschenindenIndustrie-
ländernzudicksindundimmer mehrKin-
der übergewichtig, ist ebenfalls bekannt.
Dasistnichtschön,aberauchkeinWeltun-
tergang. Ein dicker Bauch mag nicht
schick sein, doch macht er dessen Träger
unbedingt krank? Ist ein dicker Mensch
schon alleine wegen des Dickseins unge-
sünder als ein dünner? Nein. Gesundheit
und langes Leben sind mitunter eine Sa-
che der Gene, wie Dick- oder Dünnsein ja
auch. Die Lebensmittel-Ampel diskrimi-
niert dicke Menschen, und sie macht den
anderen Angst.
Der Nutri-Score ist genussfeindlich,
weil die „Note“ sagt, was man nur mit ei-
nem schlechten Gefühl zu sich nehmen
darf. Doch was gut oder schlecht ist für
Menschen, darf keine Ampel entscheiden
- sondern jeder selbst. Ein Stück Fleisch
von einem Tier, das natürlich und artge-
rechtaufwachsendurfte,istallenfallsbes-
ser als die Gemüsesuppe aus der Dose.
Selbst und mit Freude Gekochtes zu essen
macht mehr Spaß als grüngefärbtes Do-
senfutter auf dem Teller. Die Sahnetorte
muss ohne Scham genossen werden dür-
fen. Und wer hin undwieder eineChipstü-
te aufmacht oder einen Zuckerriegel isst,
darf kein schlechtes Gewissen haben. Wer
genießt,Maßhältundbewusstisst,macht
für seine Gesundheit schon sehr viel. Viel-
leicht sogar mehr als jene, die sich blind
auf eine Ampel verlassen. Auch besonne-
neAutofahrerversichernsich,obdieStra-
ße wirklich frei ist, wenn die Ampel Grün
zeigt.
DEFGH Nr. 238, Dienstag, 15. Oktober 2019 HF2 15
von hans von der hagen
E
inkaufen im Supermarkt ist
oft ein Ärgernis. Der Kunde
erfährt nur wenig über das,
was er kauft. Und es wird ihm zu-
gleich sehr schwer gemacht, etwas
mehr darüber in Erfahrung zu bringen:
Wesentliche Informationen etwa über In-
haltsstoffe und Nährwerte werden von
den Herstellern derart gekonnt im Klein-
gedruckten versteckt, dass sich kein Kun-
de beim Einkauf damit beschäftigen mag.
Wenn jetzt der Nutri-Score in Deutsch-
landeingeführtwird,umgenaudaszuän-
dern, kann man nur noch rufen: endlich!
Endlichgelingtesauchhierzulande,diere-
levantenInformationenüberdieNährstof-
fe eines Produkts in ein einfaches Logo zu
packen, sodass es mit wenigen Buchsta-
ben und Farben den Käufern signalisiert,
ob es eher gesund ist oder nicht. Nur Smi-
leys wären da noch einfacher gewesen.
Mit dem Nutri-Score hat die lächerli-
cheSucheimKleingedrucktennachAnga-
ben über Zucker, Salz oder Fett ein Ende.
Mehr noch: Endlich kommt da etwas aus
dem Dunkel des Einkaufsregals ans Licht,
überdaszwarunterdemStichwortgesun-
de Ernährung in unzähligen Talkshows
undArtikelndiskutiertwird,dochdasbis-
lang ausgerechnet im Supermarkt un-
sichtbarbleibt–dortalso,woesdaraufan-
kommt.
Es ist unfassbar, dass die Bürger in
Deutschland viele Jahre darauf warten
mussten. Zwar wurde schon lange disku-
tiert, wie Lebensmittel klarer gekenn-
zeichnet werden könnten, doch immer
verstand es die Industrie, alle Bemühun-
genderVerbraucherschützerinsLeerelau-
fenzulassen. Bisjetzt.IneinemPunkthat-
ten die Hersteller aber doch noch Erfolg:
Die Kennzeichnung der Produkte ist frei-
willig. Mehr als das aber zählt: Ein Anfang
hin zu mehr Transparenz ist gemacht.
Und ein guter Anfang istes dazu.Denn bei
aller Kritik, die sich Verbraucherministe-
rin Julia Klöckner im Zusammenhang mit
der Einführung des Nutri-Scores anhören
musste, gilt: Immerhin hatte sie die Grö-
ße, ein im Ausland erdachtes und erprob-
tes System den in Deutschland entwickel-
ten Alternativen vorzuziehen. Sie hat ver-
standen: Der Nutri-Score findet überall
Anklang, gerade weil er so einfach ist, das
haben viele Studien mit großer Deutlich-
keit gezeigt. Dass die Bundesbürger nun
ein so einfaches System bekom-
men, ist ein Lohn für das jahrelan-
ge Warten. Doch wie immer, wenn
etwas besonders einfach daher-
kommt, stellt sich natürlich die
Frage: Ist es vielleicht – zu ein-
fach? Richtig ist, dass Käufer im
SupermarktdenCodezwar gutsehenwer-
den, mitunter aber nur eine vage Vorstel-
lungdavonhabendürften,welcheInhalts-
stoffe sich da wie gegeneinander aufrech-
nen. Womöglich werden manche auch ei-
nen guten Score in der Eile des Einkaufs
zu einem allumfassenden Top-Rating be-
fördern und ihn damit auf Aspekte erwei-
tern, die der Nutri-Score überhaupt nicht
berücksichtigt: die Art der Herstellung et-
wa oder den Umgang mit Tieren bei Pro-
dukten mit Fleisch, Milch oder Eiern.
Das wird vorkommen, ja. Aber ist das
entscheidend? Weit mehr als solche Ein-
wände wiegt doch, dass der Nutri-Score
über die eigentliche Funktion hinaus eine
weitere wichtige Botschaft in sich trägt:
Esistsinnvoll,sichüberdieErnährungGe-
danken zu machen. Sonst ist eben irgend-
wann der Diabetes da. Genau das zeichnet
den Score aus: Er hat das Zeug, zum Kor-
rektiv aller netten Versprechungen und
der adretten Serviervorschläge auf den
Verpackungen zu werden, die die Kunden
bei jedem Einkauf aufs Angenehmste in
die Irre führen. Tatsächlich bescheinigen
Ärzte dem Nutri-Score denn auch das Po-
tenzial, zumindest bei einer flächende-
ckendenEinführungdieZahlderTodesfäl-
le durch ernährungsbedingte Krankhei-
ten um einige Prozentpunkte zu reduzie-
ren.
Allein–gelingteinesoumfassendeVer-
breitung,wennesdenHerstellernüberlas-
sen bleibt, ob sie mitmachen oder nicht?
InFrankreich,woderNutri-Scorevor eini-
gen Jahren zuerst eingeführt wurde, fin-
detsich dieAmpelderzeitvorallemaufEi-
genmarken der Supermärkte – sie haben
sich früh zu einer Kennzeichnung ver-
pflichtet. Ansonsten verzichten viele Her-
steller noch auf das Logo. Doch die Ver-
braucher können sich wehren: Inoffiziell
lässt sich der Score schon für zahlreiche,
auch hiesige Produkte im Internet abfra-
gen. Wer das mal mit den gewohnten Pro-
duktenprobiert,erlebtmanchunangeneh-
me Überraschung – etwa wegen des teils
enormenZuckergehaltsvielerLebensmit-
tel.
Keine Frage: Gäbe es den Nutri-Score
noch nicht – man müsste ihn erfinden. Er
istkeinWunder-,abereinwichtigesHilfs-
mittel beim Supermarktbesuch. Und wer
dermaleinst viele grüne Scores im Ein-
kaufswagen liegen hat, kann sich an man-
chen roten umso mehr erfreuen.
CONTRA LEBENSMITTEL–AMPEL
Zu schlicht
WIRTSCHAFT
Die Nobelpreisträger vertreten den Ansatz, Armut vor Ort zu erforschen – beispielsweise in Delhi. FOTO: SAJJAD HUSSAIN/AFP
Das Label nutzt nicht
dem Kunden, sondern
vor allem der Industrie
PRO LEBENSMITTEL-AMPEL
Endlich Klarheit
Der Boom hat viele Jobs geschaffen,
SZ-Grafik; Quelle: Pitney Bowes aber auch prekäre Verhältnisse.FOTO: DPA
Zahl der Pakete pro Kopf
74
53
42
38
36
12
2
23,
in ausgewählten Staaten im Jahr 2018
Japan
Großbritannien
Deutschland
USA
China
Norwegen
Indien
Weltweiter
Durchschnitt
2760 Pakete pro Sekunde
Weltweit wurden 2018 doppelt so viele Warensendungen verschickt wie vor fünf Jahren – neuer Rekord auch in Deutschland
Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer haben die Entwicklungsökono-
mik geprägt. Duflo, 46, ist die bisher jüngste Preisträgerin. FOTOS: REUTERS (2), AFP
Vereint im Kampf gegen die Armut
Ohne EstherDuflo, Abhijit Banerjee und Michael Kremer wüsste die Welt viel weniger darüber, wie man Armut
effektiv bekämpfen kann. Für ihre Forschung erhalten die drei den Wirtschaftsnobelpreis
Es ist unfassbar, dass
die Deutschenso
lange darauf warten mussten