Süddeutsche Zeitung - 15.10.2019

(Chris Devlin) #1
von cerstin gammelin

Berlin–Wirdsich2025jemanddaranerin-


nern, ob eine Oppositionsfraktion damals,


2019, bei den parlamentarischen Beratun-


gen zur Grundsteuerreform noch ein biss-


chen Bürokratieabbau durchgesetzt hat?


Wohl kaum. So sehen das jedenfalls Grüne


und FDP. Weswegen sie grundsätzlich be-


reit sind, am Freitag dieser Woche mit ih-


renStimmeneinesderschwierigstenGeset-


ze der großen Koalition durch den Bundes-


tag zu bringen: die Reform der Grundsteu-


er. Sie wissen, am Ende wird genau eines


wichtig sein – dass es eine sichere Rechts-


grundlage gibt, sodass Gemeinden auch


von 2020 an die Grundsteuer erheben kön-


nen;mit14MilliardenEurojährlicheineih-


rer wichtigsten Einnahmequellen.


Grüne und FDP werden bei der Reform

der Grundsteuer gebraucht, weil für die


neuen Regeln das Grundgesetz geändert


werden muss. Dazu reichen die Stimmen


von Union und SPD nicht aus; mindestens


GrüneundFDPmüssenfürdienötigeZwei-


drittelmehrheit mitstimmen. Eine solche


ZustimmungkostetdieRegierungnaturge-


mäß politische Zugeständnisse. So hatte


die Finanzexpertin der Grünen, Lisa Paus,


erklärt, die grünen Stimmen gebe es nur,


wenn die Grundsteuer nicht mehr auf die


Miete umgelegt werden dürfe. Auch die


FDP hatte Bedingungen gestellt, vor allem


wollte sie zu viel Bürokratie verhindern.


Es gehört zum politischen Kräftemes-

sen, dass sich zu Beginn der entscheiden-


denWochedieBeteiligtennocheinmal auf-


plustern, um danachErfolge verkünden zu


können. „Nach aktuellem Stand würden


die Vorschläge der SPD zu einem enormen


bürokratischen Mehraufwand für die Bür-


gerführen“,sagtFDP-FraktionsvizeChris-


tian Dürr. Man werde „diese Woche noch


weitere Gespräche führen und hoffentlich


zu einem Ergebnis kommen“. Bundesfi-


nanzministerOlafScholz(SPD)müssejetzt


klarstellen, „dass die Menschen, die ein


Haus besitzen, zukünftig keine zwei Steu-


ererklärungen ausfüllen müssen“.


Bei den Grünen ist man ähnlich staats-

tragend unterwegs. „Wenn unsere Bedin-


gungenerfülltsind,erwägenwirernsthaft,


zuzustimmen“, sagt Stefan Schmidt, kom-


munalpolitischer Sprecher der Bundes-


tagsfraktion. Eine Bedingung ist, dass die
geplante Grundsteuer C für baureife, aber
nichtbebauteGrundstückeauchdorterho-
ben werden soll, wo keine Wohnungsnot
herrsche,aberBaulückengeschlossenwer-
den müssten. Und dort, wo Wohnungsnot
herrsche, müsse die neue Grundsteuer C
schonfrühergreifen,nichterstwiegeplant


  1. Die Grünen haben dazu einen Ände-
    rungsantrag eingebracht.
    Die Koalition will bisher nur, dass alle
    Gemeinden eine Grundsteuer C erheben
    dürften, die Gebiete mit besonderem
    Wohnraumbedarf ausweisen. Ob das den
    Grünen ausreicht, war am Montag offen.


Klarwardagegen,dasssiemitderande-
ren Forderung scheitern werden: dass die
Grundsteuer nicht mehr auf die Miete um-
gelegt werden darf. Die Grünen wollen am
Freitag zwar einen Gesetzesvorschlag in
den Bundestag einbringen, der vorsieht,
im Bundesgesetzbuch die Grundsteuer bei
den umlagefähigen Kosten zu streichen.
Schmidt geht aberdavonaus,dass es keine
Mehrheit dafürgeben wird. Es sei dennoch
wichtig, „das Signal zu senden, dass wir
dranbleiben“.
Das Bundesfinanzministerium will alle
noch existierenden Bedenken gegen die
mühsam mit den Bundesländern abge-

stimmteGrundsteuerreformmiteinerPro-
tokollerklärungausräumen. DasMinisteri-
um werde „bei der Reform der Grundsteu-
erdieInteressen derLänderumfassendbe-
rücksichtigen“, heißt es in einem Entwurf.
Länder,diekünftigdiegeplanteländerspe-
zifische Öffnungsklausel nutzen und die
Grundsteuer anders als im Bundesgesetz
vorgeschrieben erheben, sollen von zu viel
Bürokratie verschont bleiben. Hinter-
grund ist, dass sich jede länderspezifische
RegelungaufdasSteueraufkommeninsge-
samt und damit auf den Länderfinanzaus-
gleich auswirkt. Bittet Bayern – bisher das
einzige Land, das die Klausel nutzen will –

die Eigentümer weniger zur Kasse als die
anderen Ländern, müsste München weni-
gerindenbundesweitenLänderfinanzaus-
gleich zahlen. Das aber soll über eine „Ma-
kroschätzung“, die das Aufkommen nach
demBundesmodellkalkulierenwürde,ver-
hindert werden.
Finanzminister Scholz muss die Grund-
steuerbisEnde2019reformieren.DasBun-
desverfassungsgerichthattediejetzigeRe-
gelwegen veralteter Grundstückswerte als
verfassungswidrigeingestuft.FürdieErhe-
bung von 2025 an sollen die Immobilien-
werte neu berechnet werden; Länder dür-
fen allerdings eigene Regeln erlassen.

Brüssel– Es geht um sehr viel Geld, und


die Positionen liegen sehr weit auseinan-


der: Die Mitgliedstaaten müssen sich auf


einen neuen Haushaltsrahmen der EU für


die sieben Jahre 2021 bis 2027 einigen.


Dies wird auch Thema beim Gipfeltreffen


der Staats- und Regierungschefs am Don-


nerstagundFreitaginBrüsselsein.DieDis-


kussionensind diesmal besondersschwie-


rig, weil mit Großbritannien ein wichtiger


Beitragszahler vermutlich wegfällt. Zu-


gleich verkündet die designierte EU-Kom-


missionspräsidentin Ursula von der Leyen


ehrgeizige – und damit kostspielige – Vor-


haben.DiefinnischeRegierung,diegerade


dieRatspräsidentschaftinnehat,unterbrei-


tetenuneinenKompromissvorschlag.Ihm


zufolge müsste Deutschland mehr zahlen,


als die Bundesregierung bislang will.


Das dreiseitige Papier der Finnen, das

der SZ vorliegt, dient zur Vorbereitung des


Gipfels; es ist Ergebnis langer Diskussio-


nen. Vorige Woche etwa gab es beim Tref-


fen der EU-Botschafter eine hitzige Debat-


te übers liebe Geld. Die Finnen schlagen


vor, dass die EU in den sieben Jahren zwi-


schen 1,03 und 1,08 Prozent der Wirt-


schaftsleistungEuropasausgebendarf.Im


aktuellenHaushaltsrahmen,der2020aus-


läuft, ist es ein Prozent(Grafik), und wohl-
habendeStaatenwieDeutschland,dieNie-
derlande oder Schweden fordern bisher,
dass sich die EU auch von 2021 an mit
höchstens einem Prozent bescheidet.
EU-Haushaltskommissar Günther Oet-
tinger schlägt dagegen eine Steigerung auf
gut 1,1 Prozent vor, allein schon deshalb,
weil die Briten wohl nicht mehr dabei sind,
dieser Prozentsatz sich also auf eine ge-
schrumpfte Wirtschaftsleistung des
Blocks bezieht. Hinter diesen Mini-Pro-
zentzahlen verbergen sich gewaltige Sum-
men: 1,1 Prozent stehen für Ausgaben von
1,279 Billionen Euro – oder 1,135 Billionen
Euro,wenndieInflationüberdiekommen-
den Jahre nicht berücksichtigt wird. Die
von den Finnen genannte Untergrenze ih-
res Kompromisses von 1,03 Prozent würde
im Vergleich zu Oettingers Rechnung satte
85 Milliarden Euro einsparen.
Das würde der Kommission nicht gefal-
len – und nicht den ärmeren Staaten, die
um die Höhe ihrer Fördergelder fürchten
müssten.DerZorndesEuropäischenParla-
ments wäre den Staatschefs ebenfalls ge-
wiss. Die Abgeordneten verabschiedeten
erst vergangene Woche mit großer Mehr-
heit eine Entschließung, in der sie sich da-

für aussprechen, das Sieben-Jahres-Bud-
get kräftig auf 1,3 Prozent aufzustocken.
Dies wäre 189 Milliarden Euro teurer als
Oettingers Vorlage. Zudem verlangen sie
mehrMittel für den Klimaschutz. Das wird
die künftige Kommissionschefin von der
Leyen sicher gern hören; die ehemalige
Bundesverteidigungsministerin will in
den klimafreundlichen Umbau der Wirt-
schaft investieren.
Der grüne Europa-Abgeordnete Ras-
musAndresenkritisiertdieKompromissli-
nie der Finnen scharf: „Der aktuelle Vor-
schlag ist beschämend“, sagt der Politiker,
der als einziger Deutscher im Verhand-
lungsteam des Parlaments für den Sieben-
Jahres-Haushaltsrahmensitzt.DieEUwür-
de bei Zukunftsthemen wie Klimaschutz
„weit zurückfallen“. Außerdem bemängel-
tedas Parlamentin seinemBeschlussvori-
geWoche,dassesvielzulangsamvorange-
he. Oettinger unterbreitete seinen Vor-
schlag bereits vor fast anderthalb Jahren,
doch die Mitgliedstaaten können sich
nicht einigen – und daher können keine
Diskussionen zwischen dem Rat, der Ver-
tretung der Mitgliedsländer, mit dem Par-
lamentbeginnen.DiesesmussdemFinanz-
rahmen zustimmen. Andresen befürchtet,

die Streitereien gefährdeten „ein pünktli-
ches Umsetzen der Förderprogramme ab
Januar 2021“.
Konsens zwischen den Regierungen
wird auch durch eine Neuerung erschwert.
Oettingerschlugvor,dassdieEUbei rechts-
staatlichen Bedenken Auszahlungen an
Länder einfrieren könne. Dahinter steht
die Sorge, dass die polnische und ungari-
sche Regierung rechtsstaatliche Prinzipi-
en aushöhlen, etwa die Unabhängigkeit
der Justiz. Der deutsche Kommissar be-
gründet die Idee ganz unverfänglich da-
mit,GeldderSteuerzahlerschützenzuwol-
len. Aber solch eine Klausel könnte natür-
lich alsDruckmitteleingesetztwerden,um
Reformen in Polen und Ungarn zu erzwin-
gen. Daher wollen die dortigen Regierun-
gen den Vorschlag verwässern.
Beim Gipfel am Donnerstag und Freitag
kommen die Staats- und Regierungschefs
einer Einigung auf den Haushaltsrahmen
wohlnichtvielnäher.IneinemEntwurffür
die Schlussfolgerungen des Treffens heißt
es lapidar, die Teilnehmer hätten ihre An-
sichten ausgetauscht, und die Finnen mö-
gen bitte bis zum nächsten Gipfel im De-
zember genaue Zahlen vorlegen. Der Streit
geht weiter. björn fink e

Berlin–Die Bundesregierungwilldenum-
strittenenchinesischen Telekomanbieter
Huawei offenbar nicht daran hindern, sich
amAufbaudesdeutschen5G-Netzeszube-
teiligen. Der Entwurf des Katalogs für
Sicherheitsanforderungen der Bundes-
netzagentur sieht keinen Ausschluss vor
und fällt an einer entscheidenden Stelle
schwächer aus als die Eckpunkte für das
Papier, die im März vorgelegt wurden.
Denn in dem Entwurf heißt es nicht mehr,
dassLieferantenfürdasMobilfunknetzob-
jektiv vertrauenswürdig sein müssen. Sie
müssen ihre Vertrauenswürdigkeit dem
Entwurf zufolge nun selbst zusichern und
eine entsprechende Erklärung abgeben.
Dies bereite aber wohl keinem Unterneh-
menProbleme,heißtesinRegierungskrei-
sen.Zuerst hattedasHandelsblattüber das
Papier berichtet. Es wurde von der Bonner
Bundesnetzagentur erarbeitet.
Die Pläne sorgen im Bundestag für eini-
ge Aufregung. Denn mit der Vorgabe von
Aufträgen für das 5G-Netz steht eine poli-
tisch brisante Entscheidung an. Die USA
hatten sich dafür eingesetzt, dass Huawei
in Europa vom Aufbau des Mobilfunknet-
zesderneuestenGenerationkomplettaus-
geschlossen wird und Ländern andernfalls
mit dem Entzug von Geheimdienstinfor-
mationen gedroht.

Esgehtvorallem umdenVerdacht,Hua-
weis Technik könne China als Mittel der
Spionage oder gar Sabotage dienen. Wa-
shington sieht den Konzern als verlänger-
ten Arm der chinesischen Regierung. So
hatteRobertStrayer,derCybersicherheits-
beauftragte des Außenministeriums zu-
letzt erklärt, die USA betrachteten jegliche
chinesische Technologie in den Netzen als
„nicht akzeptables Risiko“. Der Streit zwi-
schendenUSAundChinahatte sich zuletzt
verschärft.HuaweiwarfdenUSACyberan-
griffe zur Infiltrierung eigener IT-Systeme
vor. Justizbehörden seien von der US-Re-
gierung angewiesen worden, Huawei-Mit-
arbeiter mit Drohungen zur Kooperation
gegen den Konzern zu bewegen.
Die Bundesregierung hatte einen völli-
gen Ausschluss von Huawei schon in den
vergangenen Monaten strikt abgelehnt
und war damit auf Konfrontationskurs zu
denUSAgegangen.Sicherheitsanforderun-
gen der Bundesregierung sollen zwar nicht
vertrauenswürdige Anbieter in Deutsch-
land von den Netzen fernhalten. Huawei
sollte aber nur in kritischen Bereichen kei-
nen Zugang bekommen. Deutsche Tele-
komanbieter hatten signalisiert, dass ein
Ausschluss von Huawei den Aufbau des
Netzes, das schnellere und bessere Inter-
netverbindungengarantierensoll,verlang-
samen und verteuern könnte.
Führende Abgeordnete im Bundestag
fordern dennoch schärfere Regeln. „Hua-
wei ist dem chinesischen Staat uneinge-
schränkt verpflichtet“, warnt etwa Norbert
Röttgen(CDU), derVorsitzendedesAuswär-
tigen Ausschusses des Bundestags. Anbie-
termüssteninDeutschlanddaraufhinüber-
prüftwerden,obsievonstaatlichenEinflüs-
sen dominiert seien. Wenn das der Fall sei,
dürften sie aus Sicherheitsgründen keinen
Zugriff auf diedeutschen Netzebekommen
und sich an deren Aufbau nicht beteiligen.
Es gehe bei dem neuen Mobilfunkstandard
um ein technisches und sicherheitspoliti-
sches Zukunftsthema.
Die Bundesregierung erklärte am Mon-
tag,nochseikeineabschließendeEntschei-
dung über die Beteiligung des chinesi-
schen Netzwerkausrüsters am deutschen
5G-Mobilfunknetz gefallen. Huawei müs-
se auch nach dem aktuellen Entwurf nach-
weisen, die Sicherheitskriterien zu erfül-
len.DasPapiersollerstindennächstenTa-
gen für weitere Beratungen veröffentlicht
werden. Eine Entscheidung über den neu-
en Sicherheitskatalog soll dann bis Jahres-
ende fallen. markus balser

Auch Einwohner von Nesselwang im Allgäu zahlen weiter Grundsteuer, aber wegen einer Bayern-Klausel anders als im Rest von Deutschland. FOTO: BEATE TUERK/IMAGO

Die Vorgabe von Aufträgen


für das 5G-Netz ist eine


brisante Entscheidung


85 Milliarden Euro mehr oder weniger


Die Mitgliedstaaten können sich nicht auf einen mehrjährigen Haushaltsplan für die EU einigen. Ein neuer Kompromissvorschlag würde teuer für Deutschland


So gut wie durch


Es istso weit: Die historische Reform der Grundsteuer soll am Freitag im Bundestag verabschiedet werden. Kurz vor dem Termin stellen


Grüne und FDP noch Forderungen – die Gemeinden dürfen aber hoffen, dass ihnen die wertvolle Steuer erhalten bleibt


Der Minister braucht die


Zustimmung der Opposition und


der Bundesländer


DEFGH Nr. 238, Dienstag, 15. Oktober 2019 (^) WIRTSCHAFT HF2 17
Obergrenze für Ausgaben der EU
Vorschlag Finanzrahmen 2021 bis 2027
Ø1993 – 1999
Ø2000– 2006
Ø2007 – 2013
Ø2014 – 2020
Vorschlag 2021 – 2027
1,
1,
1,
1,
1,
Regionalförderung und Soziales
Agrarhilfen und Umweltschutz
Binnenmarkt und Forschung
Hilfen für EU-Nachbarn
Europäische öffentliche Verwaltung
Migration und Grenzmanagement
Sicherheit und Verteidigung
in Milliarden Euro
442,
378,
187 ,
123,
85,
34,
27,
SZ-Grafik;
Quelle: Europäische Kommission
Insgesamt
1 ,279 Billionen
Euro
in Prozent der Wirtschaftsleistung
Regierung schließt
Huaweinicht aus
Umstrittener Mobilfunkanbieter
darf 5G-Netz wohl mit aufbauen
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