München– AnfangOktober lud Anja Kar-
liczek Journalisten nach Berlin ein, um ei-
ne Zwischenbilanz ihrer bislang durchaus
wechselvollenAmtszeitalsBundesministe-
rin für Bildung und Forschung zu ziehen.
Sehr deutlich machte die CDU-Politikerin
dabei ihren Wunsch, nach vorne zu schau-
en und insbesondere jenes Thema hinter
sich zu lassen, das sie seit Sommer einfach
nicht loswird: die Debatte um die Vergabe
einer vom Bund mit viel Geld geförderten
Batterieforschungsfabrik nach Münster
und Ibbenbüren, ihre Heimatstadt. Seit
dem Wochenende ist klar: Dieser Wunsch
wird so schnell nicht in Erfüllung gehen.
Verantwortlich dafür ist Susanne Eisen-
mann, Kultusministerin in Baden-Würt-
temberg. Bereits amFreitagsagtesieeinen
Satz, der zwar keine frontale Rücktritts-
forderung formulierte, einer solchen aber
sehr nahekam: „Wenn sich die im Raum
stehendenVorwürfebestätigen,woraufal-
les hindeutet, ist Karliczek als Bundesfor-
schungsministerin nicht mehr tragbar.“
Die Vorwürfe, die Eisenmann ansprach,
lauten grob zusammengefasst: Im Aus-
wahlverfahren, das einen Standort für die
neue Batterieforschungsfabrik ermittelte,
habe Karliczeks Ministerium Münster be-
vorzugt – zum Schaden der Mitbewerber,
unter denen der aussichtsreichste Kandi-
dat Ulm in Baden-Württemberg war.
Eisenmann, das sollte man zur Einord-
nung im Hinterkopf haben, möchte bei der
nächsten Landtagswahl im Südwesten den
beliebten grünen Ministerpräsidenten
WinfriedKretschmannablösen.Sichalsen-
gagierteSachwalterinbaden-württember-
gischer Interessen zu präsentieren, kann
danichtschaden, selbstwennman alsKul-
tusministerin für Forschung gar nicht zu-
ständig ist. Andererseits tritt Eisenmann
als Spitzenkandidatin der CDU an – sie ist
also eine Parteifreundin Karliczeks. Das
verleihtihrerWenn-dann-Rücktrittsforde-
rung größere Brisanz als zum Beispiel je-
ner von Bernd Riexinger, der ebenfalls aus
Baden-Württemberg ist, aber eben Chef
der Linkspartei. Karliczek reagierte ent-
sprechend frostig auf Eisenmanns Worte:
Sieseiirritiert,hießesausihremMinisteri-
um, „dass ohne nähere Kenntnis des wah-
ren Sachverhalts Wertungen in der Öffent-
lichkeit abgegeben werden“. Alle Bewerber
hätten im Verfahren die gleichen Chancen
gehabt. Und das Ministerium habe „volle
Transparenz“ hergestellt.
Tatsächlich hat sich das BMBF, seit das
Votum pro Münster Ende Juni fiel und so-
fort in die Kritik geriet, um Aufklärung be-
müht.UnterdemKürzelFFB („Forschungs-
fertigungBatteriezelle“) gabes Pressekon-
ferenzen und Hintergrundgespräche; En-
de Juli stellte sich Karliczek den Fragen im
Forschungsausschuss des Bundestages,
um etwa zu erklären, warum das Auswahl-
verfahren gleich zwei Mal geändert wurde.
Im September stellte das Ministerium
dem Ausschuss die Verfahrensunterlagen
zur Verfügung, insgesamt acht Aktenord-
ner.DochdenStromanFragenbrachte das
nicht zum Versiegen, vielmehr förderten
die Dokumente neue Ungereimtheiten zu-
tage – etwa eine Analyse der Fraunhofer-
Gesellschaft (künftig Betreiberin der For-
schungsfabrik), die Ulm vor Münster sah,
vomBMBFaber wegen„methodischer Un-
zulänglichkeiten“ verworfen wurde.
Essei„absolutdreist“,sagtedieGrünen-
Abgeordnete Anna Christmann am Mon-
tag,„dassdasForschungsministeriumwei-
terhin von einem ordnungsgemäßen Ver-
fahren spricht“. Karliczek müsse umge-
hend „ein transparentes Entscheidungs-
verfahrenaufsetzenundumgehendperso-
nelle sowie strukturelle Konsequenzen in
ihrem Haus ziehen“, so Christmann, die,
vielleicht keinZufall, ausStuttgartkommt.
Der Forschungsausschuss soll sich am
23.OktobererneutmitdemThemaFFBbe-
fassen.KarliczekdarfwiedermiteinerEin-
ladung rechnen. paul munzin ger
von fl orian hassel
Warschau– Befriedigt, nicht euphorisch:
So war die Reaktion der polnischen Regie-
rungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS),
als das Ergebnis der Parlamentswahl vom
Sonntag feststand: knapp 44Prozent der
Wählerstimmen für die PiS, wie bisher ei-
ne absolute Mehrheit und damit zumin-
dest zunächst weitgehend ungestörtes Re-
gieren.
Doch die PiS hatte mit mehr gerechnet,
vor allem, nachdem sie ein beispielloses
Feuerwerk an Steuererleichterungen und
neuen Sozialleistungen abgebrannt und
fürdenFallihresWahlsiegesweitereWohl-
taten wie höhere Renten und eine Verdop-
pelungdesMindestlohnsversprochenhat-
te. PiS-interne Umfragen sollen der Partei
gleich 50 Prozent der Stimmen vorausge-
sagt haben, so die ZeitungGazeta Wyborc-
za. Das hätte, je nach Resultat der anderen
Parteien, genug sein können für eine Drei-
Fünftel-MehrheitimParlament:Dieistnö-
tig, um ein Veto des Präsidenten zu über-
stimmen. Die höchsten Hoffnungen der
PiS reichten gar bis zu einer Zweidrittel-
mehrheit, die Verfassungsänderungen er-
möglicht hätte. „Wir haben viel erreicht,
aber wir hätten mehr verdient“, kommen-
tierte PiS-Chef Jarosław Kaczyński, Po-
lens eigentlicher Regierungschef.
Die Wahlkommission verkündete am
Montagabend folgendes Endergebnis:
43,59 Prozent für die PiS, 27,4 Prozent für
dasgrößteOppositionsbündnis„Bürgerko-
alition“ und 12,56 Prozent für das Bündnis
„Linke“ aus den Parteien SLD, Wiosna und
Razem. Das Duo „Polnische Koalition“ der
Bauernpartei PSL und des Ex-Rocksän-
gers Pawel Kukiz kam auf 8,55Prozent, für
die Konföderation, ein Bündnis des Popu-
listen Janusz Korwin-Mikke, des Monar-
chisten Grzegorz Braun und Rechtsnatio-
nalisten blieben 6,81 Prozent.
Die460ParlamentssitzeimSejmvertei-
len sich laut Wahlkommission wie folgt:
Die PiS kommt auf 235 Mandate – vier
mehralsdieabsoluteMehrheitvon231Sit-
zen. Die Bürgerkoalition stellt demnach
134 Abgeordnete, die Linken erhalten 49,
die„PolnischeKoalition“30unddieKonfö-
deration11. EinMandatgehtandenVertre-
ter der deutschen Minderheit.
Nach den Angaben der Wahlkommissi-
onverliertdiePiSindesdiebisheruneinge-
schränkte Kontrolle über den Senat, die
obere polnische Parlamentskammer: Hier
stellt die PiS künftig nur noch 48 von 100
Senatoren. Die Bürgerkoalition komme
auf43Senatoren unddieihrnahestehende
Bauernpartei PSL auf drei Senatoren. Die
ebenfallsoppositionelleSLDstellezweiSe-
natoren. Dazu kommen vier unabhängig
angetretene Senatoren, von denen indes
drei der Bürgerkoalition nahestehen. Der
Senat kann vom Sejm verabschiedete Ge-
setze zumindest verschleppen. In jedem
Fall kann die PiS die Ablehnung eines Ge-
setzes im Senat mit ihrer absoluten Mehr-
heitim Sejm überstimmen.DieOpposition
hatte die Eroberung der Kontrolle über
den Senat zu ihrem Mindestwahlziel ge-
macht.
Der Opposition bleibt zudem die Hoff-
nung auf die Präsidentschaftswahl im
Frühjahr 2020. Der aktuelle Präsident An-
drzej Duda kommt aus der PiS und hat seit
2015etlicherechtswidrige Gesetze mit sei-
ner Unterschrift in Kraft gesetzt, statt sein
Vetodagegeneinzulegen.DasPräsidenten-
veto kann im Parlament nur mit 276 Stim-
menüberstimmtwerden–vondieserDrei-
Fünftel-Mehrheit ist die PiS-Regierung
weit entfernt. Ein Präsident aus den Rei-
hen der Opposition könnte also rechtswid-
rige Gesetze der künftigen PiS-Regierung
stoppen.
BeiPräsidentenwahlentrittinPolentra-
ditionell ein Heer von Bewerbern an; die
Entscheidung fällt erst in der Stichwahl
zwischen den zwei Erstplatzierten. Borys
Budka,Vize-ChefdergrößtenOppositions-
partei,schlugamMontagvor,alleOppositi-
onsparteien sollten sich vor der Stichwahl
auf Małgorzata Kidawa-Błońska als ge-
meinsame Kandidatin einigen. Sie war
Spitzenkandidatin der „Bürgerkoalition“
beiderParlamentswahl.DiefrühereParla-
mentspräsidentin gilt als politisch kompe-
tent und kompromissfähig, wegen ihres
verbindlichenAuftretensistsieinallenLa-
gern angesehen. Schon bei der Senatswahl
sprachendie Oppositionsbündnisseunter-
einanderab,werinwelchemWahlkreisan-
treten werde.
Die Regierung dürfte nach dem Zusam-
mentrittdesneuenParlamentesimNovem-
ber wie schon nach ihrem ersten Machtan-
tritt im November 2015 eine Reihe Gesetze
schnelldurchs Parlament bringen. Zum ei-
nen steht PiS-Chef Kaczyński bei seinen
WählernimWort,denenerdiverseWohlta-
tenschonfürdieersten100Tagederneuen
Regierung versprach.Außerdemdürftedie
PiS umstrittene Gesetze, etwa zum weite-
ren Abbau des Rechtsstaates, verabschie-
den wollen, solange der Präsident mit An-
drzejDudaeinerderihrenistunddiese Ge-
setze durchwinkt. „Der gute Wandel geht
weiter“, kündigte Kaczyński nach dem
Wahlsieg an. Die PiS müsse „alle Dinge eli-
minieren, die unsere Möglichkeiten be-
grenzen“. Schon vor der Wahl hatte
Kaczyńskidieangeblich immernochzuun-
abhängigen Gerichte und Richter als kom-
mendeZielegenannt.SetzterdieseAnkün-
digungenum,verschärfterdenKonfronta-
tionskurs mit der EU. Die eröffnete gegen
Polen erst in der vergangenen Woche ein
weiteres Eilverfahren vor dem Gerichtshof
der EU. Seite 4
München– AmMontag ist der russi-
sche Präsident Wladimir Putin zu ei-
nem Besuch in der saudischen Haupt-
stadt Riad eingetroffen (FOTO: REUTERS). Es
ist sein erster Besuch in Saudi-Arabien
nach mehr als einem Jahrzehnt und
damit eine weitere Annäherung an das
Königshaus in Riad. Vor fast genau zwei
Jahren besuchte König Salman als ers-
ter saudischer Herrscher den Kreml
und würdigte damit das politische Ge-
wicht Moskaus in der Region. Obwohl
beide Länder unterschiedliche Akteure
im Syrienkrieg unterstützen, scheint
sich Riad mit dem Sieg von Baschar
al-Assad abgefunden zu haben. Iran
und Russland gelten als wichtigste Ver-
bündete des syrischen Machthabers in
Damaskus, während Saudi-Arabien in
der Vergangenheit syrische Rebellen
unterstützt hatte. Nach dem kürzlichen
Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien
befindet sich Russland in einer Position
der Stärke. Im Konflikt zwischen den
Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien
möchte Putin Spannungen abbauen,
wie er vor seinem Besuch in einem Inter-
view mit dem saudischen Fernsehsen-
der Al Arabiya am Sonntag sagte. Auch
die wirtschaftliche Zusammenarbeit
soll vorangetrieben werden – sowohl im
Energie- und Ölsektor, als auch in Form
russischer Investitionen im Königreich.
Als mächtiger Opec-Staat setzte sich
Saudi-Arabien in den vergangenen
Monaten für eine stärkere Zusammenar-
beit mit Russland ein. Am Dienstag
wird Putin weiter in die Vereinigten
Arabischen Emirate reisen. dura
Im Senat, der oberen Kammer
des Parlaments, ist allerdings
die Opposition in der Mehrheit
Erfolg mit einem Feuerwerk
In Polen hat die bisherige Regierungspartei PiS bei den Parlamentswahlen erneut die absolute Mehrheit erreicht.
Sie überzeugte offenbar mit Sozialleistungen und Steuergeschenken – und hat bereits mehr davon versprochen
Seoul– Nach Protesten gegen seine
Ernennung vor einem Monat ist Südko-
reas Justizminister Cho Kuk zurückge-
treten. Die Opposition warf Cho Fehlver-
halten vor, gegen seine Familie wird
derzeit unter anderem wegen des Ver-
dachts zwielichtiger Finanzgeschäfte
ermittelt. Cho erklärte am Montag, er
trete zurück, um keine Last für Präsi-
dent Moon Jae In zu sein. In den vergan-
genen Wochen hatte es in Seoul zahlrei-
che Demonstrationen für und gegen
Cho mit Zehntausenden Teilnehmern
gegeben. Er galt als Architekt für
Moons Reformpläne. Die Konservativen
hielten ihn nicht für amtstauglich.dpa
Rom– Der langjährige Chef der vatika-
nischen Gendarmerie, der Italiener
Domenico Giani, ist im Zusammenhang
mit dem jüngsten Finanzskandal zu-
rückgetreten. Der Papst hatte sich dar-
über geärgert, dass eine interne Anord-
nung an alle Sicherheitskräfte, die von
Giani unterschrieben worden war, an
das NachrichtenmagazinLEspresso
gelangt war. Man sah darauf die un-
scharfen Fotos von fünf Mitarbeitern
des Vatikans, die in den mutmaßlichen
Skandal um Immobiliendeals im Aus-
land verwickelt gewesen sein sollen, als
würden sie steckbrieflich gesucht. Fran-
ziskus sprach von „verletzenden und
entwürdigenden“ Bildern unter Aus-
blendung der Unschuldsvermutung.
Wer die Verfügung an die Öffentlichkeit
durchgestochen hat, ist nicht klar. Ange-
sichts der vielen Animositäten im Ver-
waltungsapparat der katholischen Kir-
che spekuliert die italienische Presse
über eine mögliche Sabotageaktion mit
dem Ziel, Giani zu schaden. om
Unter Hochspannung
Warum Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin der CDU-Bundesbildungsministerin den Rücktritt nahelegt
PiS-Chef Jarosław
Kaczyński, der ei-
gentlich das Sagen
hat in Polen, kündig-
te nach der Wahl an,
seine Partei müsse
„alle Dinge eliminie-
ren, die unsere Mög-
lichkeiten begren-
zen“.FOTO: GETTY IMAGES
6 HMG (^) POLITIK Dienstag, 15.Oktober 2019, Nr. 238 DEFGH
Justizminister gibt auf
Gendarmerie-Chef tritt ab
Putin zu Besuch in Riad
AUSLAND
Baden-Württembergs Kultusministerin
Susanne Eisenmann. FOTO: MARIJAN MURAT/DPA
Die Parlamentswahl in Polen
Voraussichtliche Sitzverteilung Voraussichtliche Sitzverteilung
Wahlergebnisin Prozent
Die Ergebnisse im Sejm Wahlbeteiligung nach Verhältnissenin Prozent
43, 1
44,
40,
56,
26,
55,
24,
25,
19,
10,
18,
6,
9,
1,1 1,60,
27,
16,
19,
7,8 6,16,0 5,
11,
1,30,
29,
24,
13,
11,
9,58,7 8,
4,
1,1 1,
Wahlergebnisin Prozent
Die Ergebnisse im Senat
PiS
235
KO
134
Absolute Mehrheit:
231 Sitze
Absolute Mehrheit:
51 Sitze
SLD
49
PSL
30
KON
11
Vertreter der
deutschen Minderheit
1
KON
rechts-
populistisch
Sonstige KON
460460
Männer
Frauen
18bis29Jahre
über 60 Jahre
Dörfer
Städte mit mehr als
500 000 Einwohnern
PiS
48
KO
43
SLD
PSL^2
3
Sonstige
4
110000
SZ-Grafik; Quellen: Nationale Wahlkommission, Ipsos, TVN; Auszählungsstand 99,5 Prozent
43 ,
PiS
national-
konservativ
PiS
44,
35,
2,
5,
0,
KO
liberal-
konservativ
KO
KON Sonstige
KON
KON
Sonstige
Sonstige
PiS KO
PiS KO
PiS KO
27,
12,
8,
6,
1,
SLD
Links-
bündnis
SLD
PSL
konservativ
PSL
SLD
SLD
PSL
PSL
SLD PSL
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