von cla udia henzler
Stuttgart– Andiesem Dienstag beginnt
zum vierten Mal die Jahreszeit, in der das
Stuttgarter Rathaus bei ungünstiger Wet-
terlage zu einer außergewöhnlichen Maß-
nahme greifen und Feinstaubalarm ausru-
fen wird. Autofahrer werden dann gebeten,
auf die Bahn umzusteigen, außerdem
muss der heimische Schwedenofen an die-
sen Tagen zwingend aus bleiben. Stadt und
Land haben zwar vieles unternommen, da-
mit die Luftqualität im Stuttgarter Talkes-
sel steigt, aber noch ist man nicht am Ziel.
Und deshalb müssen sich die Stuttgar-
ter auf weitere Zumutungen einstellen. Im
Januar soll im gesamten Innenstadtgebiet
ein neues Tempolimit eingeführt werden:
AutosdürfendannauchaufdenHauptver-
kehrsstraßen nicht mehr schneller als 40
fahren, außerdem werden vier Abschnitte
der beiden wichtigsten Durchgangsstra-
ßen für Diesel der Euro-5-Norm gesperrt.
Älteren Diesel-Modellen ist die Fahrt in
den gesamten Talkessel schon seit Anfang
2019 verwehrt.
Mit dem Tempolimit und den strecken-
bezogenen Fahrverboten wollen Stadt und
Land endlich auch die Stickoxidwerte in
denGriffbekommen,nachdemdieEU-Vor-
gaben für Feinstaub 2018 erstmals einge-
haltenwurdenundessoaussieht,alskönn-
te dies 2019 wieder gelingen. Stadt und
Landesregierung spielen mit den neuen
EinschränkungenauchaufZeit,umdasflä-
chendeckendeFahrverbotfür Euro-5-Die-
sel zu vermeiden, zu dem sie nach einer
Klage der Deutschen Umwelthilfe eigent-
lichverpflichtetwären.Verkehrsministeri-
um und Rathaus hoffen, dass die Schad-
stoffwerte in den kommenden Monaten so
weit sinken, dass eine Verschärfung der
Dieselverbotszone nicht nötig sein wird.
Ende April 2020 wird Bilanz gezogen.
Dass Stuttgarts Luft sauberer wird, liegt
zum einen an der Entwicklung schadstoff-
ärmererMotoren,hataberauchmiterheb-
lichen AnstrengungenvonStadt- undLan-
despolitik zu tun. Vor allem die Stadt hat
wenig unversucht gelassen, um die Schad-
stoffbelastung zu senken. Dabei durften
auch mal mehrere Hunderttausend Euro
versenkt werden. So haben Stadt und Land
2017 testen lassen, ob eine Mooswand die
Feinstaubbelastungspürbarsenken könn-
te.MangelsnachweisbaremErgebniswur-
de sie nach zwei Jahren wieder abgebaut.
Kosten samt Studie: knapp 560000 Euro.
Im Maßnahmenkatalog findensichetli-
che Investitionen, die von Anfang an als
Übergangslösungen gedacht waren und
nur dazu dienen, die Grenzwerte an
Deutschlands bekanntester und lange Zeit
dreckigster Kreuzung „Am Neckartor“ zu
senken, bis die Ursachen für die schlechte
Luftqualität behoben sind – bis also weni-
ger Leute Auto fahren oder zumindest der
Anteil emissionsarmer Autos steigt.
Recht zufriedenstellend war aus Sicht
von Stadt und Land der Effekt von 17 elek-
trisch betriebenen Filtersäulen, die sie am
Rand der berüchtigten Kreuzung haben
aufstellen lassen und die in einer ersten
Projektphase die Feinstaubbelastung um
zehn Prozent gesenkt haben sollen. Im Juli
wurde deshalbPhasezweieingeläutet:Seit-
demsind23neueSäulenimEinsatz,diean-
geblich neben Feinstaub auch noch Stick-
stoffdioxid aus der Luft filtern können.
Parallel dazu hat das Land in diesem
Sommeraufeinem 300 Meter langenStra-
ßenabschnitt einen neuen Belag aufbrin-
genlassen,derTitandioxidenthält.EinMa-
terial, das laut der Herstellerfirma Strabag
unter Sonnenlichteinfluss Stickoxide ab-
baut und in Nitrate umwandelt. Strabag
verspricht eine Verringerung der Stick-
stoffdioxid-Konzentration in der Luft „um
bis zu 26 Prozent“. Nach diesem Prinzip
derFotokatalysesollenauchdieFassaden-
farben wirken, mit denen ebenfalls in die-
sem Sommer die Gebäude von Staatsan-
waltschaft und Landeskriminalamt ange-
strichen wurden.
Schon seit 2017 lässt das Rathaus die
StraßeundGehwegerundumdieMessstel-
le „Am Neckartor“ nachts nass reinigen,
was den städtischen Haushalt jährlich mit
400000Eurobelastet.Ergänztwerdendie-
se Sofortmaßnahmen durch Projekte, die
auf langfristige Effekte hoffen lassen. Die
AutostadtStuttgartinvestiert indenöffent-
lichen Nahverkehr und stellt ihren eigenen
Fuhrparkum.NochstehtsiebeiderMobili-
tätswende ziemlich am Anfang, doch erste
Erfolgesind zusehen.Sohatdiezweijährli-
che Verkehrszählung ergeben, dass ein
paarTausendAutoswenigerindenTalkes-
sel fahren als noch vor einigen Jahren, ob-
wohl Stuttgart kontinuierlich Einwohner
gewinnt. Etwa 210000 Fahrzeuge sind es
täglich in jeder Richtung.
Ob dasFahrverbotfür Euro-4-Diesel ei-
nen Effekt hat, ist offen. Erstens gibt es
Ausnahmeregelungen für ganze Berufs-
gruppen wie Taxifahrer, Handwerker und
Lieferanten. Zweitens hat sich die Bundes-
regierung geweigert, eine blaue Plakette
einzuführen, um die Schadstoffklasse von
Diesel-Fahrzeugen sichtbar zu kennzeich-
nen. Die Stadt kann also gar nicht kontrol-
lieren, was bei den Autos unter der Motor-
haube steckt. Die Verwaltung arbeitet aus-
hilfsweise mit Stichproben und überprüft
die Schadstoffklasse all jener Fahrzeuge,
die ohnehin in der Bußgeldstelle aufschla-
gen, weil ihre Besitzer falsch geparkt ha-
ben oder geblitzt wurden.
Zum Umstieg auf Bus und Bahn dürften
auf jeden Fall die Parkgebühren motivie-
ren: Ein Tagesticket kostet in Stuttgart
8,60 Euro, in München ist es noch für
sechs Euro zu haben (jeweils außerhalb
derAltstadt).WasdenöffentlichenNahver-
kehr angeht, gilt die Reform vom April
2019 schon jetzt als Erfolg,bei der die Tari-
fe stark vereinfacht wurden und auch die
Preisesanken.LautdemVerkehrs-undTa-
rifverbund Stuttgart sind im ersten Halb-
jahr 2019 so viele Menschen mit öffentli-
chen Verkehrsmitteln gefahren wie noch
nie. Die Zahl der bezahlten Fahrten stieg
um vier Millionen auf 192 Millionen, wobei
der große Schub nach der Tarifreform ver-
zeichnet wurde.
Eine weitere Maßnahme, um die Fein-
staubwerte dauerhaft niedrig zu halten:
Stuttgarts Hausbesitzer können von der
Stadt Fördergeld bekommen, wenn sie ih-
re Ölheizung abschaffen. Wie viel das In-
strument Feinstaubalarm selbst zur Re-
duktion von Schadstoffen beiträgt, ist
schwer zu sagen, weil die Stadt nicht er-
fasst, wie viele Menschen ihr Auto an
Alarmtagen tatsächlich stehen lassen. Bei
einer Umfrage sagten 57 Prozent der Bür-
ger, die regelmäßig mit dem Auto zur Ar-
beit fahren oder Besorgungen machen,
dass sie ihr Verhalten bei Alarm ändern.
Im vergangenen Winterhalbjahr hat die
Stadt zwischen Mitte Oktober und Mitte
April neunmal den Alarm ausgerufen, der
insgesamt 64 Tage lang galt. Oberbürger-
meister Fritz Kuhn (Grüne) wird es in die-
sem Jahr wieder tun, sobald der Deutsche
Wetterdienst für mindestens zwei aufein-
anderfolgende Tage ein stark einge-
schränktesAustauschvermögenderAtmo-
sphäre prognostiziert. Danach würde
KuhndiebundesweiteinzigartigeMaßnah-
me gerne wieder abschaffen: „Bleiben wir
wieder unter den Grenzwerten, stellen wir
den Alarm ab Oktober 2020 ein“, hat er an-
gekündigt. Seite 4
Düsseldorf– Wegen mutmaßlicher
Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islami-
scher Staat steht eine 21-Jährige von
Mittwoch an in Düsseldorf vor Gericht.
Sie soll laut Anklage als 15-Jährige nach
Syrien gereist sein und sich dem IS
angeschlossen haben. Der Frau mit
deutschem und algerischem Pass wer-
den Kriegsverbrechen, Menschenhan-
del und Freiheitsberaubung vorgewor-
fen. Sie soll ein jesidisches Mädchen
und zwei jesidische Frauen als Sklavin-
nen gehalten haben. epd
Berlin -Sachsen-Anhalts Innenminister
Holger Stahlknecht (CDU) hat erklärt, dass
die jüdische Gemeinde in Halle stets den
von ihr erbetenen Schutz erhalten habe.
„Entgegen anderslautenden Berichten ha-
ben weder das Ministerium für Inneres
nochdiePolizeiinHallezurückliegendBit-
ten der jüdischen Gemeinde um Schutz bei
Gebeten und Veranstaltungen abgelehnt“,
erklärteder Minister.ManwollesichinZu-
kunft mit der Gemeinde noch intensiver
abstimmen. Die Gemeinde hatte beklagt,
dass ihr in der Vergangenheit Schutz ver-
sagt worden sei.
Stahlknecht informierte am Montag in
Magdeburg über den Polizeieinsatz beim
Angriff auf die Synagoge in Halle. Bei dem
Anschlag hatte ein 27-Jähriger Rechtsex-
tremist schwer bewaffnet versucht, wäh-
rend eines Gottesdienstes in die Synagoge
einzudringen. Als das scheiterte, erschoss
er vor der Tür eine Passantin und einen
Mann in einem nahen Dönerladen. Wie am
MontagbeieinerSondersitzungdesInnen-
ausschusses bekannt wurde, verlor die Po-
lizei den Täter bei seiner anschließenden
Flucht für gut eine Stunde aus den Augen.
Er wurde erst außerhalb von Halle festge-
nommen. Man müsse für die Zukunft klä-
ren, wie in einer solchen Lage der Fahn-
dungsring schneller geschlossen werden
könne,sagteder SPD-InnenpolitikerRüdi-
ger Erben derSüddeutschen Zeitungnach
der Sitzung. Zudem halte er für erforder-
lich, „dass es deutschlandweit einheitliche
Kriterien fürdenSchutzjüdischerEinrich-
tungen gibt“, sagte Erben.
Der CDU-Bundesvorstand hat am Mon-
tagineinemMaßnahmenpaketgegenAnti-
semitismus und Rechtsextremismus un-
ter anderem einen besseren Schutz jüdi-
scherEinrichtungeninDeutschlandgefor-
dert. Er spricht sich zudem für Verschär-
fungen des Waffenrechts und des Netz-
werkdurchsuchungsgesetzes aus. Polizei
und Verfassungsschutz bräuchten Instru-
mente, die „auf der Höhe der Zeit“ seien.
Die Sicherheitsbehörden müssten so aus-
gestattet werden, „dass sie ihre Arbeit ma-
chen können“, sagte CDU-Generalsekretär
Paul Ziemiak. Dies sei aber nicht als Kritik
amCSU-geführtenBundesinnenministeri-
um gemeint.
Abgesehen von der Forderung nach ei-
nem „strikten Verbot“ der Verbreitung von
BauanleitungenfürWaffenistesnichtein-
fach, in dem Maßnahmenpaket konkrete
Maßnahmen zu finden. Bei ihrer geplan-
ten Ausweitung der Vorratsdatenspeiche-
rungwilldieCDUkünftigdie„Chancender
Digitalisierung“ nutzen, für besonders
schwere Fälle von Verleumdungen im Netz
solleineEinordnungalsVerbrechenstatbe-
stand„geprüft“ werden. Bei der Ursachen-
forschung für rechtsextremistischen Ter-
ror istdieCDUdagegenüberdiePrüfphase
hinaus. „Die AfD sät ein Klima des Hasses
gegen andere“, sagte Ziemiak. bohe, jsc
Berlin– Es sieht aus wie ein Zufall, aber er
hatSymbolkraft: Anfang November legt
nicht nur Sigmar Gabriel, 60, sein Bundes-
tagsmandat nieder, sondern auch Andrea
Nahles, 49. Das ließ die ehemalige SPD-
Partei- und Fraktionschefin am Montag
mitteilen. Das sehr ungleiche Paar nimmt
zur gleichen Zeit Abschied von der Politik.
So endet eine Phase in der Geschichte der
SPD, die fast auf den Tag genau vor zehn
Jahrenbegann,alsGabrielundNahlesPar-
teichef und Generalsekretärin wurden.
Es war nach der Bundestagswahl 2009,
in der die SPD mit 23 Prozent ein Debakel
erlebt hatte: Gabriel und Nahles gingen
einen Pakt ein, den man sich bis dahin
nichtvorstellenkonnte.SiewurdeGeneral-
sekretärin und überließ ihm den Vorsitz.
Der neue Bund überraschte viele: Als Nah-
les 2005 gegen Parteichef Franz Münte-
ferings Wunsch Generalsekretärin hatte
werden wollen, signalisierte Gabriel ihr
Unterstützung und fiel dann um. Zwei
Jahre später verhinderte Nahles die Wahl
Gabriels ins Parteipräsidium.
Nahles und Gabriel waren politisch un-
terschiedlich sozialisiert worden: Sie wur-
debekannt alswildeJuso-Vorsitzende,Ga-
briel kam von der sozialistischen Jugend-
organisationderFalken.Andersals beiden
Jusos, habe man bei den Falken nicht nur
Karl Marx gelesen, sondern auch Zeit ge-
habt,sichimZeltlagernacheinerFreundin
umzuschauen, hat Gabriel später einmal
demSpiegelerzählt.„Daswarfürmichein-
deutig das attraktivere Angebot.“
Der Parteichef Gabriel und seine Gene-
ralsekretärinhatteneineharteZeitmitein-
ander. Der umtriebige Gabriel ging ihr bis-
weilen gehörigaufdieNerven,dochNahles
blieb loyal. Immer wieder hat Gabriel auch
öffentlich zugegeben, dass er für Nahles
anstrengend war. Erst jüngst aber sagte er
derSüddeutschen Zeitungauch: „Was auch
immer Andrea Nahles und mich getrennt
hat, sie hat sich als Generalsekretärin da-
mals immer der SPD als Ganzes verpflich-
tet gefühlt.“
Die wichtigste gemeinsame Leistung
waren 2013 die Verhandlungen über eine
große Koalition. Nahles wurde Arbeitsmi-
nisterinundverantwortete dieEinführung
des Mindestlohns, Gabriel wurde Wirt-
schaftsminister und Vizekanzler. Nach
gutemAnfangmehrtensichdieMeinungs-
verschiedenheiten, unter anderem in der
Flüchtlingspolitik, späterin dertaktischen
Ausrichtung für die Bundestagswahl 2019.
Danach hatten Nahles, Olaf Scholz und
Martin Schulz zunächst ihre liebe Not, die
SPD erneut in die große Koalition zu
führen. Doch bei den zu vergebenden Pos-
ten gab es schnell eine Gemeinsamkeit:
Gabriel wollte keiner mehr. Dem Redakti-
onsnetzwerk Deutschland sagte Gabriel
jüngst: „ImKernhaben Andrea Nahles und
Olaf Scholzmich wohl einfach für zu unab-
hängig gehalten.“
Umgekehrt darf Gabriel für sich in An-
spruch nehmen, am Ende der Karriere von
Andrea Nahles auch nicht unbeteiligt ge-
wesen zu sein. Er stichelte öffentlich, und
Nahles Vertraute wollen wissen, dass sie
auch hinter manch verdeckter Attacke ihn
vermutete. Gabriel hingegen bemüht sich
öffentlich auch in diesem Punkt um Ver-
söhnlichkeit: Nahles Abgang sei ein „gro-
ßer Verlust“ für die SPD. „Und obwohl ich
nichtmitihrbefreundetbin,fandichesbit-
ter, mit ansehen zu müssen, wie ein Enga-
gement dieser Größe so enden konnte.“
Es könnte sein, dass der zeitgleiche Ab-
schied dieser zwei Sozialdemokraten, die
sich gegenseitig so vieles ermöglicht, aber
eben auch manches versagt haben, doch
nicht nur ein Zufall ist. nico fried
Berlin/München– In weniger als einer
halben Minute hat Horst Seehofer (CSU) es
geschafft, eine fast 20 Jahre alte Debatte
wiederzubeleben. 29 Sekunden dauert der
Videoausschnitt, den die ARD-Sendung
„Bericht aus Berlin“ am Wochenende auf
Twitter teilte. Darin fordert der Innenmi-
nister, man müsse nach dem Anschlag von
Halle die „Gamer-Szene stärker in den
Blick nehmen“. Der rechtsradikale Terro-
rist von Halle inszenierte seine Morde wie
in einem Computerspiel, nutzte in seinem
Pamphlet Begriffe aus der Gaming-Welt
und streamte die Tat live im Netz.
SeitdemwirdinDeutschlandwiederdis-
kutiert, obGames gefährlichsind. Die letz-
te große „Killerspiel-Debatte“ gab es nach
dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002.
Ungeachtet fehlender wissenschaftlicher
Belege war es damals eine weit verbreitete
Ansicht, dass Computerspiele Gewalt för-
dern können. Auf diese Aussage bezieht
sichauchYoutuberPeterSmits,Teildespo-
pulären Gaming-Kollektivs PietSmiet. Er
schreibt auf Twitter, Seehofer lenke vom
echten Problem ab: Rechtsextremismus.
Für Politiker sei es leichter, Videospielen
die Schuld zuzuschieben, statt an gesell-
schaftlichen Ursachen zu arbeiten. Die
meiste Aufmerksamkeit erhielt aber Smits
Kollege, der Youtuber Rezo, der Seehofer
direkt angriff. Der Innenminister und sei-
ne Mitarbeiter seien „krass inkompetent“.
Aber Kritik kam sogar aus Seehofers ei-
gener Partei. CSU-Chef Markus Söder
warnte nach einer Vorstandssitzung in
München vor Pauschalurteilen: „Die Ga-
mer, und das sind viele, viele junge Leute,
die machen da großartige Sachen.“ Die
CSU-VizechefinDorotheeBär,Staatsminis-
terinfürDigitalisierungimKanzleramt,er-
innertenachTeilnehmerangabeninderSit-
zung daran, dass in Bayern und Deutsch-
land viel für die Games-Förderung ge-
macht werde. Das lasse man sich nicht mit
„einem Satz“ kaputtmachen – das wäreso,
als wenn man „mit dem Arsch“ einreiße,
was man jahrelang aufgebaut habe, sagte
Bär, ohne Seehofers Namen zu nennen.
Auch der Branchenverband Game, Ver-
anstalterderKölnerMesseGamescom,ver-
teidigtdieSpieler.„WenndieHälftederGe-
sellschaft Computer spielt, sind darunter
leider genauso Rechtsextreme, wie es sie
auch sonst in unserer Gesellschaft gibt“,
sagt Verbands-Geschäftsführer Felix Falk.
DieabsoluteMehrheitderCommunityleh-
ne aber jede Form von Extremismus und
Rechtsradikalismus ab. Games-Unterneh-
men würden daher, so Falk, die Verwen-
dungbestimmterNamenundSymboleun-
tersagen,Meldefunktionen einrichten und
entsprechend Inhalte entfernen oder Ac-
counts sperren.
Allerdings geht nicht jedes Unterneh-
menmitderselbenSorgfaltgegen rechtsex-
tremeInhaltevor.BesondersdieVerkaufs-
plattform Steam steht seit vielen Jahren
deswegen wiederholt in der Kritik. Auf
SteamkönnenNutzerComputerspieledigi-
tal erwerben und auch miteinander spie-
len und chatten. Die Plattform zählt mehr
als 100 Millionen Nutzer, dahinter steht
der Spielehersteller Valve (unter anderem
„Counter-Strike“ und „Dota 2“).
Wer gezielt danach sucht, findet dort
schnell Nutzer, die unter unverhohlen ras-
sistischen Pseudonymen auftreten. Ande-
re vernetzen sich in einschlägigen Grup-
pen,zumBeispielderrechtsradikalenIden-
titären Bewegung, oder posten sich gegen-
seitig Hakenkreuze aus Emojis und ande-
ren in Deutschland strafbaren oder frag-
würdigen Symbolen auf die Pinnwände ih-
rer Steam-Profile. In den Regeln der Platt-
form heißt es zwar, Rassismus und Diskri-
minierung seien verboten, aber offenbar
verhindert Steam derartige Postings nicht.
Rechtlich fällt die Plattform nicht unter
das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz, das
Hetze im Internet unterbinden soll. Ge-
mäß einer Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz
im Bundestag sind Online-Spiele und Ver-
kaufsplattformen von dem Gesetz ausge-
nommen, weil ihr primärer Zweck nicht
das Teilen von Inhalten ist.
caspar von au, simon hurtz Seite 4
Vorwurf der Sklavenhaltung
Nachgutem Anfang mehrten sich
die Meinungsverschiedenheiten,
etwa in der Flüchtlingspolitik
Feinstaub aus dem Kessel
Fahrverbote, Filtersäulen und nächtliche Nassreinigung: Wie Stuttgart es
schafft, die Luft über Deutschlands dreckigster Straßenkreuzung zu säubern
Streit um den Schutz
Attentat in Halle: Innenminister weist Vorwürfe zurück
Die Luft wird besser
Tage, an denen an Stuttgarts Neckartor der Grenzwert
für Feinstaub im Tagesmittel überschritten wird
Welche Jahresmittelwerte für Stickstoffdioxid
die Messstelle am Neckartor registriert
0
20
40
35*
60
80
100 Tage
0
20
40**
60
80
100 μg/m
2010
2010
2015 2019
(bis 10. Okt.)
2015 2019
(Ende Juni)
SZ-Grafik; Quellen: LUBW, Stadt Stuttgart
**Grenzwert: 40 μg/m im Jahresmittel
*Grenzwert: 50 μg/m im Tagesmittel bei 35 zulässigen
Überschreitungen im Kalenderjahr
Leipzig– Die Unionsfraktion im Bun-
destaghat die friedliche Revolution
1989 in der DDR gewürdigt. Der Sieg
der Ostdeutschen über die SED-Dikta-
tur sei „ein herausragendes Ereignis
der gesamtdeutschen Geschichte“, er-
klärten Abgeordnete von CDU und CSU
in Leipzig. „Dafür können wir in Demut
dankbar und selbstbewusst sein“, heißt
es im „Leipziger Aufruf“, den die Frakti-
on verabschiedete. Man gedenke der
Opfer in der DDR, „die für den Wunsch
nach Freiheit und Demokratie mit ih-
rem Leben bezahlen mussten“. Außer-
dem forderten die Abgeordneten ein
Mahnmal für die Opfer kommunisti-
scher Gewaltherrschaft in Deutschland
sowie ein Freiheits- und Einheitsdenk-
mal in Leipzig. epd, dpa
München– Das Urteil gegen die beiden
Studentinnen, die im Juni 2018 Lebens-
mittel aus dem Abfall eines Super-
markts im Kreis Fürstenfeldbruck ent-
wendet haben, ist rechtskräftig. Auch
wenn die Lebensmittel in einem ver-
schlossenen Container zur Entsorgung
gedacht waren, seien sie weiter im Be-
sitz des Marktes gewesen, entschied
das Bayerische Oberste Landesgericht.
Der Tatbestand des Diebstahls sei er-
füllt. Das Amtsgericht Fürstenfeld-
bruck hatte die Frauen verwarnt und
eine Geldstrafe von 225 Euro unter
Vorbehalt ausgesprochen. Die beiden
jungen Frauen prüfen, ob sie vors Bun-
desverfassungsgericht ziehen. sz
Dresden/Leipzig– Nach der Rücktritts-
ankündigung von Sachsens evangeli-
schem Landesbischof Carsten Rentzing
(FOTO: DPA) fordert der Leipziger Pfarrer
Frank Martin eine intensive Aufarbei-
tung. „Gerade auch mit Blick auf die
rechtsnationalen Tendenzen im sächsi-
schen Landtag müssten wir deutlicher
Stellung beziehen“, sagte er am Montag
in Leipzig. Martin gehört zu einer Grup-
pe von Pfarrern, die Rentzing Ende
September in einer Online-Petition zu
einer Distanzierung „von allen nationa-
len, antidemokratischen und menschen-
feindlichen Ideologien“ und von der
Neuen Rechten aufgefordert hatte. Am
Freitag hatte Bischof Rentzing überra-
schend seinen Rücktritt angekündigt.
Die Kirchenleitung will am 21. Oktober
über weitere Schritte entscheiden. For-
mal bleibt Rentzing bis dahin im Amt.
Seine Aufgaben übernimmt sein Stell-
vertreter Thilo Daniel. epd Seite 4
Im Angriffsmodus
Innenminister Seehofer will die Gamerszene „stärker in den Blick nehmen“. Dafür erntet er Kritik – sogar aus der CSU
DEFGH Nr. 238, Dienstag, 15. Oktober 2019 (^) POLITIK HMG 5
Stauzone Stuttgarter Innen-
stadt: Demnächstkönnte es dort
wieder Feinstaubalarm geben.
Dann ruft die Stadt Autofahrer
zum freiwilligen Umstieg auf
Busse oder Bahnen auf.
FOTO: SINA SCHULDT/DPA
Viele wollen nur spielen: Gamer bei der Messe Gamescom in Köln. PFAFFENBACH/REUTERS
Die Union will Polizei
und Verfassungsschutz
mehr Rechte geben
Abschied eines
ungleichen Paares
Andrea Nahles und Sigmar Gabriel
verlassen den Bundestag
Leipziger Aufruf der Union
Containernbleibt Diebstahl
Debatte um Bischof-Rücktritt
INLAND