Die Zeit - 24.10.2019

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Er wa nkt


2 POLITIK 24. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44


TITELTHEMA: WENDET SICH DAS BLATT?


Donald Trump hatte nie eine Mehrheit im Land. Nun gerät er auch in der eigenen Partei unter Druck.


Der einflussreiche konservative Publizist DAVID FRU M sieht für ihn nur einen einzigen Ausweg


F


ür einen Populisten war Donald
Trump nie besonders populär. Zum
US-Präsidenten wurde er mit nur
46,1 Prozent der Stimmen gewählt.
Zum Vergleich: Vier Jahre zuvor er-
zielte der unterlegene Präsident-
schaftskandidat Mitt Romney mehr
Stimmen als der Wahlsieger von 2016, ebenso wie
2004 John Kerry und 2000 Al Gore. Trump erhielt
auch kaum mehr Stimmen als die gescheiterten
Kandidaten John McCain 2008 oder Michael Du-
kakis im Jahr 1988.
Donald Trump kam als Minderheitspräsident
an die Macht. Wie lange wird er sie halten können?
Der jetzige Präsident gehört zu jenem Typ il-
liberaler Autoritärer, die sich nicht an die Regeln
der Politik halten. Das hat ihm auch Sympathien
eingebracht, doch seine Regelverstöße holen ihn
nun ein und bedrohen seine Machtposition. Die
jetzige Phase könnte sich als entscheidend erweisen.
Drei Schocks haben die öffentliche Meinung in
den vergangenen Tagen erschüttert (siehe dazu den
nebenstehenden Artikel). Der erste Schock waren die
Meldungen über Trumps Versuche, den neuen Prä-
sidenten der Ukraine zu erpressen. Der zweite Schock
war Trumps Entscheidung, dem türkischen Präsiden-
ten Erdoğan grünes Licht für einen Einmarsch im
kurdischen Teil Syriens zu geben. Den dritten Schock
bewirkte der Versuch des Präsidenten, den G7-Gipfel
2020 in einer Trump-Immobilie bei Miami abhalten
zu lassen. In Kombination haben diese drei Schocks
das politische Gleichgewicht zuungunsten Trumps
verschoben.
Sein Rückhalt in der Bevölkerung ist schon seit
einiger Zeit schwächer, als es den Anschein hat. Zwar
bewegten sich die Zustimmungswerte innerhalb einer
schmalen Spanne um die 40 Prozent, sie erreichten
sogar kurzzeitig 45 Prozent, und für sich genommen
scheint das ganz ansehnlich zu sein. Aber man muss
den Kontext beachten.
Erstens: Normalerweise wirkt sich die Konjunktur
auf die Beliebtheitswerte eines Präsidenten aus. Wäh-
rend der Boomjahre Ende der 1990er stiegen die Zu-
stimmungswerte für den damaligen Präsidenten Bill
Clinton bis in den Bereich zwischen 60 und 70 Pro-
zent und erreichten Anfang 1999 mit 73 Prozent ihren
Höchststand. Auch in den Jahren 2017/18 erzielte die
amerikanische Wirtschaft sehr gute Ergebnisse; 2018
bewerteten 56 Prozent aller Amerikaner ihre per-
sönliche Finanzlage mit »gut« oder »herausragend«.

Dennoch konnten die guten Nachrichten aus der Wirt-
schaft Trumps Umfragewerten keinen Schub verleihen.
Nicht ein einziges Mal erreichte er in irgendeiner se-
riösen Umfrage mehr als 50 Prozent Zustimmung – ein
Sonderfall in der Geschichte der Meinungsumfragen
zu US-Präsidenten.
Zweitens: Ein Präsident, der in den Umfragen bis
zu 45 Prozent erreicht, kann normalerweise darauf
hoffen, auch noch andere Bürger für sich zu gewinnen.
Unter den 55 Prozent, die nicht mit ihm zufrieden
sind, sollte es eigentlich viele geben, die offen dafür
sind, sich überzeugen zu lassen. Mit guter Leistung
kann ein Präsident darauf hoffen, verhaltenen Wider-
stand in gemäßigte Zustimmung zu verwandeln. Aber
es gibt niemanden, der »nur ein wenig« gegen Donald
Trump ist. Vielmehr spaltet der Präsident das Wahl-
volk radikal in Fans und Feinde.
Im Jahr 2011, als sich die Wirtschaft nur langsam
erholte, lagen die Werte von Präsident Obama eben-
falls im mittleren 40-Prozent-Bereich. Wie sich he-
rausstellte, war dies die Talsohle. Die Konjunktur zog
wieder an, die Unterstützung für Obama auch.
Trumps 45 Prozent dagegen erweisen sich als seine
Obergrenze. Und jetzt werden die Schlagzeilen auch
noch negativ. Die US-Konjunktur wird in der zweiten
Jahreshälfte 2019 schwächer, was in erster Linie an
Trumps Handelskriegen liegt. Die durchschnittliche
amerikanische Familie profitierte zwar mit 930 Dollar
von den Steuersenkungen des Jahres 2017, aber von
diesem Betrag haben Preiserhöhungen wegen der
hohen Zölle 831 Dollar wieder abgesaugt. Die In-
vestitionen der Industrie gehen zurück, das Tempo,
in dem neue Arbeitsplätze entstehen, verlangsamt sich.
Das Vertrauen der Verbraucher ist eingebrochen.
Trumps demoskopische Aussichten sind schlecht.
Sind es seine Chancen, die Im peach ment- Krise zu
überleben, vielleicht ebenfalls?
Man kann einen Präsidenten ablehnen, ohne
ihn für einen Kriminellen zu halten. George W.
Bush war in seiner zweiten Amtszeit ausgesprochen
unbeliebt, seine Zustimmungswerte sackten auf
25 Prozent ab. Doch als im Jahr 2008 ein linkes
Mitglied des Repräsentantenhauses ein Amtsent-
hebungsverfahren gegen ihn einleiten wollte, igno-
rierte der Justizausschuss des Repräsentantenhau-
ses den Antrag und führte nicht einmal eine Anhö-
rung durch.
Ein Amtsenthebungsverfahren gilt in Amerika als
extreme Maßnahme, angebracht nur bei ebenso ex-
tremem Fehlverhalten. Insofern ist es bemerkenswert,

dass den Umfragen zufolge nun eine deutliche Mehr-
heit der Amerikaner dafür ist, ein derartiges Verfahren
einzuleiten und Trump aus dem Präsidentenamt ent-
fernen zu lassen (siehe unten stehende Grafik). In der
vergangenen Woche ergab sogar eine Umfrage im
Auftrag des Trump-freundlichen Senders Fox News,
dass 51 Prozent der Amerikaner Trump seines Amtes
enthoben sehen wollen.
Noch sind wir weit von dem Punkt entfernt, an
dem der Senat diesen Präsidenten kippen würde,
sollte das Repräsentantenhaus für ein Im peach-
ment stimmen. Aber etwas Grundlegendes ist an-
ders als in der Zeit des Im peach ment-Verfahrens
gegen Bill Clinton. Dessen Position wurde wäh-
renddessen immer stärker. Für Trump gilt das Ge-
genteil. Sein Stab scheint sich sehr genau angese-
hen zu haben, wie Clinton 1998/99 seine Amts-
enthebung abgewendet hat – um dann in jedem
Schritt das genaue Gegenteil zu tun:
Clinton konzentrierte sich auf das Regieren
und hielt größtmöglichen Abstand zum Im peach-
ment- Ver fah ren. Trump hingegen ist von diesem
Thema besessen, twittert mehrmals täglich dazu,
greift es in jeder Rede und bei jedem öffentlichen
Auftritt auf.
Clinton stellte eine Gruppe erfahrener Anwälte
zusammen, die ihn vertrat. Trumps anwaltliche
Vertretung ist amateurhaft, häufig clownesk und
manchmal ihrerseits in ernste Skandale verwickelt.
Clinton gab in sorgfältig abgestimmten Inter-
vallen ebenso sorgfältig durchdachte Erklärungen
ab und zeigte sich reumütig. Trump hingegen? So
etwas wie Reue kennt er nicht.
Je länger sich die Öffentlichkeit mit Clintons
Missetaten befasste, desto unbedeutender und pri-
vater erschienen sie. Trumps Verfehlungen hinge-
gen ergeben ein Muster von Amtsmissbrauch – und
mehr und mehr Fälle derartigen Missbrauchs wer-
den zurzeit bekannt. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Der Kongress hat Trumps Buchhalter vorgeladen
und fordert Einsicht in dessen Steuerunterlagen.
Der Präsident wehrt sich, aber vor Gericht hat der
Kongress bislang jede Runde gewonnen. Bald wird
der Fall vor dem Obersten Gericht verhandelt.
Setzt sich der Kongress dort erneut durch, wird er
schon bald den Wahrheitsgehalt der Medienberichte
über Trumps Steuer- und Bankbetrügereien ermes-
sen können.
Die Front republikanischer Senatoren hinter
Trump zeigt unter dem wachsenden Druck erste

Risse. Der ehemalige republikanische Präsidentschafts-
kandidat Mitt Romney, inzwischen Senator für Utah,
hat Trump für seine Syrien-Politik und sein ungebühr-
liches Verhalten gegenüber der Ukraine kritisiert. Dass
Trump versuchte, die Ukraine zu erpressen, kritisiert
auch Lisa Murkowski, eine unabhängig denkende
Republikanerin aus Alaska.
Vielleicht handelt es sich nur um Gerede der Se-
natoren. Vielleicht werden sie gar nicht aktiv. Doch
selbst ihr Reden verändert etwas. Trump befindet
sich in seiner ersten Amtszeit. Er muss mehr errei-
chen, als nur ein Amtsenthebungsverfahren abzu-
wenden. Für seine Wiederwahl muss er seine Partei
geschlossen hinter sich bringen. Das ist mittlerweile
nicht mehr ganz so leicht. Dass Trump gezwungen
war, seinen Plan aufzugeben, den G7-Gipfel in ei-
nem Trump-Hotel abzuhalten, lag größtenteils da-
ran, dass Republikaner im Kongress nicht bereit
waren, ein derartiges Vorhaben zu verteidigen. Der
Türkei drohen Sanktionen, weil Republikaner im
Kongress gegen Trumps Absprache mit Erdoğan
protestierten.
Trump sieht derzeit schwach aus. In der Trump-
Welt werden die Schwachen zermalmt. Eigentlich
müsste er jetzt Angst haben.
Unvermeidbar erscheint jedenfalls, dass er
nach Stimmen erneut verlieren wird – und dieses
Mal mit größerem Abstand als den 2,7 Millionen
Stimmen von 2016. Trumps eigene Strategen ak-
zeptieren das als unvermeidlich. Um das liberale
Kalifornien kämpfen sie gar nicht erst, entlang
der Ostküste versuchen sie es kaum. Ihre Strategie
besteht darin, Rassenkonflikte anzuheizen und
damit konservative Weiße zu mobilisieren. Dort,
wo sie auf ihnen wohlgesinnte Regierungen in
Bundesstaaten sowie Kommunalverwaltungen
bauen können, sollen die Stimmen der schwar-
zen Wählerschaft unterdrückt werden. Die besser-
verdienenden Republikaner will man bei der
Stange halten, indem die angeblich sozialistischen
Neigungen von Demokraten wie der Senatorin
Elizabeth Warren aus Massachusetts betont wer-
den. Kann diese Strategie aufgehen? Sicher ist es
jedenfalls nicht, dass Trump im November 2020
besiegt wird.

Der Autor war Redenschreiber und Berater von
Präsident George W. Bush

Aus dem Englischen von Matthias Schulz

Während seiner Amtszeit darf kein amerikanischer
Präsident vor einem Strafgericht angeklagt werden,
ganz egal, was er getan hat. Die Verfassung aus dem
Jahre 1787 lässt nur einen einzigen Weg zu, das Staats-
oberhaupt zur Verantwortung zu ziehen: ein Amts-
enthebungsverfahren, das Im peach ment. Vorgesehen
ist es bei Hochverrat und Bestechung (»treason and
bribery«) und bei anderen schweren Verbrechen (»high
crimes and mis demea nors«). Allerdings ist nirgends de-
finiert, was genau darunter zu verstehen ist, Juristen
können darüber endlos streiten. Ob Donald Trumps
versuchter Ukraine-Deal in die Kategorie »high crimes«
fällt, vermag niemand eindeutig zu sagen.

Das Impeachment-Verfahren ist ein langwieri-
ger Vorgang, der äußerlich ähnlich wie ein amerika-
nischer Strafprozess organisiert ist. Die Entschei-
dung aber fällt am Ende nicht nach juristischen
Maßstäben, sondern allein politisch.
Im Prinzip hat das Verfahren vier Phasen: Zu-
erst untersucht ein Ausschuss des Repräsentanten-
hauses, ob die Vorwürfe gegen den Präsidenten die
Eröffnung eines Im peach mentverfahrens rechtfer-
tigen. In diesem Stadium befindet sich gerade das
Verfahren gegen Donald Trump. Anschließend,
zweite Phase, stimmt das Repräsentantenhaus über
die Vorwürfe ab – da die Demokraten in dieser

Kammer gegenwärtig die Mehrheit haben, spricht
vieles für die Einleitung des Amtsenthebungs-
verfahrens.
Dann, Phase drei, übernimmt die zweite Kam-
mer, der Senat. Dort kommt es zum eigentlichen
»Prozess«, den der Chef des Obersten Gerichts lei-
tet. Zurzeit ist das Chief Jus tice John Roberts, der
2005 von Präsident George W. Bush ernannt wur-
de. Mitglieder des Repräsentantenhauses fungieren
als Ankläger, die 100 Senatoren bilden die Jury, die
über das Schicksal des Präsidenten entscheidet.
Das vierte und letzte Stadium: Um den Präsi-
denten wirklich seines Amtes zu entheben, müssen

zwei Drittel der Senatoren dafür stimmen. Das hat
es in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch
nie gegeben. Und da Donald Trumps Partei, die
Republikaner, eine knappe Mehrheit im Senat be-
sitzt, ist es derzeit wenig wahrscheinlich. Weil die
Senatoren aber stets auch mit Blick auf die öffent-
liche Meinung (und ihre Wiederwahlchancen) ab-
stimmen, ist ein Umschwung nicht völlig ausge-
schlossen, sollte sich die Stimmung im Land gegen
Trump wenden.
Dann müsste Trump am Ende das Weiße Haus
verlassen. Sein bisheriger Vize, Mike Pence, würde als


  1. US-Präsident vereidigt werden. WFG


Wie geht ein


Impeachment?


Meinung der US-Bevölkerung zum
Amtsenthebungsverfahren
(Impeachment) gegen Donald Trump*

Mehrheit dafür


Z E I T-GRAFIK/Quelle: Pew Research Center,
Umfrage unter volljährigen US-Bürgern im Zeitraum 1.–13.10.

* zu 100 % fehlende: keine Antwort * zu 100 % fehlende: keine Antwort

44 %
dagegen

54 %
dafür

»Denken Sie, dass Donald
Trumps Handlungen für eine
Amtsenthebung ausreichen?«*

Zu Recht?


wahr-
scheinlich
nicht

sicher
nicht

22 % 19 %

wahr-
scheinlich
schon

18 %

auf
jeden Fall

40 %
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