Le Monde Diplomatique Germany - 10.2019

(Martin Jones) #1

LE MONDE LE MONDE diplomatiquediplomatique ||Oktober 2019 23


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Le Monde diplomatique, Paris
Direktor Serge Halimi
Chefredakteur Benoît Breville
Stellvertreter Martine Bulard
Renaud Lambert
Redaktion Mona Chollet (verantwortlich), Akram Belkaïd,
Philippe Deschamps, Evelyne Pieiller, Hélène Richard,
Pierre Rimbert, Anne-Cécile Robert
Dokumentation Olivier Pironet
1, avenue Stephen-Pichon, F-75013 Paris

Schlechte Nachrichten
In Ägypten wurden seit Beginn der neuen
Protestwelle am 20. September mindes-
tens sechs Journalistinnen und Journa-
listen festgenommen. Zudem wurde die
Zensur der Onlinemedien verschärft, die
neuerdings auch ausländische Medien
wie die BBC-Webseite betrifft. Nach den
jüngsten Festnahmen sitzen in Ägypten
derzeit mindestens 31 Medienschaffen-
de wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Auf
der ROG-Rangliste der Pressefreiheit
steht Ägypten unter 180 Ländern auf
Platz 163.
Seitdem im Irak viele auf die Straße
gehen, um gegen die Korruption zu pro-
testieren, versucht die Regierung, jeg-
liche journalistische Berichterstattung
zu behindern. In bislang 14 Fällen ist die
Polizei aggressiv gegen Reporter und
Fernsehteams vorgegangen. In Bagdad
hat sie am 1. Oktober auf dem Tahrir-Platz
mehrere Kameraleute verletzt, als die-
se den Tränengaseinsatz filmten. Einen
Tag später wurden in der Hauptstadt
vier TV-Journalisten festgenommen. In
der Provinz al-Anbar wurden per Dekret

„alle Medienaktivitäten verboten“. Seit
dem 2. Oktober ist im ganzen Land der
Zugang zu einigen sozialen Netzwerken
blockiert.
In der Provinz Gia Lai im zentralen Hoch-
land von Vietnam wurde ein investigati-
ver Journalist Opfer der Holzmafia. Am


  1. September wurde Kieu Dinh Lieu,
    der an einer Reportage über den verbo-
    tenen Handel mit Edelhölzern arbeitete,
    zusammengeschlagen und erlitt schwe-
    re Schädelverletzungen. Der Überfall ist
    umso verdächtiger, als der Journalist kurz
    zuvor seine Entdeckung von drei Lkws
    mit illegalen Ladungen an die Waldbe-
    hörde gemeldet hatte.
    In Marokko hat ein Gericht die Journa-
    listin Hajar Raissouni am 30. September
    zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr
    verurteilt. Die Anklage gegen die Mitar-
    beiterin der Tageszeitung Akhbar al-Yom
    lautete auf „illegale Abtreibung“ und
    „außereheliche sexuelle Beziehungen“.
    Raissouni war in der Untersuchungshaft
    gegen ihren Willen einer gynäkologischen
    Untersuchung unterzogen worden. Über
    7000 Frauen haben sich schon mit der
    Journalistin solidarisiert. Sie protestieren
    gegen ein „politisches Urteil“: Raissouni
    soll offensichtlich für die Berichte be-
    straft werden, die sie 2016 und 2017 über
    die Rebellion im nordmarokkanischen
    Rif-Gebirge geschrieben hat.


Gute Nachricht
Das oberste Gericht von Kanada hat
das Urteil des obersten Gerichts der
Provinz Quebec aufgehoben, das eine
Journalistin zwingen sollte, ihre Informa-
tionsquelle preiszugeben. Marie-Mande
Denis, die für den französischsprachigen
Sender Radio-Canada arbeitet, hatte ei-
nen Parteispenden- und Betrugsskandal
aufgedeckt, in die ein Politiker der Libe-
ralen Partei von Quebec verwickelt war.
Die höchstrichterliche Entscheidung
interpretiert das „Gesetz zum Schutz
journalistischer Quellen“ von 2017 als
„Schild“ für die Pressefreiheit und be-
kräftigt damit einen wichtigen Grundsatz
zur Beweislast: Nicht die Journalisten
hätten zu beweisen, dass die Preisgabe
der Quelle unnötig ist; vielmehr müsse
die Gegenseite belegen, dass sie not-
wendig ist.

Meldungen des Monats

REPORTER
OHNEGRENZEN
FÜRINFORMATIONSFREIHEIT

Amoako Boafo, Blue Suit 2, 2019, Öl auf Leinwand, 200 x 145 cm Foto: Nick Ash

Das Risiko scheint allerdings relativ
gering zu sein: In einem OECD-Bericht
von 2016 heißt es, bislang sei nur ein
einziger Investor nicht auf seine Kos-
ten gekommen, und zwar beim ersten,
2012 in den USA vergebenen SWK, mit
dem die Rückfallquote von New Yor-
ker Gefängnisinsassen nach ihrer Ent-
lassung gesenkt werden sollte.^11 Ge-
mäß Kreditvertrag sollte der Investor
Goldman Sachs vollständig ausgezahlt
werden, wenn die Rückfallquote um
8,2 Prozent zurückginge. Obwohl das
Vorhaben scheiterte, bekam die Bank
von den 7,2 Millionen Dollar, die sie in-
vestiert hatte, 6 Millionen zurück, denn
ihre Investition war von der Stiftung
Bloomberg Philanthropies zu 75 Pro-
zent abgesichert.
In Frankreich gab es für den ers-
ten Sozialen Wirkungskredit ebenfalls
Ausfallgarantien. Noch vor ihrer Be-
werbung ließ die Adie von der Bera-
tungsgesellschaft KPMG ein Gutach-
ten erstellen, um die ökonomische
Auswirkung ihrer gesamten Aktivitä-
ten zu kalkulieren. Das Ergebnis: 1 Eu-
ro Subven tion würde nach zwei Jahren
2,38 Euro netto für die Gesellschaft be-
deuten. Anderthalb Jahre nach dem
Start des Programms waren die Ziele
fast alle erreicht. Von 320 betreuten
Personen waren über 260 wieder be-
ruflich aktiv.
„Wir fordern einerseits Innovation
und Experimentierfreude, wollen aber
andererseits alles genau berechnen,
um die Unsicherheit zu verringern, die


ein Experiment nun einmal mit sich
bringt“, kritisiert Nicolas Chochoy, Lei-
ter des Godin-Instituts. „In dieser kom-
plexen Welt ist es schon sehr schwierig,
eine Variable zu ermitteln, die den Zu-
sammenhang zwischen einer Maßnah-
me und ihrer Wirkung darstellen kann.
Noch schwieriger ist es für uns, Inno-
vation und soziale Wirkung in Zusam-
menhang zu bringen.“

Speeddating zwischen
Banken und Wohlfahrt

Den Evaluatoren und Beratungsfir-
men, die den Impact vorhersagen und
prüfen, kommt dabei eine Schlüssel-
rolle zu. KPMG war während der ge-
samten Entwurfsphase des Adie-Pro-
jekts mit an Bord und wird sechs Jahre
nach Beginn der Maßnahme die letzte
Evaluation durchführen. „Sie machen
insgesamt sechs Prüfungen, aber sie
haben uns auch dabei geholfen, die
Zielsetzungen zu definieren. All un-
sere Vorschläge wurden gefiltert, aus-
ein andergenommen und nach den von
ihnen vorgeschlagenen Berechnungs-
methoden neu ausgerichtet“, erinnert
sich Marc Olivier. Einen juristischen
Berater habe man auch noch enga-
giert.
All diese Etappen haben ihren
Preis. Mit der klassischen staatlichen
Zuwendung hätte das Projekt 1,2 Mil-
lionen Euro gekostet. Für den SWK
mussten 100 000 Euro mehr veran-
schlagt werden, um all die zusätzli-

chen Dienstleister zu bezahlen. Der
Staat wird also mindestens 1,3 Millio-
nen Euro zurückzahlen müssen, dazu
kommt noch die Erfolgsprämie, so dass
die Abschlussrechnung voraussichtlich
bei 1,5 Millionen Euro liegen wird. Ein
Verband zivilgesellschaftlicher Orga-
nisation sprach in einem Beitrag in
der Zeitung Le Monde gar von Finanz-
betrug: „Manche Maßnahmen, die im
Ausland über SWK durchgeführt wur-
den, kamen den Steuerzahler dreimal
so teuer zu stehen, als wenn sie direkt
von der öffentlichen Hand finanziert
worden wären.“^12
Der SWK-Markt wird für Investoren
allmählich lukrativ. Auch wenn die Ge-
winnmargen meist nicht so hoch sind
wie bei klassischen Finanzprodukten,
nimmt die Zahl solcher Kredite immer
weiter zu. Nach Angaben der Plattform
Social Finance gab es im Juni 2019
weltweit immerhin über 130 laufende
Projekte im Wert von über 350 Millio-
nen Euro.^13
Dass es sich um einen aufstreben-
den Sektor handelt, zeigt sich auch da-
ran, dass an den renommierten Hoch-
schulen die Studiengänge stärker auf
Impact Investment zugeschnitten wer-
den. Die Pariser Eliteschmiede HEC
will jetzt „realistische Idealisten“ aus-
bilden: „Wenn Sie ein Träumer sind,
der die Dynamik der Märkte im Blick
behält, besitzen Sie einen strategischen
Vorteil gegenüber Ihren Konkurren-
ten“, heißt in der Werbung für den Mas-
terstudiengang Management.

Bislang sind die SWKs nur als Er-
gänzung zum staatlichen Sozialsystem
gedacht – sie können die allgemeine
öffentliche Daseinsvorsorge nicht er-
setzen. Zudem gibt es Befürchtungen,
dass gerade die Ergebnisorientierung
zu einer Konzentration auf bestimm-
te Gebiete führen könnte: „Wenn es
leichter ist, das gewünschte Ergebnis
im Großraum Paris zu erreichen als et-
wa in der Corrèze, weil rund um Paris
der Arbeitsmarkt stabiler, größer und
beweglicher ist, dann besteht die Ge-
fahr, dass die Investoren die Corrèze
links liegen lassen“, meint etwa ein Be-
ratungsportal zur sozialen Verantwor-
tung von Unternehmen.
Die französische Regierung versi-
chert, soziale Wirkungskredite sollen
nur für präventive Pilotprojekte verge-
ben werden; wenn diese Erfolg hätten,
werde der Staat die weitere Finanzie-
rung direkt übernehmen. Bis jetzt al-
lerdings hat das Wiedereingliederungs-
projekt der Adie noch keinerlei feste
Zusagen.
„Wenn wir unsere Ziele erreichen,
kann niemand behaupten, dass unse-
re Maßnahme nicht funktioniert“, sagt
der Adie-Schatzmeister Olivier. „Wir ha-
ben aber noch keine Zusage für eine Fi-
nanzierung über 2020 hinaus. Theore-
tisch heißt es, bei den SWKs gehe der
Träger keinerlei Risiko ein. Wir haben
aber für diese Maßnahme fünf Mitar-
beiter eingestellt, da darf die Unterstüt-
zung nicht am Ende einfach ausfallen.“
Wie es weitergehen wird, ist unge-
wiss. In Frankreich hat sich der Staat
jedenfalls entschieden, zugunsten der
Schaffung eines Markts für soziale
Dienstleistungen zu intervenieren. Ob
er bald schon, wie in Großbritan nien
die Ministerien, Speeddatings zwischen
Wohltätigkeitsverbänden und Finanz-
institutionen organisieren wird, bleibt
abzuwarten.

(^1) The homelessness monitor: England 2018“, Crisis „
UK und england.shelter.org.uk.
(^2) In Deutschland ist der SWK weit weniger verbreitet.
Siehe Mark T. Fliegauf u. a., „Investition, Intervention,
Impact. Der Soziale Wirkungskredit in Deutschland“,
Stiftung neue Verantwortung, Februar 2015: http://www.stif-
tung-nv.de/de/publikation/investition-intervention-im-
pact-der-soziale-wirkungskredit-deutschland.
(^3) Frédéric Marty, „Les contrats à impact social: une
nouvelle génération de PPP pour les politiques so-
ciales“, Politiques et management public, Nr. 33 (3–4),
Cachan 2016.
(^4) „Building an evidence base of costs“, New Economy,
Manchester: neweconomymanchester.com.
(^5) Social Impact Bonds: state of play & lessons learnt“, „
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD), Paris 2016.
(^6) Nathaniel Popper, „Success metrics questioned in
school program funded by Goldman“, The New York
Times,
3. November 2015.
(^7) Nicolas Madelaine, Les Échos, Paris, 4. September 2014.
(^8) Ronald Cohen, „Revolutionising Philanthropy: Im-
pact Investment“, Mansion House Speech, London,



  1. Januar 2014.


(^9) Inzwischen umbenannt in „Bewegung für Social En-
trepreneurs“ (Mouvement des entrepreneurs so ciaux,
Mouves).
(^10) Hugues Sibille, „Comment et pourquoi favoriser des
investissements à impact social“, Bericht des franzö-
sischen Ausschusses für Social Impact Investment,
September 2014.
(^11) Social Impact Bonds: state of play & lessons learnt“ „
(siehe Anmerkung 5).
(^12) Collectif des associations citoyennes, „Quand le
social finance les banques et les multinationales“, Le
Monde,
10. März 2016.
(^13) sibdatabase.socialfinance.org.uk.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Margot Hemmerich und Clémentine Méténier sind
Journalistinnen.

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