Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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19.10.19 Samstag, 19. Oktober 2019DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,19.OKTOBER2019* FORUM 3


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E


s sind Szenen wie vom Ende
einer Großmacht. Da reist der
US-Vizepräsident in die Türkei,
und der türkische Staatschef will ihn
erst gar nicht empfangen. Dann bietet
der Amerikaner Recep Tayyip Erdo-
gan alles, was sich der schon immer
gewünscht hat in Syrien, nur damit
die USA am Ende verkünden können,
sie hätten einen Waffenstillstand
ausgehandelt – einen Waffenstill-
stand, den die Türkei nicht einmal so
nennen möchte und an den sich we-
der ihre Streitkräfte noch die der
syrischen Kurden wirklich halten.
AAAber Donald Trump erklärt sich undber Donald Trump erklärt sich und
alle anderen zu Siegern. Und nie-
mand widerspricht ihm, so als wollte
man die alte Ordnungsmacht nicht
noch mehr demütigen.
In Wahrheit ist beiden Seiten klar,
dass Russland mit seinen Streitkräf-
ten und Verbündeten am Boden und
mit seinen seit Langem laufenden
VVVerhandlungsrunden entscheidenerhandlungsrunden entscheiden
wird, wer am Ende wo in Syrien halt-

machen muss. Den USA gönnt man
noch die Simulation einer Groß-
macht. Das könnte Anlass für Schaden-
freude sein. Hat es Trump nicht ver-
dient, sich lächerlich zu machen?
Schließlich hat sein Rückzug aus Nord-
syrien dieses Chaos erst ermöglicht.
Wer seine Verbündeten verrät wie
Trump die Kurden, dem wünscht man
so wenig Einfluss wie möglich. Auch im
Interesse aller anderen.
Doch tatsächlich enthält die Farce
dieses Waffenstillstands eine unange-
nehme Lehre für die Europäer, die sich
moralisch so überlegen fühlen. Denn
dass Amerika in Syrien einen Waffen-
stillstand nur noch simulieren kann,
liegt vor allem daran, dass es dort keine
Waffen mehr besitzt. Man kann keinen
Frieden befehlen, wenn man seine Ein-
haltung nicht sichern kann.Weil Eu-
ropa und Amerika die Verantwortung
in Syrien weitgehend abgegeben haben,
können sie auch das Gute nicht mehr
schaffen, das durch Macht möglich
wird. Wenn unsere Sicherheit und
unsere Migrationspolitik von Russland
abhängig werden, dann zahlen wir
einen hohen Preis für unser mora-
lisches Überlegenheitsgefühl. Aber
unermesslich mehr müssen dafür die
Menschen in Syrien büßen.
[email protected]

Simulation von Großmacht


KOMMENTAR


DANIEL-DYLAN BÖHMER

B


alkanroute – das ist der relativ neue
Begriff für den langen Landweg,
dem Kriegsflüchtlinge und Migran-
ten auf ihrem Weg nach Mittel-
europa von Griechenland aus fol-
gen. Seit vor fünf Jahren Hundert-
tausende Menschen hier durch-
zogen, ist das Wort „Balkanroute“ zum Synonym
geworden für Menschen, die über geschlossene Gren-
zen in Nordmazedonien, Kroatien, Ungarn in Rich-
tung Deutschland, Frankreich, Schweden notfalls mit
Gewalt durchbrechen wollen. „Balkanroute“ steht
somit auch für unhaltbare humanitäre Zustände, für
glänzende Geschäfte von Schleppern und nicht zu-
letzt für die Furcht vieler Mitteleuropäer vor einer
ungeregelten Massenzuwanderung.
Doch wie sieht es mit den Menschen aus, die hier
nicht durchziehen, sondern entlang der Balkanroute
leben? Nationen wie das völkerrechtlich umstrittene
Kosovo, wie die immer noch von Kriegsverbrechen
üüüberschatteten Bosnien und Serbien, wie das bettel-berschatteten Bosnien und Serbien, wie das bettel-
arme Albanien oder das erst vor einem Jahr umge-
taufte Nordmazedonien machen seit Jahrhunderten
fffür die Mitteleuropäer nicht viel her. Der britischeür die Mitteleuropäer nicht viel her. Der britische
Historiker Mark Mazower hat beschrieben, wie die
Menschen am Balkan stets und meist zu Unrecht als
halbwilde Grenzgänger galten – irgendwo angesiedelt
zzzwischen einem exotischen Osmanenreich und slawi-wischen einem exotischen Osmanenreich und slawi-
schen Fürstentümern, deren Namen kaum ein Mittel-
europäer auseinanderhalten kann.
Sicher ist für die westeuropäisch dominierte Eu-
ropäische Union einzig, dass sämtliche Nationen ent-
lang der Balkanroute, die anders als Bulgarien, Grie-
chenland und Rumänien noch nicht zur EU gehören,
mit voller Kraft Richtung Brüssel steuern. Als die
letzten verbliebenen Beitrittskandidaten machen diese
heterogenen Gesellschaften Brüsseler Bürokraten oft
KKKummer, weil Korruption in Justiz und Verwaltungummer, weil Korruption in Justiz und Verwaltung
weit verbreitet ist. Oder weil, wie vor allem in Monte-
negro, Enthüllungsjournalisten mit Prügeln, Pistolen-
kugeln oder Bomben rechnen müssen, wenn sie dunk-
le Geschäfte der regierenden Kaste aufdecken.
Doch selbst wenn sämtliche Kandidaten alle Nor-
men der EU erfüllen würden, ist nach dem Brexitcha-
os die Gastfreundschaft der EU für neue Mitglieder
stark abgekühlt. Erst diesen Sommer machte Frank-
reichs Staatspräsident Emmanuel Macron bei einer
Balkanrundreise Nationen wie Serbien wenig Hoff-
nung auf einen baldigen Beitritt. Die EU, so scheint
es, ist im Moment etwas überfordert, den eigenen
Laden einigermaßen zusammenzuhalten. Die Ge-
burtswehen der Kommission von der Leyen, deren
zuweilen dubiose Kandidaten es längst nicht rei-
bungslos durch die Anhörungen im EU-Parlament
schaffen, bieten kein gutes Sittenbild.
Wie die Europäische Union mit weiteren Parlamen-
tariern, Übersetzern, Bürokraten und Kommissaren
aaaus dem Kosovo, aus Montenegro, aus Serbien ar-us dem Kosovo, aus Montenegro, aus Serbien ar-
beitsfähig bleiben soll, weiß in Brüssel so recht nie-
mand. Vorbei die glorreichen Tage um das Jahr 2000,
als noch weite Kreise in wohlhabenden Musterstaaten
wie Island, Norwegen und sogar der Schweiz für ei-
nen EU-Beitritt plädierten und der Euro noch rei-
bungslos zu funktionieren schien. Nun ist Großbri-
tannien auf dem quälenden Weg in einen merkwürdi-
gen Nationalismus. Und der Skeptizismus gegen die
EU wurde bis in die Kernländer größer denn je.
Doch sogar entlang der Balkanroute ist die Eupho-
rie nicht mehr ungebrochen. Anders, als viele Mittel-

europäer glauben, sehen sich die Menschen südlich
von Ungarn und Kroatien keineswegs als Bittsteller,
die bei einem Beitritt auf die Geldgießkanne aus der
Brüsseler Zentralkasse schielen. Als vor einem Jahr
üüüber die von Griechenland geforderte Umbenennungber die von Griechenland geforderte Umbenennung
Mazedoniens in „Nordmazedonien“ (und damit für
den Weg zur EU) abgestimmt wurde, ging nur ein
gggutes Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen.utes Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen.
AAAllzu gewaltig ist die Europa-Euphorie also nichtllzu gewaltig ist die Europa-Euphorie also nicht
mehr, denn es hat sich herumgesprochen, dass ein
Beitritt auch Nachteile hat. Viele Menschen fürchten,
dass unter Brüsseler Kuratel die nationalen Grenzen
fffür Zuwanderer aus ärmeren Ländern geöffnet wer-ür Zuwanderer aus ärmeren Ländern geöffnet wer-
den müssen, während jetzt schon Hunderttausende
von jungen, meist gut ausgebildeten Kräften die Län-
der Richtung Mitteleuropa verlassen haben.
WWWenn in Nordmazedonien ein gewöhnlicher Mo-enn in Nordmazedonien ein gewöhnlicher Mo-
natslohn bei 600 Euro liegt, zieht es nicht nur Kran-
kenschwestern, Busfahrer, Monteure, sondern auch
Ärzte magisch in die Hochlohnländer entlang der
RRRheinschiene. Bulgarien oder Rumänien, die seit demheinschiene. Bulgarien oder Rumänien, die seit dem
EU-Beitritt Millionen Bürger ganz oder übergangs-
weise verloren haben, sind ein fatales Vorbild für das
AAAusbluten ganzer Landschaften. In Bosnien, demusbluten ganzer Landschaften. In Bosnien, dem
Kosovo oder Rumänien zeichnet sich jetzt bereits
akuter Ärztemangel ab, und das ist erst der Anfang.

osovo oder Rumänien zeichnet sich jetzt bereits
kuter Ärztemangel ab, und das ist erst der Anfang.

osovo oder Rumänien zeichnet sich jetzt bereits
aakuter Ärztemangel ab, und das ist erst der Anfang.
Ganze Dörfer von albanischen Arbeitsmigranten, etwa
in Nordmazedonien, bieten ein bizarres Bild: Prächti-
ge Mehrfamilienhäuser für den zahlreichen Nach-
wwwuchs stehen in diesen Geisterstädten leer, und kaumuchs stehen in diesen Geisterstädten leer, und kaum
ein Kind der Auswanderer wird wohl je zurückkehren.
Ist es da ein Wunder, wenn immer weniger Men-
schen auf dem Balkan große Hoffnungen auf die EU
setzen? Zumal Ökonomien wie die albanische, mon-
tenegrinische oder nordmazedonische ohne Euro-
Preise und mit wachsendem Tourismus gar nicht so
übel dastehen. Gut möglich also, dass die Balkan-
länder im Jahr 2025, auf das sie jetzt von Macron
und Juncker vertröstet werden, gar nicht mehr als
Beitrittskandidaten gelten wollen. Die inneren und
wechselseitigen Konflikte tun ein Übriges. Serbien
müsste für einen Beitritt das im Krieg abgespaltene
Kosovo anerkennen und friedlich kooperieren. Alba-
nische Nationalisten müssten mit ihren ethnischen
und sprachlichen „Brüdern und Schwestern“ in
Nordmazedonien und dem Kosovo ohne Kampagnen
der nationalen Vereinigung auskommen. Und Bos-
nien bietet auch gut zwanzig Jahre nach Kriegsende
mit den drei zerstrittenen und mühsam abgeteilten
Gemeinschaften der Kroaten, Serben und islami-
schen Bosnier das traurige Bild eines allein nicht
lebensfähigen Kunststaates. Unter der islamischen
Bevölkerung wird bei solcher Misere die Religion
immer wichtiger: Wo der Balkan-Islam früher offen
und tolerant war, sieht man jetzt, da die arabischen
Staaten fundamentalistische Moscheen finanzieren,
immer mehr verschleierte Frauen.
Eine Traumhochzeit wird die Inkorporation der
Balkanstaaten in die EU also keinesfalls. Umge-
kehrt haben all diese mehr oder weniger künst-
lichen Kleinstaaten seit dem Ende des Osmanen-
reiches im Ersten Weltkrieg keine echte Wirt-
schaftsgrundlage. Entlang der Balkanroute zeich-
net sich eine Hängepartie ab, die fatal zum Brüsse-
ler Stillstand dieser Jahre passt: Ohne die EU geht
es für die Balkanstaaten nicht. Und mit der EU ist
es auch nicht viel besser.
[email protected]

In die EU –


oder lieber nicht?


Seit der großen


Völkerwanderung des


Jahres 2015 ist der


Balkan wieder die labile


Südostflanke Europas.


Länder wie Serbien,


Albanien oder


Nordmazedonien wollen


zwar in die Europäische


Union. Doch sie fürchten,


zu viele Bürger an den


Westen zu verlieren


Die Menschen am Balkan


galten stets und meist


zu Unrecht als halbwilde


Grenzgänger


LEITARTIKEL


ǑǑ


DIRK SCHÜMER

GETTY IMAGES

/AWAKENING

„Wir kämpfenfür die Freiheit“
Nessrin Abdalla ist Kommandeurineiner kurdischen Frauenbrigade undhilft bei der Verteidigung der syri-
schen Stadt Kobani gegen die türki-schen Truppen. „Wir kämpfen fürFreiheit und Demokratie“, sagt sie.Am Donnerstagabend kam eine über-
sident Mike Pence erklärte, er habesich mit dem türkischen Präsidentenraschende Nachricht: US-Vize-Prä-
Recep Tayyip Erdogan auf eine Waf-fenruhe für den Nordosten Syriensverständigt. Die Türkei habe zugesi-chert, alle militärischen Aktionen für
120 Stunden zu unterbrechen. Überdie Lage in der Region und die Folgenfür Europa: Seite 8

***D2,80EUROBNr. 243

KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 FREITAG, 18. OKTOBER 2019

Oabtreten kann, ist zurzeit mehrals ungewiss. sich gerade einen neuenals Präsident der EU-Kommission jemalsb Jean-Claude JunckerAngeblich soll er
Schreibtischstuhl bestellt ha-ben. Seine designierte Nach-folgerin Ursula von der Leyen
geeignete Kommissionskan-didaten zu finden. Die meisten,die ihr empfohlen werden, sindhat jedenfalls große Probleme,
vorbestraft und korrupt, wasfrüher auch kein Problem war.Aber neuerdings stellen sich alleso an, und wenn jemand schon
nicht fachlich geeignet ist, soller es wenigstens charakterlichsein. Der Kommissionsstart
muss um einen Monat verscho-ben werden, und so hat es jabeim Hauptstadtflughafen auchangefangen. Im Moment sind
nur drei Bewerber durchgefal-len, aber wer weiß, was in dennächsten Wochen noch alles ans
wirklich der geeignete Ort füreine Resozialisierung ist oder obLicht kommen wird. Es ist auchdie Frage, ob die Kommission
die Kandidaten dort nicht mitzweifelhaften Elementen inBerührung kommen, die sieerneut in kriminelle Machen-
schaften verstricken.

ZZZippert zapptippert zappt

D

ie Gslungen am Donnerstag aufEroßbritannien ich nach zähen Verhand-U-Unterhändler undhaben
trag geeinigt. Die 27 verbleibenden EU-Staaten billigten anschließend auf ih-reinen neuen Brexit-Ver-
em Gipfel in Brüssel das modifizierteAusstiegsabkommen und sagten Unter-Ausstiegsabkommen und sagten Unter-Astützung für ein pünktliches Inkrafttre-ten zum 1. November zu. Kanzlerin An-
sgela Merkel (CDU) sagte, es seien „un-ter dem Strich gute Beratungen zu ei-nem nicht erfreulichen Ereignis“ gewe-en. Das Abkommen eröffne „die Chan-
cme, auch in Zukunft enge Beziehungenit Großbritannien zu haben“.Der konservative britische Premier-
mneterhaus bringt. Johnson hat im Parla-inister Boris Johnson sprach em Durchbruch. Unklar blieb aber, obr den Vertrag durch das britische Un-von ei-
mMSamstag vorgesehen. Auch das Europäi-sche Parlament muss noch zustimmen. ent mit seinen Tories keine eigeneehrheit. Die Abstimmung ist für

ben der scheidende EU-Kommissions-chef Jean-Claude Juncker und Johnsondie Einigung am Donnerstagmittag be-Nach tagelangen Verhandlungen ga-
kannt. Juncker bezeichnete das Abkom-men als fair und ausbalanciert. „Wo einWille ist, ist auch ein Deal“, schrieb erauf Twitter. Johnson erklärte: „Wir ha-
ben einen großartigen, neuen Brexit-

Deal.“ Großbritannien erhalte damit dieKontrolle über seine Politik zurück. Abkommen ablehnen, droht ein ungere-Sollte eines der beiden Parlamente das
gelter Austritt des Königreichs aus derEU. Juncker schloss eine weitere Ver-schiebung des Austrittsdatums aus: „Eswird keine weitere Verlängerung geben.“
tung gemacht.“ Die EU-Chefs würdenMerkel sagte allerdings am Abend: „Wirhaben keinerlei Vorgaben in diese Rich-
sich nach den Entscheidungen der Parla-mente wieder mit der Frage befassen.bour-Chef Jeremy Corbyn, sprach mitDer britische Oppositionsführer, La-
Blick auf das neue Abkommen von einem„Ausverkauf“ und kündigte die Ableh-nung durch seine Partei an. Johnson ha-
be einen noch schlechteren Deal ausge-handelt als seine Vorgängerin May. Auchdie nordirische DUP-Partei und die EU-freundliche Scottish National Party
(SNP) kündigten ein Nein an. Der EU-feindliche britische Populist Nigel Fara-ge kritisierte die neue Brexit-Einigung.Trotz der Verbesserungen in Fragen der

Zollunion sei die Vereinbarung ange-sichts der vorgeschlagenen Nordirland-Lösung „kein Brexit“, erklärte der Chefder Brexit-Partei. Die britischen Liberal-
sdemokraten beharren auf einer zweitenVolksabstimmung über den EU-Austritt.Eagte, das Abkommen schaffe Rechtssi-U-Chefunterhändler Michel Barnier
cbzzzherheit. Es werde eine Übergangsphaseis Ende 2020 geben. Eine harte Grenzewischen der britischen Provinz Nordir-wischen der britischen Provinz Nordir-
land und dem EU-Mitglied Irland sei aus-gverkehr weiter EU-Regeln unterliegen. Zu-gleich werde die Provinz auch der briti-eschlossen. Nordirland werde im Güter-
schen Zollhoheit für Waren unterstehen,wenn diese dort verbleiben – damit wür-den britische Handelsabkommen mit
rittstaaten auch in Nordirland gelten. Zu-bkommen der EU mit Großbritannien, ingleich sei der Weg geebnet für ein Handels-aDabkommen der EU mit Großbritannien, inadem es weder Zölle noch Quoten gebe.
Nordirland werde die Möglichkeit einge-räumt, alle vier Jahre zu entscheiden, obdas Abkommen weiter gelten solle.Siehe Kommentar, Seiten 6 und 10DW

Ein neues Brexit-Abkommen
steht – aber wie lange?
IAn letzter Minute einigt sich der britische Premier Johnson mit der EU doch noch auf einenusstiegsvertrag für sein Land. Aber ob das Unterhaus am Samstag zustimmt, ist fraglich

Ein zu starker Händedruck? Boris Johnson(l.) und Jean-Claude Juncker in Brüssel

SSevor, das wichtiger ist als fast jedesbamstag steht ihm ein weiteres Votumaeit Boris Johnson britischersremier wurde, hat er jede Ab-Ptimmung verloren. An diesem
ZAweiten Weltkrieg. Werden sich dieZweiten Weltkrieg. Werden sich dieZndere in Großbritannien seit dembgeordneten im Unterhaus für denAbgeordneten im Unterhaus für denABrexit-Deal entscheiden, den der Kon-
gsggvind die Aussichten für Johnson nichterhandelt hat? Auf den ersten Blickut. Auf beiden Seiten des Hauses feh-sut. Auf beiden Seiten des Hauses feh-ervative in letzter Minute in Brüssel
lseen ihm Stimmen. Die nordirische DUPtreikt, die Labour-Partei will nicht, dieuropafreundlichen Liberaldemokra-
ten und schottischen Nationalistenebenso wenig. Die einen fürchten umihren Status als Teil des VereinigtenKönigreichs, die anderen treibt politi-
sches Kalkül, die Dritten wollen denEU-Ausstieg ganz verhindern.spenstige Parlament möglicherweiseDoch Johnson kann das wider-
ausspielen. Dank seiner Alles-oder-nichts-Taktik hat der Tory-Vorsitzen-de mehr als eine Option. In Brüssel
dass sie ein weiteres Verschieben derAusstiegsfrist ablehnen sollten. Dasversuchte er, seine europäischenAmtskollegen davon zu überzeugen,
Kalkül: Wenn die Parlamentarier kon-frontiert sind mit der Aussicht, dasssie sich nur zwischen Johnsons Deal
und einem chaotischen Brexit ent-scheiden können, werden sie im letz-ten Moment für den geordneten EU-Ausstieg stimmen.
zweite Brexit-Vertrag der endgültigletzte sei. Bei den Proeuropäern inLondon werden diese Worte auf Ent-Brüssel hat klargemacht, dass der
setzen treffen. Viele hoffen noch im-mer, dass das Unterhaus im letztenMoment der Regierung Johnson ei-
stieg doch noch verhindern kann. Wiedas geschehen soll, ist aber weiter dienen Strich durch die Rechnung machtund in einer Verlängerung den Aus-
Frage. Deshalb steht Johnson so gutda. Durch sein Vorgehen hat er sicherfolgreich zum „Mister Brexit“ ge-
macht, der das Votum vom Sommer2016 umsetzen wird.mFällt Johnson im Parlament durch,uss er die Europäer um eine Verlän-
gerung bitten. Lang wird die nicht sein,das hat Juncker bereits betont. Aber siekönnte lang genug sein für eine vorge-zogene Neuwahl. Die Konservativen
haben mit Johnson gute Chancen, die-se zu gewinnen. Im Wahlkampf kann erdann genüsslich das Narrativ ausspie-
udlen, dass er einen Deal hat, die Opposi-tion dagegen nur Unwägbarkeiten –nd ein noch längeres Brexit-Drama,essen die Briten so müde sind. Der
EOuU-Ausstieg mag am Ende nicht am 31.ktober kommen. Aber er kommt –nd höchst wahrscheinlich unter ei-
nem Premier Johnson.

KOMMENTAR
hat gewonnenJJJohnsonohnson
STEFANIE BOLZEN

IJahres mehrere Journalistenverhaftet worden. Einer vonihnen ist m Zuge regierungskritischerProteste sind in Ägypten seitMitte September diesesSajed Abdallah.
TV-Reporter hatte am 20. Sep-tember für den Fernsehsenderal-Dschasira über eine Kund-gebung in Suez berichtet, beiDer
der Demonstranten ein Endeder politischen Einmischungdes ägyptischen Militärs und
ägyptische Polizisten seineden Rücktritt des PräsidentenAbdel Fattah al-Sisi forderten.Einen Tag später stürmten
Privatwohnung und nahmenihn fest.Kurz nach seiner VerhaftungKurz nach seiner VerhaftungK
wtdwdweilte Abdallahs Frau ein Vi-üstete Wohnung zeigt. Dieeo, das ihre bei der Polizei-üstete Wohnung zeigt. Dieurchsuchung komplett ver-
ägyptischen Behörden habenbisher weder einen Grund fürdie Festnahme des Journalis-ten bekannt gegeben noch
mitgeteilt, wo er festgehaltenwird. Neben Abdallah habendie ägyptischen Behörden im
Zuge der Proteste Informatio-nen der Organisation Reporterohne Grenzen zufolge mindes-tens fünf weitere Journalisten
verhaftet.Auf der Rangliste der Presse-

#tFree Free hemhem
aSajed Abdallahll GETTY IMAGES

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Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser
wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen
uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das
Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der
sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei
uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage,
jede einzelne Zuschrift zu beantworten.

überfordert. Die Spareinheiten bei der
Berliner Verwaltung in den 1990ern,
der Verkauf der städtischen Wohnun-
gen, der Verkauf von Wasserwerk,
Energie etc. mit späterem Rückkauf.
Da fragt sich der Bürger: Sind wir in
Schilda? Leider ist der Regierende
Bürgermeister Müller der ganzen An-
gelegenheit nicht gewachsen. Gerne
würde ich Herrn Fallenstein zustim-
men und Brandenburg regieren lassen.
Ich traue aber Ministerpräsident
Woidke nicht zu, plötzlichen Enthusi-
asmus zu entfalten, was Berlin endlich
bräuchte. Wir brauchen hier den bes-
ten Politiker als Regierenden Bürger-
meister in der Stadt. Nicht immer die
schlechtesten. Vorübergehend wäre
Herr Buschkowsky der richtige Mann,
da er sich mit der Politik der Stadt gut
auskennt. Danach wäre der Tübinger
Bürgermeister Boris Palmer der richti-

erzwingen noch durch sozialen Druck
durchsetzen. Integration bedeutet, unse-
re Grundüberzeugungen und -werte,
Gleichberechtigung von Frau und Mann,
Selbstbestimmungsrecht etc. zu teilen
und die sozialen Normen und Regeln
unseres Zusammenlebens zu befolgen.
Das Patriarchat, Unterordnung der Frau,
VVVorrang der Familieninteressen vororrang der Familieninteressen vor
denen individueller Selbstbestimmung,
strikte Rollen- und Geschlechter-
klischees, eine entsprechende Kinder-
erziehung – diese bewusst integrations-
verweigernde Lebensweise viel zu vieler
der hier lebenden islamisch geprägten
Familien ist mit unseren Grundwerten,
Normen und Regeln unvereinbar. Aber
dennoch ist sie legal und entzieht sich
als private und familiäre Lebensführung
unserer Einflussnahme. Wir können
Integration nicht durchsetzen. Deshalb
dürften wir in Zukunft nur noch in-

tegrationswillige und -fähige Migranten
zuwandern lassen.
MICHAEL MEINSEN, HANNOVER

Yücel ist zurück


Zu: „Donald Trumps Verrat
an den Kurden“ vom 11. Oktober

Welche Freude, wieder einen Kom-
mentar von Herrn Yücel lesen zu dür-
fen, nachdem er, nur weil er die Gabe
hat, die Dinge auf den Punkt zu brin-
gen, im Sultanat Recepistan seiner
Freiheit beraubt wurde. Besonders ist
hervorzuheben, dass weder seine spitze
Feder und das analytische Denken noch
der Mut, auch Versager beim Namen zu
nennen, im Gefängnis gelitten haben.
Weiter so, Herr Yücel!
DR. MED. WOLFGANG ORIWALL, KIEL

LESERBRIEFE


ge Mann. Er ist nicht aus Berlin, bringt
neue Ideen und frischen Wind hierher.
Ich bin nicht unbedingt Grünen-Wäh-
lerin, aber Palmer ist glaubwürdig und
bodenständig.
GABRIELA BAIER-SPILLER, PER E-MAIL

Geschützte Familie


Zu: „Wie im Gefängnis“
vom 30. September

Im Privat- und Familienleben zeigt sich,
ob Integration ge- oder misslingt. Dieser
Bereich ist aber grundgesetzlich durch
Persönlichkeitsrechte, den besonderen
Schutz der Familie, das Erziehungsrecht,
Religionsfreiheit und Minderheiten-
schutz vor staatlicher Einflussnahme
besonders geschützt. Und deshalb lässt
sich Integration weder rechtsstaatlich

Boris Palmer muss die


Hauptstadt regieren


Zu: „Das Bundesland Berlin
gehört abgeschafft“
vom 16. Oktober

Der Kommentar spricht mir aus der
Seele. Berlin ist unregierbar. Das Pro-
blem liegt ganz einfach darin, dass
hier die krasse Wirklichkeit von Ver-
schiedenheiten in Ost und West zu-
sammentrifft und weiterbesteht. Die
West-Berliner haben genug durch die
Grenze und den Stress nach der Mau-
eröffnung mitgemacht, die Ost-Berli-
ner fühlen sich unverstanden und
möchten immer ein Stückchen von
früher zurück. Durch die Massen-
zuwanderung seit 2015 wurde der
Bogen überspannt, die Berliner waren

Z


u den stolzesten Besitzstücken
meiner Familie gehört die Ur-
kunde des Mossad, mit der mei-
ner Tante Yael (Lotte) Posener für ihre
Rolle bei der Ergreifung Adolf Eich-
manns gedankt wird. Israel musste den
„Organisator der Endlösung“ 1960 aus
Argentinien entführen, weil sich die
deutschen Behörden – trotz der Bemü-
hungen des hessischen Generalstaats-
anwaltes Fritz Bauer – weigerten, Eich-
mann zu verfolgen.
Nun steht in Hamburg der 93-jährige
Bruno D. vor Gericht, weil er als 17-Jäh-
riger ein Rädchen in der Maschinerie
war, die Himmler, Heydrich, Eichmann
und andere fanatische Bürokraten des
Todes aufbauten. Ich frage mich, ob
meine – längst verstorbene – Tante darü-
ber Genugtuung empfinden würde. Bru-
no D. war Wachmann im KZ Stutthof bei
Danzig. Einem Ort des Massenmords,
besonders an Juden, aber auch an Ka-
tholiken und anderen Gegnern der Na-
zis. Die vier Stutthof-Prozesse in Polen
1 946 und 1947, bei denen 21 Todesurteile
gefällt wurden, brachten das Ausmaß der
VVVerbrechen ans Licht. Dazu gehörte,erbrechen ans Licht. Dazu gehörte,
dass aus einigen Opfern Seife hergestellt
wwwurde. Der dafür verantwortliche Arzturde. Der dafür verantwortliche Arzt
RRRudolf Maria Spanner war ab 1946 Pro-udolf Maria Spanner war ab 1946 Pro-

fffessor in Köln. Niemand wirft Bruno D.essor in Köln. Niemand wirft Bruno D.
vor, Gefangene getötet oder misshandelt
zu haben. Seit etwa zehn Jahren aber
gilt: Wer Teil der KZ-Maschinerie war,
machte sich der Beihilfe zum Mord
schuldig. Der junge SS-Mann Bruno D.,
so die Staatsanwaltschaft, hätte sich ja
an die Front melden können.
Ein Teenager, der seit früher Kindheit
nichts anderes kannte als das Dritte
Reich, muss sich 75 Jahre später dafür
verantworten, seine Haut durch den
WWWachdienst gerettet zu haben. Ist dasachdienst gerettet zu haben. Ist das
schon schwer nachvollziehbar, so ist es
die Eingrenzung der Beihilfe auf das
KZ-Personal erst recht. Wie Himmler
1 943 sagte: „‚Das jüdische Volk wird
aaausgerottet‘, sagt ein jeder Parteigenos-usgerottet‘, sagt ein jeder Parteigenos-
se, ‚ganz klar, steht in unserem Pro-
gramm, Ausschaltung der Juden, Aus-
rottung, machen wir.‘“ Damit wären alle
NSDAP-Mitglieder der Anstiftung zum
Mord schuldig. Und was ist mit der
WWWehrmacht, die mit ihrem Eroberungs-ehrmacht, die mit ihrem Eroberungs-
und Vernichtungskrieg erst den Holo-
caust ermöglichte?
Es gibt eine Schuld, die jenseits der
Justiziabilität liegt. Nach 1945 waren die
Deutschen so emsig bemüht, eine „Kol-
lektivschuld“ zu leugnen, dass sie die
AAAusmaße tatsächlicher Mitschuld nichtusmaße tatsächlicher Mitschuld nicht
sehen wollten. Man wird das Gefühl
nicht los, der Prozess gegen Bruno D.
solle Justiz und Öffentlichkeit entlasten,
deren Versäumnisse – man denke an
Eichmann und Spanner – aber nicht
wiedergutzumachen sind. So, denke ich,
wwwürde meine Tante urteilen.ürde meine Tante urteilen.

Rädchen in der NS-Maschine


PLATZ DER REPUBLIK


ALAN POSENER

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