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APÉRO
JOTTWEDE
VON OBEN LINKS IM UHRZEIGERSINN:
DER BLUMENLADEN AM MARKT MACHT
GUTE LAUNE. TAYAS IST BACKKUNST
PUR. DAS HAUS AM WALDSEE IST BERLINS
SCHÖNSTER KUNSTVEREIN. SCHNITT-
BLUMEN BEKOMMEN IN ZEHLENDORF
GENAUSO VIEL LIEBE WIE KÄSE. IM
HOFLADEN LOKI IS ALLET KNORKE.
WESTBERLINER ELEGANZ INKLUSIVE
kontingentiert: Berliner Schokolade, italieni-
sche Biscotti und Liköre aus Angermünde
von der Grumsiner Brennerei. Draußen sitzt
ein Trupp gut gelaunter Rentner. Frau Mün-
ter, die Inhaberin, passt auf, dass die Dame
mit dem zu hohen Blutdruck es nicht mit dem
Koffein übertreibt. „Die treffen sich hier jede
Woche“, erklärt sie. „Man tauscht sich aus,
redet über Reisen, Kultur, Krankheiten.“ Fast
jeden, der hier reinkommt, kennt sie mit
Namen. Der Name ihres Cafés hingegen ist
vielen gar nicht klar. Jedoch, meint Frau Mün-
ter während sie beherzt das Kaffeepulver in
den Siebträger drückt, sei ihr im letzten Jahr
aufgefallen, dass hier ein Generationswechsel
begonnen hat. „Die Prenzlberger tauschen
mit ihren Eltern. Die wohnen jetzt hier, und
die Alten wollen in der Stadt noch was erle-
ben.“ „Frau Münter?“, ruft es durch den
Raum, „ich habe da ein Problem mit meinem
Handy.“ Und ein älterer Herr hält sein Smart-
phone in die Luft.
Den Markt im Rücken gehe ich vorbei
am Café Tayas, das den besten Kuchen weit
und breit anbietet. Aber ich habe noch Scho-
koladenduft in der Nase, und darum ent-
scheide ich mich gegen die Zitronenmandel-
tarte und für Rote Bete aus dem Ofen im
Hofladen Loki. Und dazu ein Wiener Würst-
chen – das angeblich schon vom Tagesspiegel
zum besten Berlins gekürt worden ist.
Zum Glück ist es ein regenverhangener
Septembertag, und die Straße Am Schlach-
tensee (in der auch mal Willy Brandt gewohnt
hat) ist nicht mehr von Besoffskis mit Boom-
box besetzt. Privaten Seezugang haben die
Anwohner hier nicht, wenn man aber durch
die Terrassenstraße zur Nummer 26 spaziert,
tut sich links, hinter einer komplett in Asch-
grau geschindelten Villa, der Blick über das
Wasser auf. Das Landhaus Schmidt, 1901
gebaut, ist nicht der ruhmreichste Bau in der
Ecke. Zumal Herrmann Muthesius (Mitbe-
gründer des Deutschen Werkbunds) halb
Zehlendorf baulich in die Moderne führen
wollte. Aber er ist trotzdem eines meiner
Lieblinge, weil er in seiner robusten Eleganz
genauso gut am eingeschneiten Lake Tahoe
der Dinge harren könnte.
Dass Zehlendorf zur noblen Villenge-
gend geworden ist, ist ursprünglich dem Gro-
ßen Kurfürsten zu verdanken. 1660 hat der
nämlich Potsdam zu seinem Zweitwohnsitz
und somit nebenbei den Südwesten interes-
sant gemacht. Ein Ort zum Pferdewechseln,
als Verschnaufpause zwischendurch, bevor es
weiterging in Richtung Glienicker Brücke, die
damals noch ein Holzsteg war. Zehlendorf
wurde zum Naherholungsgebiet für die Städ-
ter, ein „Luftkurort“, an dem die adeligen
Yuppies gut 200 Jahre später schließlich dau-
erhaft bleiben wollten. Viele Gründerzeitvil-
len also, später etwas Bauhaus (etwa die
Bruno-Taut-Siedlung am Bahnhof Onkel-
Toms-Hütte) und mittlerweile natürlich auch
immer mehr falsch verstandene modernisti-
sche Interpretationen: Verglaste Kästen, die
den Blick auf die Kochinsel und die ver-
chromte Pendelleuchte darüber freigeben.
Einen der gelungeneren, am anderen Ende
der Terrassenstraße, castete Detlev Buck
2006 für seinen Film KnallhartKnallhartKnallhart, als superper, als superper-
fekten Antiort zur Neuköllner Ghettoschule,
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