Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

O.T. (VAVOOM A BEAUTIFUL)


1987, Stift und Tinte auf Papier, 60× 46 cm


Pettibon, „für mich sind Regierungen Terrorismus im ganz großen


Maßstab. Es gibt einen Unterschied zwischen Freiheitskämpfern


und Terroristen. Aber der ist manchmal völlig verschwommen. Meine


Familie mütterlicherseits kommt aus Estland, meine Mutter ver-


brachte die Kriegsjahre in Deutschland, entkam aber den Kommu-


nisten. Wo ziehen wir die Linie zwischen Staatsgewalt und Terrorismus,


seien dies Nazi-Deutschland, die Sowjetunion, der britische Kolo-


nialismus oder die USA, die schon seit Langem die größte Terror-


Organisation der Welt sind?“


D


iese Linie ist auch in Pettibons zeichnerischem Kosmos


mehr als verschwommen. Über fast ein halbes Jahr-


hundert hinweg hat er alle US-Regierungen in seiner


Arbeit als korrupte, blutbesudelte Regime dargestellt.


Und ihre Führer als Verbrecher und Diktatoren, von


J. Edgar Hoover über die Reagans und Dick Cheney, die Bushs,


die Clintons, Obama bis hin zu Trump. Sie alle sind in Pettibons bitterdie Clintons, Obama bis hin zu Trump. Sie alle sind in Pettibons bitterdie Clintons, Obama bis hin zu Trump. Sie alle sind in Pettibons bitter--


bösem Kosmos nicht besser als Manson. Sie alle haben Blut an


den Händen. Zugleich hat sich Pettibon ausführlich, fast wie ein Jour-


nalist oder Archivar, mit Vietnam, den Irak-Kriegen, den Folte-


rungen von Abu Ghraib auseinandergesetzt, in den schonungsloses-


ten,räudigsten Bildern, die man sich nur vorstellen kann. Das hat


außer ihm noch kein anderer prominenter US-Künstler getan.


Pettibon erlebte nach seinem Cover für das Sonic-Youth-Album


Goo (1990) einen kometenhaften Aufstieg in der Kunstwelt. 1957


geboren, in Hermosa Beach, einem Vorort von Los Angeles,


direkt am Pazifik aufgewachsen, galt er als Surf-Punk, eine Art


schräger Pop-Künstler, der mit Mike Kelley und Paul McCarthy eine


Heilige Dreifaltigkeit der West-Coast-Szene bildete. Nach seiner


großen Retrospektive A Pen of All WorkA Pen of All WorkA Pen of All Work im New Yorker New Muse im New Yorker New Muse-


um 2017 sahen ihn dann plötzlich alle anders. Vor allem die, die


noch nie richtig oder jahrelang nicht mehr hingeguckt hatten, so wie


ich. Zu Reagan-Zeiten galt Pettibons Antihaltung zum Staat als Pro-


paganda einer aggressiven, anarchis-


tischen Subkultur. Heute fühlen sich


angesichts von Trump und Johnson


ganz normale Leute, als seien Pingu-


in oder der Joker an der Macht. Es


sieht aus, so schrieb der Kritiker


Thomas Micchelli 2017, als hätten


wir endlich begriffen, was dieser


Künstler uns seit Jahrzehnten mit sei-


nen Werken sagen wolle, dass die


Dinge schlecht stehen – und immer


schon schlecht standen.


Wir wachen also auf und finden


uns in einer Welt wieder, die Pettibon


schon seit Ewigkeiten gezeichnet


hat. Als ich ihn darauf anspreche, ob


er gewusst hat, was kommen wird,


antwortet er ausweichend: „Ich bin


Realist. Und auch Anarchist oder


Nihilist. Ich habe meinen eigenen sehr


strengen Moral-Codex. Dazu ge -


hört, dass ich niemanden verletzen


will – weder in meiner Arbeit noch im wirklichen Leben.“ Er gibt


seiner Assistentin ein Handzeichen. Sie greift eine kleine Flasche


Gin, gießt ihn mit einem Schuss Tonic in einen Plastikbecher,


quetscht ein Stück Limette rein, reicht ihm den Drink wie Medizin.


Ich frage, ob er der Kunst die Kraft zutraut, die politische Situa-


tion zu verändern. „Künstler sind die verhasstesten Leute, in Ame-


rika sowieso“, antwortet er. „In Estland, wo meine Mutter herkommt,


gehören sie zum kulturellen Erbe. Aber Kunst hat in Amerika


keine Plattform, keiner hört wirklich zu. Trumps Amerika ist aufne Plattform, keiner hört wirklich zu. Trumps Amerika ist aufne Plattform, keiner hört wirklich zu. Trumps Amerika ist auf--


gebaut auf Leuten wie Alec Baldwin oder Sean Penn.“ Pettibon,


der öfter gesagt hat, wenn seine Kunst eine Stimme hätte, dann wä-


re Bernie Sanders Präsident, will damit wohl andeuten, dass Bald-


wins Auftritte als Trump-Karikatur in der Comedy-Sendung


SaturSaturSaturday Night Liveday Night Liveday Night Liveday Night Live oder Penns Aktivismus nichts als die Pupse einer oder Penns Aktivismus nichts als die Pupse einer


liberalen Elite sind, die Trump nur noch populärer machen. Aber


sollen Künstler sich deshalb nicht politisch einmischen?


Pettibon schaut mich aus den Augenwinkeln an: „Du weißt


doch wohl, dass Mapplethorpe und Serrano die Reagan-Revolution


ausgelöst haben?“ Er erinnert an einen Skandal von 1987, der sich


mitten in der aufflammenden AIDS-Krise abspielte: die Leder-Foto -


grafien von Robert Mapplethorpe und Andres Serranos Piss Christ,


die Großaufnahme eines in den Urin des Künstlers getränkten Kruzidie Großaufnahme eines in den Urin des Künstlers getränkten Kruzidie Großaufnahme eines in den Urin des Künstlers getränkten Kruzi - -


fixes. Das rief den ultrakonservativen Senator Jesse Helms und


christliche Fundamentalisten auf


den Plan, weil die Arbeiten vom


National Endowment for the Arts


öffentlich bezuschusst worden


waren. Helms forderte die Strei-


chung der Mittel und moralische


Zensur – ähnlich wie sie heute


die AfD für Kunst und Kultur for-


dert, die nicht „deutschen Werten“


entsprechen. „Ich wünschte, Künst-


ler, zumindest die von der naiven


Sorte, würden sich nicht mit Politik


befassen“, sagt Pettibon. „Ich kann


das tun, weil ich im Hinblick auf


Politik etwas kultiPolitik etwas kultiPolitik etwas kultivierter bin. Ich bin vierter bin. Ich bin


nicht auf die Kunstschule gegan-


gen, sondern habe an der UCLA


Wirtschaft studiert.“ Er hat aller-


dings selbst keine politische Provo-


kation, keine sexuelle Spielart,


keine Gotteslästerung in seinem


Werk ausgelassen.


„Ich bin Realist. Und auch


Anarchist oder Nihilist.


Ich habe einen strengen


Moral-Codex“


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