Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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REVUE


DIE GALERIE DAVID ZWIRNER IN PARIS ZEIGT VOM



  1. OKTOBER BIS 23. NOVEMBER DIE AUSSTELLUNG


FRENCHETTEFRENCHETTEFRENCHETTE VON RAYMOND PETTIBON VON RAYMOND PETTIBON


O.T. (ALL THE LINES)


2005, Stift und Tinte auf Papier, 76× 56 cm


rechts:Raymond Pettibon fotografiert von George Etheredge für BLAU


ist romantischer, visionärer, im wahrsten Sinne des Wortes gothicgothicgothic ge ge-


worden. Nicht nur, dass wirklich gotische Kathedralen auftauchen.


Die Himmel und Atomexplosionen erinnern an die Farbschwaden


von William Turner. Der sei der „Top-Painter“ für ihn, sagt Pettibon,


an Constable komme er technisch sowieso nicht heran.


Pettibons Werk ist bis heute rätselhaft geblieben, nicht wirklich


deutbar. Zu seinen liebsten Büchern, sagt er, gehöre Die Wolke des


Nichtwissens, das Werk eines unbekannten christlichen Meisters aus


dem 14. Jahrhundert. Pettibon hat 2017 sogar etwas ironisch eine


Ausstellung frei nach diesem Buch benannt: The Cloud of Misreading.


Das kann ebenso eine Anspielung auf seine eigene, fragmentierte


Leseweise sein wie auf das „falsche“ Lesen seines Werkes. In der


mittelalterlichen Schrift geht es um das Loslassen vom Rationalen,


die Befreiung vom Ego, die kontemplative Hin-


wendung zu Gott – der fast zenmäßig im Nichts,


im Nicht-Wissen gefunden wird. Vielleicht kann


man so auch Pettibons Werk verstehen, das zwi-


schen Historienmalerei und innerem Bewusst-


seinsstrom oszilliert. Es schildert einen ständig


fortlaufenden, inneren Monolog über nicht en-


den wollende Gewalt, über die grundsätzlich selbstden wollende Gewalt, über die grundsätzlich selbstden wollende Gewalt, über die grundsätzlich selbst - -


zerstörerische Natur des Menschen, die sich durch


die Zeiten fortsetzt. Vielleicht will Pettibon nicht


provozieren und zum politischen Widerstand an-


regen, sondern zur Kontemplation. Vielleicht soll


seine Kunst in ihrer Überforderung genau dahin


führen, wo das Denken aufhört und ein anderer


Bewusstseinszustand einsetzt.


T


atsächlich ist man angesichts all der


Vision, Poesie und Schönheit in seinem


Werk versucht, Pettibon wie einen


spirituellen Endzeitpropheten zu be-


trachten oder wie Kirsten Dunst als


depressive Justine, die in Lars von Triers Film


MelancholiaMelancholiaMelancholia noch schnell eine magische Schutz noch schnell eine magische Schutz-


hütte für ihre Familie baut, bevor die Welt endet.


Doch diese Rettung gibt es bei Pettibon nicht.


Und anders als bei William Blake gibt es bei ihm


auch keinen Gott, dem er verpflichtet ist. Nach


seinem Glauben gefragt, antwortet er freundlich:


„Sagen wir es einmal so, einem Sterbenden würde


ich nicht sagen, dass Gott nicht existiert.“


Die gewaltigen, immer malerischer werden-


den Landschaften, die Wellenberge, die sich auf


seinen Bildern auftürmen, der Schwall von Gedan -


ken und Worten aus Jahrhunderten sind wie an-


geschwemmtes Sediment. Sie sprechen weniger von


Erkenntnis als von Nietzsches „Ewiger Wieder-


kunft des Gleichen“, des ewig Sinnlosen, der sich


unendlich wiederholenden Geschichte. „Um


Realist zu sein, muss man irgendwie auch Nihilist


sein“, sagt Pettibon. Realismus heißt bei ihm,


die Absurdität der Welt absolut zu akzeptieren –


und damit auch alles Menschliche, die Gewalt,


das Scheitern von Wahrheiten, Werten und Moral.


Man spürt an seinen Bildern, dass ihm davon nichts fremd ist,


dass er nichts verurteilt. In dieser Bejahung liegt die unglaubliche Freidass er nichts verurteilt. In dieser Bejahung liegt die unglaubliche Freidass er nichts verurteilt. In dieser Bejahung liegt die unglaubliche Frei - -


heit seines gottlosen, sinnlosen Werkes, das an eine Passage aus


Albert Camus’ Der Mythos des SisyphosDer Mythos des SisyphosDer Mythos des Sisyphos denken lässt: „Dieses Univer denken lässt: „Dieses Univer-


sum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfrucht-


bar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische


Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich.“


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