19./20. OKTOBER 2019 3
zehn
Mi-
nuten
haben Sie
Europa
überquert.Was
kannmanvonder
Menschheit sehen,
wenn man wie einAu-
ßerirdischer aus dem All
aufsieherabschaut?
Tagsübereigentlichsogutwie
gar nichts.Man muss dann schon
sehr genau hinsehen, um vielleicht eine
größereStadt zu erkennen.So etwas wie die
Pyramiden kann man mit bloßemAuge zumBei-
spiel gar nicht sehen.In der Nacht leuchten die
Lichtnetzeder großenStädte dagegen sehr stark–
vorallem in dicht besiedeltenRegionen wie Asien
oderEuropa.
Verändertsichder BlickaufdieMenschheit,wennman
vonobenaufsieherunterschaut?
Miristnochmalklarergeworden,wiekurzdieGe-
schichte derMenschheit ist.Wiralle lernen ja in der
Schule,dassder MenschinderlangenGeschichteun-
seres PlanetenquasierstinderletztenMinutein Er-
scheinung getreten ist.Aber dor toben habe ich das
nochvielintensivergespürt.
Wodurchgenau?
WennmanausdemAllaufdieErdeschaut,sieht
man vorallem geologischeSpuren, die sich über
MillionenvonJahrenentwickelthaben–Kratervon
Einschlägen, Erosionen, Ablagerungen, Vulkane,
Gebirge .Danebenwirktalles,wasvonMenschenge-
schaffenwurde,extremkurz.Ichhattefrüherimmer
das Gefühl, das alte Ägypten oder das Römische
Reich–dasistdochewigher,unddie Menschenda-
mals waren ganz anders als ich.Seit ich vondort
obenaufdieErdegeschauthabe,kommtmirdasgar
nichtmehrsovor.IchfühlemichdenfrüherenGene-
rationenjetztsehrnahundverbunden.
sich
beim Essen
unterhaltenwill.
Angenommen dieMenschheit müsste unserenPlane-
ten einesTages verlassen. KönntenSiesich vorstellen,
Ihr ganzes Leben in der Schwerelosigkeit zuverbrin-
gen?
Bislang habenMenschen nicht länger als einJahr
imWeltraumgelebt.Wirwissenalsonicht,wieessich
auf unsereGesundheit auswirken würde,wenn wir
uns dauerhaft dortaufhalten würden. Es gibt vieles,
vondemnochnichtklarist,wieesinderSchwerelo-
sigkeitfunktionierensoll.Wiegelingenkomplexeärzt-
licheEingriffe? WasistmitSchwangerschaftundGe-
burt? ExperimenteanKleintierenhabengezeigt,dass
sichEmbryonenimAllnichtnormalentwickeln.Die
SchwerkraftistschonsehrwichtigfürdasFunktionie-
rendes menschlichen Körpers.Man müsste wahr-
scheinlichsehrvielZeitund Geldinvestieren,umdas
Lebentechnologischneuzuerfinden.
SeiteinigenJahrengibtesaufderISSdie„Cupola“,eine
ArtPanoramafenster,durch das dieAstronauten die
Erdebesondersgutbeobachtenkönnen.AufderISSha-
ben Siedie Erde in 80Minuten einmal umrundet, in
Siewaren 200 TageaufderISS.WelcheAufgabenhatten
Siedort?
DieISSisteinWeltraumlabor.IchhabefürPhysiker
undLebenswissenschaftlerwissenschaftlicheExperi-
mente durchgeführt, für die die Schwerelosigkeit
wichtig ist.Außerdem kommenregelmäßig unbe-
mannteFrachtraumschiffe an, die be- und entladen
werdenmüssenunddieichmitdemRoboterar mein-
fangen musste.Dann gibt es natürlich auch immer
wieder Wartungsarbeiten an der ISS.Sieist ja eine
komplexeMaschine.
Zurück zur Erde gelangtenSieund Ihrezwei Astro-
nautenkollegenineinerkleinenKapsel,derenHit-
zeschild Sievor den hohen Temperaturen beim
Wiedereintritt in die Atmosphäreschützt. Die
glockenförmigeKapselfälltpassivwieeinStein
RichtungErde und dreht sich dabei um sich
selbst, bis der Fallschirmin zehn Kilometern
Höhe über der Erde aufgeht.Wiefühlt man
sichdabei?
Zeitweise wirken auf uns Astronauten
Beschleunigungskräfte,dieetwaviermal
stärkersindalsaufderErde.Manspürt
das wie einen Druck auf der Brust. Bei
der Rückkehrzur Erde kommtnoch
hinzu, dass man ziemlichstarkhin-
und hergeschleudertwirdund am
Ende recht heftig auf der Erde auf-
prallt.Daswarhart,abernichtbrutal.
Ichhatte es mir schlimmervorge-
stellt.
ImInternetgibtesFotosvonIhnen,die
SienachderLandungzeigen.Siesitzen
auf einem großen Sessel mitten in der
kasachischenSteppe. Ihr Gesicht sieht
ziemlichseligaus.WarenSiedasauch?
Einerseitswar ich natürlichglück-
lich, dass alles gut gegangenist und
habemichgefreut,meineFamiliewie-
derzusehen.Andererseitshabeichaber
auchsofortgedacht,dassdieRaumsta-
tionnochdaobenistundichnichtmehr
dazugehöre. Daswaren sehr gemischte
Gefühle.
UndschwereloswarenSieauchnichtmehr.
Ja,das war schlimm.Sich wieder an die
Schwerkraftzugewöhnenistvielschwieriger
alssichandieSchwerelosigkeitzugewöhnen.
AmAnfangspürtmansichselbstsehrschwer.
DerKörperistwieeinStein.Manhataucheinen
hohenPulsundfühltsichsoalsobmandieganze
Zeitjoggenwürde.
SiesinddieeinzigeFrauimAstronautenkorpsderESA.
AuchaufderISSsinddieMännerinderÜberzahl.Vor
Ihrer erstenMission sindSievon einerJournalistin in
Russland gefragt worden, wieSiesich dabei fühlen
würden,mitzweisoattraktivenMännernmitbreiten
Schultern, auf dieSiesich stützen könnten, insAllzu
fliegen.WashabenSiedag edacht?
AmAnfanghabeichmichgefragt,obdaseinWitz
war.Ich dachte,meine Kollegen haben sich das viel-
leicht als Scherzüberlegt, weil sie großeSpaßvögel
sind. Aber die Frage war ernst gemeint.Ichhabe ge-
antwortet, dass wir uns natürlich gegenseitig unter-
stützen werden. Ichsehe das aber auch mitHumor
und einem kulturellenAbstand. In Europa und den
USA bin ich so etwas noch nie gefragt worden.In
Russland dagegen ist dieBeziehung zwischenMann
und Frau etwas anders.Meine russischen Astronau-
tenkollegen waren in derZusammenarbeit jedoch
höchstprofessionell.
EsgibteinRitualunterAstronauten,dasvonJuriGa-
garin begründet wurde.Aufdem Wegzur Rakete in
BaikonurhältderBusane inerbestimmtenStellemit-
ten in derSteppe. DieKosmonauten steigen aus und
pinkeln gegen denReifen. Haben Siedas auch ge-
macht?
AufgrundderSchwierigkeit,denRaumanzugvoll-
ständig auszuziehen, hat das wohl bisher keineFrau
getan. Dieses Ritual einzuhalten, war mir aber nicht
so wichtig.Ichweiß aber ,dass manche Astronautin-
nenein FläschchenUrinmitnehmenundesamRei-
fenauskippen.Aberichhabemeinezweimännlichen
Kollegen natürlich darum beneidet, dass sie sichvor
demRaketenstartnochmalerleichternkonnten.
Gabesa ndereSituationen, in denenSiewegen Ihres
GeschlechtsNachteilehatten?
Ichmöchte nicht, dass derEindruck entsteht, für
Frauen sei es besonders schwierig, Astronautin zu
sein. Heute ist dieRaumfahrtkein Milieu mehr,in
demmansichalsFraudiskriminiertfühlt.Dereinzige
Nachteil, den ichwegen meinesGeschlechts hatte,
war,dass die Raumanzüge für dieWeltraumspazier-
gängenichtfürdieMaßevonFrauengemachtwaren.
Siestammenaberausden80er-Jahren.Eswerdenge-
radeneue RaumanzügefüralleGrößenentwickelt.
WasmachenSiealsAstronautin,wennSienichtim All
sind?
VorkurzemhabeichzumBeispielaneinerMission
inFloridateilgenommen.DortgibteseinUnterwas-
serhabitatin15MeterTiefe.Miteiner Crewvonsechs
Leuten haben wir dortunten zweiWochen so gelebt
alswärenwirimWeltraum. AufdemMeeresbodenha-
ben wirAußenbordeinsätzetrainiert, die man auf
demMondmachenwürde.
Könnteesdennsein,dassSieeinesTagesaufdenMond
fliegen?
Unmöglich ist es nicht.Werweiß. Wahrscheinli-
cheristaber,dassicherstnochmalzurISSfliege.Kon-
kretePlänegibtesabernochnicht.
DieAmerikanerwollten eigentlicherst in etwa zehn
Jahren auf den Mond fliegen. Donald Trumps Regie-
runghatabervorkurzemmitgeteilt,dassbereits2024
wiederzweiAstronautenaufdemMondlandensollen.
EinMannundeineFrau.InwieweitwirdsichdieESA,
zuder Siegehören,daranbeteiligen?
Diese Entwicklung ist nochrelativ neu, deswegen
lässtsichdasnochnichtimDetailsagen.DieAmeri-
kanerleitenbereitsseitlängererZeitdas Projekt„Lu-
narGateway“,beidemeineRaumstationinderNähe
des Mondes aufgebautwerden soll. DieESA steuert
Technologien undModule für dieRaumstation bei.
Außerdem war sie amBaudes Raumschiffs„Orion“
beteiligt, mit dem die Astronauten zurMond-Raum-
stationfliegenwerden.ObundwiesichdieESAander
MissionzurMondoberflächebeteiligt,istnochnicht
klar.
WarumsolltenMenschenüberhauptnocheinmalzum
Mondfliegen?
Wirkönnten über denMond viel über dieGe-
schichte unseresSonnensystems erfahren. FürWis-
senschaftleristderMondsehrinteressant,weilereine
ArtZeitkapselist,dievorMilliardenvonJahreneinge-
frorenist.WennwiraußerdemeinesTageszumMars
fliegenwollen,istderMondeinnützlicherZwischen-
schritt.
Warumgenau?
Vielleicht gibt es dortRessourcen, die wir nutzen
können.Seitkur zemwissenwir,dassineinigenBerei-
chen,indenenessehrkaltist,WasseraufdemMond
existiert. Es könnte also auch noch andereElemente
geben,diesichausdemBodengewinnenundnutzen
lassen. Beieiner Reise zumMars müsste man dann
nichtsovielTreibstoffvonderErdemitnehmen,son-
dernkönntedasRaumschiffimMondbereichbetan-
ken.
Derzeit würde eineReise zumMars mit einem be-
manntenRaumschiffsechsMonatedauern.DieAstro-
nauten müssten auch länger dortbleiben, weil der
MarsineinemgeeignetenWinkelzur Erdestehenmuss,
umzurückzufliegen.WürdenSieane inersolchenMis-
sionteilnehmen,wennmanSiefragt?
Wennich VertrauenindieMissionhätte,weilesein
überzeugendes Konzept gibt:Ja.Ich müsste aber
schonsichersein,dasseseinengutenPlangibt,dass
wir zurückkommen können.Eingewisses Risiko ist
natürlich immer dabei, aber an einer „SuicideMis-
sion“würdeichnichtteilnehmen.
WannkönntedieerstebemannteReisezum Marsstar-
ten?
Wennmanbereitist,sehrvielGeldzuinvestieren,
wäreesv ielleichtumdasJahr2035möglich.Jeweiter
wirindieZukunftfortschreiten,destobesserwerden
dieTechnologien.
Welche technischenHerausforderungen müssen noch
überwundenwerden?
Sehrviele .Esw äregut,bessereAntriebstechniken
zuentwickeln,umschnellerfliegenzukönnen,denn
es ist natürlich einUnterschied, ob manMenschen
dreiodersechsMonatean BordeinesRaumschiffsam
Lebenerhaltenmuss.Manweißauchnochnicht,wie
man dieMenschen vorder starkenStrahlung dort
schützensoll.
Siehaben eine kleineTochter.Wenn sie demnächst
fragt, ob esAußerirdische gibt, was antwortenSie
dann?
DassMamanie Außerirdischegesehenhat,dasses
aber durchaus möglich ist, dass es sie gibt. Es kann
zumBeispielsein,dasswiraufdemMarsMikroorga-
nismenfinden.Obesaberaußerunsnochanderein-
telligente Lebewesen im All gibt, wissen wir über-
hauptnicht.Selbstwennessiegibt,sinddieDistan-
zenimU niversum so groß, dass es sehr unwahr-
scheinlichist,dasswirmitihneninKontaktkommen.
Ichglaube,esi stvernünftig,davonauszugehen,dass
wirdieeinzigeIntelligenzsind.Damithabenwiraber
aucheinegewisseVerantwortungmitunsererZivilisa-
tionsoumzugehen,dasswiralsSpeziesüberleben.
AliceAhlers
freut sich auf die erste Mondlandung
einer Frau.
„An die Schwerelosigkeit
hab ich mich schnell ge-
wöhnt.“ NASA/ESA