Süddeutsche Zeitung - 24.10.2019

(Nora) #1
Au– Einen Tag, nachdem in Polen die
rechtspopulistische Regierungspartei PiS
die Wahl gewonnen hat, steht Klaus Eber-
lein vor seiner Druckgrafik: Männer mit
Maulkörben vor rotem Hintergrund an ei-
ner Wand im Foyer des Münchner Land-
ratsamts. Eberlein ist Mitglied einer
deutsch-polnischen Künstlergruppe, die
dort bis zum 11. November ihre Werke
zeigt. Der Titel der Ausstellung lautet „Har-
monie oder Konflikt?“ In Zeiten, in denen
die Europäische Union Polen wegen der
Aushöhlung des Rechtsstaats verklagt und
in denen Reparationsforderungen für deut-
sche Verbrechen während des Zweiten
Weltkriegs wieder Thema sind, gäbe es da-
zu wohl viel zu sagen.
Doch zumindest offensichtlich Politi-
sches gibt es in der Ausstellung wenig zu se-
hen. Statt aktuellem Protest hängen dort
alltägliche Szenen: Menschen an Spielti-

schen, ruhige und raue Meere, kämpfende
Hähne. Man blickt auf Männer mit Maul-
körben und denkt an Sprechverbote, Denk-
verbote. Doch ein politisches Statement
wollte Klaus Eberlein, 78, mit seinem Werk
gar nicht setzen – zumindest sagt er das.
Der Mann auf dem Bild mit Brille, Schnau-
zer, Pferdeschwanz und dem Maulkorb sei
er selbst. Dieser Maulkorb sei für ihn ein-
fach so interessant gewesen, dass er ihn
von einer Wiese aufhob und mit nach Hau-
se nahm. Ein Zufallsfund, der jetzt an ei-
nem Schrank in seiner Wohnung hängt.
Der Zufall brachte Eberlein, der in Mün-
chen als Illustrator arbeitet, auch zu dem
deutsch-polnischen Künstlerkreis „Hund
und Katz“. Als dieser vor etwa 15 Jahren ge-
gründet wurde, sei er einfach mal mitge-
fahren.

Mit der Zeit habe sich eine Freundschaft
zu dem Grafiker Wojtek Kowalczyk entwi-
ckelt. Eine von dessen Grafiken hängt ne-
ben Eberleins Maulkorb-Bild: fein gezeich-
nete Helme, die wie Quallen durch ein
Meer schweben, harmonisch, aber auch
ein wenig bedrohlich. „Über Politik spre-
chen wir nicht viel“, sagt Eberlein. Und Res-
sentiments, weil Deutschland Polen 1939
angegriffen, besetzt und Tausende Men-
schen ermordet hat, habe er nie gespürt.
„Wir hatten vielleicht Vorbehalte, dass
die Polen Vorbehalte haben könnten“, sagt
Claudia Lutterkord, die die Künstlergrup-
pe „Hund und Katz“ gegründet hat. Sie
fuhr vor 15 Jahren bei einer Partnerschafts-
reise mit nach Krakau, die der Landkreis
München organisiert hatte. Abends saßen
die Künstler gemeinsam am Tisch und ha-
ben sich so gut verstanden, dass die Idee
entstand, solche Begegnungen häufiger zu
ermöglichen. Seitdem besuchen sich mehr
als 30 Künstler aus Krakau und München
gegenseitig, veranstalten gemeinsame
Workshops und Ausstellungen. Und seit-

dem gehört die Initiative zum Kulturför-
derverein Würmtal. Claudia Lutterkord ist
Bildhauerin und Grafikerin mit Atelier in
Planegg, ihre Großmutter stammt aus Po-
len, zog aber bereits Anfang der Zwanziger-

jahre nach Deutschland. Als Kind faszinier-
te sie sehr, wie die Großmutter von ihrem
Bruder, einem Revolutionär, erzählte. Als
erwachsene Frau sei sie von dem unver-
krampften Umgang der Polen mit Kunst

begeistert. Während man hier bei Keramik
an Mütterchen auf einem Töpfermarkt
denke, vielleicht hochnäsig die Nase rümp-
fe, sei es dort selbstverständlich, aus Ton
Kunst herzustellen. Den Zugang dazu zeig-
te die polnische Künstlerin Marita Benke-
Gajda bei Workshops in Krakau. In der Aus-
stellung ist von ihr ein Tor zu sehen, bei
dem man denken könnte, sie habe alte
Kopfsteinpflastersteine aufeinander gesta-
pelt, die zwar zusammenhalten, aber doch
kurz davor sind zu kippen.
Alle polnischen Künstler haben an Aka-
demien studiert, und dass sie nicht in ei-
nem Volkshochschulkurs Malen gelernt ha-
ben, sieht man auch: Die Werke sind hand-
werklich hochwertig. Bei Dagmara Kwia-
teks Gemälde „Außerordentlich ruhiges
Meer“ sind die Pinselstriche so fein, dass
es einen anzieht – so, wie wenn man am
Strand in die Wellen starrt und den Über-
blick zu verlieren scheint. Auch bei Michał
Bacas Gemälde „Das Duell“ bleibt der Be-
trachter hängen. Zwei Männer spielen
Schach, eine Gruppe Passanten schaut zu,
feuert an, grölt, schmeißt Geld, dass man
vor dem Gemälde stehend fast zu hören
glaubt, welche Emotionen auf diesem
Platz aus Acrylfarbe herrschen. Gestritten
hätten polnische und deutsche Künstler
nie, sagt Claudia Lutterkord.
Wenn man ihr zuhört, spürt man: Was
die Staatschefs in Berlin und Warschau ent-
schieden, wie die Menschen darüber ab-
stimmten, war bei den Treffen weit weg.
Doch dieses Jahr, so kurz nach der Wahl,
sagt Lutterkord, könnten die Gespräche
spannend werden. christina hertel

Die Ausstellung „Harmonie oder Konflikt?“, die der
polnische Künstler Krzysztof Kamiński koordiniert
hat, istnoch bis Montag, 11. November, montags
bis donnerstags von 8 bis 17 Uhr, freitags von 8 bis
15 Uhr im Gebäudeteil A des Landratsamts am
Münchner Mariahilfplatz 17, zu sehen. Der Eintritt
zur Schau ist frei. Erstmals sind bei einer Ausstel-
lung von „Hund und Katz“ auch Werke von fünf jun-
gen Künstlerinnen der Gruppe Connect 48/11 zu
sehen.

von renate winkler-schlang

Trudering– EinHektar Gras und zwei
Fußballtore, außen herum ein Holzzaun
und am Rand einzelne Bäume, in der Ecke
ein paar Spielgeräte im Sandkasten – so
kennt man die Truderinger Unnützwiese.
Geliebt und gerettet von den Anliegern, die
vor drei Jahren alles getan haben, um die
von der Stadt geplante Randbebauung mit
einem Wohnen-für-alle-Projekt zu verhin-
dern. Am Ende hat Oberbürgermeister Die-
ter Reiter (SPD) das Vorhaben gestoppt,
ehe es gerichtlich überprüft werden konn-
te. Das Interesse der Anrainer am Grün in
der Stadt ist danach jedoch nicht versiegt,
das Kernteam um Stefan Hofmeir startete
stadtweit das Bürgerbegehren „Grün-
flächen erhalten“, das mittlerweile
32 000 Münchner unterschrieben haben.
Und die Bürger bringen sich nun auch
engagiert ein in die Pläne für eine Umge-
staltung ihrer Freizeit- und Frischluftoase
an der Unnützstraße, die der Bezirksaus-
schuss und die CSU-Fraktion im Stadtrat
gefordert haben. Bei einem Bürgerwork-
shop am Dienstagabend machten sie dem

Baureferat und den Vertretern des beauf-
tragten Planungsbüros Jühling und Part-
ner klar, was sie sich wünschen: keine
Rundumerneuerung de Luxe, lieber nur
wenige, behutsame Eingriffe. Dass die
Schönheitskur laut Wolfgang Mesenich
vom Baureferat wohl erst 2022 abgeschlos-
sen sein kann, fanden die Aufhübschungs-
Skeptiker eher beruhigend: „Lassen Sie
sich ruhig Zeit“, rief eine Anliegerin – und
viele klatschten Beifall.
Zwei Entwürfe hingen an den Schauta-
feln im Saal des Truderinger Kulturzen-
trums. Der Unterschied zeigte sich auf den
ersten Blick: Das Bürger-Konzept, ausgear-
beitet vom Anlieger und Architekten Hel-
mut Köpf, will das Meiste einfach so las-
sen, wie es sich für viele Generationen von
Truderingern im Alltag bewährt hat, und
plädiert lediglich für neue Spielgeräte,
Wasser und ein Sonnensegel auf dem Spiel-
platz sowie weitere Bänke. Das Planungs-
büro aber will zusätzlich den Zaun verset-
zen, das Gelände mit Wegen zerschneiden,
einen Rodelhügel und einen Multifunkti-
onsbereich mit Sitzstufen gestalten und
zwei Bolzflächen definieren.
Die Stimmungslage wurde bereits deut-
lich, als Planerin Gisela Schmid von ihrer
Bestandsaufnahme berichtete. Auf ihre
Einlassung, die Wiese wirke derzeit doch
„relativ monoton“, schallte ihr spontan ein
mehrstimmiges, lautes „Nein“ entgegen,
sodass Mesenich gleich betonte, man kön-
ne auch über eine „Nullvariante“ reden.
Die aber will ernsthaft niemand, zumal
Magdalena Miehle (CSU), Planungsspreche-
rin im Bezirksausschuss, zu bedenken gab,
dass eine Aufwertung auch der Sicherung
diene: „Wenn die Stadt hier Geld in die
Hand nimmt, sinkt die Gefahr, dass die Wie-
se erneut Begehrlichkeiten für Wohnungs-
bau weckt.“ Eine Einschätzung, der Marcel
Metzmeier von der Initiative „Rettet die Un-
nützwiese“ nur zustimmen kann. Er erin-
nerte daran, dass die Wiese am 9. Januar
100 Jahre alt werde: So lange sei es her,
dass sie der Stadt von Martin Vogl, einem
Schwager des Immobilienhändlers und Zie-
geleibesitzers Matthias Grundler, als Aus-
gleich für Baurecht in Berg am Laim über-
tragen wurde – und zwar ausdrücklich für
den Grünflächenbedarf.

Die Bürgerinitiative ist der Stadt und
den lokalen Politikern dankbar, dass ihre
Wiese noch existiert. Das habe man mit ei-
nem Kampf erreicht, der stets sachlich ge-
führt wurde. Sachlich und konstruktiv wol-
le man auch hier diskutieren. Doch an den
Thementischen offenbarten Bürger wie Cle-
ment Meier ihre Kritik an den Vorschlägen:
Die geplanten Wege würden die Wiese zur
Radler-Rennstrecke machen, eine kleine
Pflegezufahrt für die Stadtgärtner müsse

doch genügen. Der Rodelhügel sei unnötig,
zudem vermindere er die Einsehbarkeit,
die bisher ein Garant dafür war, dass es
hier nie Kriminalität gab. Mütter sangen
ein Loblied der Chance auf „freies Spiel“,
die hier noch bestehe. Doch auch mancher
Zusatzwunsch keimte auf: Boulespielen wä-
re schön, erklärten einige. Fledermauskäs-
ten, Relaxing-Liegen und Trimm-Geräte
für Senioren, Basketball und Tischtennis
wurden ins Spiel gebracht.

Kein Problem haben die Bürger damit,
dass die Freiwillige Feuerwehr Michaeli-
burg, die ihr Domizil an der Bajuwarenstra-
ße sanieren muss, für zwei, drei Jahre ei-
nen Interimsbau auf die Südost-Ecke der
Wiese stellen will.
Wolfgang Mesenich fand es in seinem
Resümee „geradezu rührend“, wie verwur-
zelt und verbunden die Bürger mit diesem
Fleckchen Grün seien. Er nehme mit, dass
sie die weitläufige, offene Qualität behal-

ten wollen. Im nächsten Schritt werde eine
Schulklasse der Feldbergschule befragt –
die Bürger aber plädierten für Kinder aus
der hier zuständigen Forellenschule. Dann
müsse man nach Altlasten und Munitions-
funden suchen, so der Experte. Eine ältere
Frau erzählte, es habe freilich Bombentrich-
ter gegeben, doch ihr Mann und ihr Bruder
hätten die selbst schubkarrenweise ver-
füllt. Man fühle sich halt verantwortlich für
die Unnützwiese – seit jeher.

Berg am Laim– DerBürgerkreis Berg am
Laim hat auch literarische Talente in sei-
nen Reihen: Am Freitag, 25. Oktober, von
19 Uhr an präsentieren die „Kreaktiven“
der traditionsreichen Schreibwerkstatt ih-
re neuesten Werke im Stadtteilladen an
der Baumkirchner Straße 20. Vorgelesen
wird vieles – von Essay über Reportage, Er-
zählung bis zum Haiku und anderen Ge-
dichtformen. Der Eintritt ist frei. Ebenfalls
bei freiem Eintritt kann man an vier „Lite-
rarischen Abenden“ des Bürgerkreises die
Welt der griechischen Götter neu entde-
cken. Günter Bielemeier präsentiert dazu
unter anderem die Werke von Michael
Köhlmeier, Paul Shipton, Marie Phillips
und Sten Nadolny. Die Literarischen Aben-
de finden jeweils montags von 19.30 Uhr
an im Stadtteilladen statt: am 4., 11., und



  1. November sowie am 2. Dezember. Die
    Lesungen können auch einzeln besucht
    werden. re


Messestadt– Warum nicht in den Ferien
mal darüber nachdenken, wer wohl der
Mörder sein könnte? In der Krimi-Woche
für Kinder, von 8 bis 14 Jahren im Freizeit-
zentrum „Quax“, Helsinkistraße 100, kann
jedenfalls ordentlich gerätselt werden.
Schon bei der langen Lesenacht am Frei-
tag, 25. Oktober, von 19.30 bis 22 Uhr. Da
schmökern die Kinder in Krimis. Der Ein-
tritt ist frei, eine Anmeldung unter der Tele-
fonnummer 94 30 48 45 ist bis diesen Don-
nerstag, 24. Oktober, erforderlich. Am
Samstag, 2. November, gibt es außerdem
von 17 Uhr an eine Krimi-Jagd durch Riem,
für die keine Anmeldung nötig ist. brju


Au– 30 Jahre ist es her, als die Mauer am



  1. November fiel, die Deutschland teilte. An-
    lässlich dieses Ereignisses präsentiert das
    Landratsamt München eine Plakatausstel-
    lung, die ab sofort im Foyer des Hauptgebäu-
    des am Mariahilfsplatz 17 zu sehen ist. „Von
    der Friedlichen Revolution zu deutschen
    Einheit“, nennt sich die Schau, die die Selbst-
    demokratisierung der DDR und die deut-
    sche Einheit in den Mittelpunkt rückt. Auf
    20 Tafeln sind mehr als 100 historische Fo-
    tos und Dokumente zu sehen. Die Ausstel-
    lung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung
    der SED-Diktatur und des Beauftragten der
    Bundesregierung für die neuen Bundeslän-
    der läuft bis zum 11. November, täglich von
    8 bis 17 Uhr, am Freitag von 8 bis 15 Uhr. Der
    Eintritt ist frei. ole


Giesing– Zum Ende des Ersten Weltkriegs
stand Giesing im Zentrum revolutionärer
Umstände. Zwei Veranstaltungen an die-
sem Donnerstag, 24. Oktober, widmen
sich diesem Abschnitt der Stadtteilge-
schichte. Eine zweistündige Führung von
16 Uhr an verläuft an den wichtigsten Or-
ten rund um die Novemberrevolution von
1918, erzählt von den Räterepubliken und
ihrer blutigen Zerschlagung im Mai 1919.
Treffpunkt ist die Giesinger Geschichtssäu-
le am Tegernseer Platz. Die Teilnahme kos-
tet fünf Euro. Von 19 Uhr an wird im Kultur-
zentrum am Giesinger Bahnhofsplatz 1 der
Film „Rote Räte“ gezeigt, in dem Zeitzeu-
gen-Interviews mit letzten Überlebenden
der Münchner Räterepublik gesammelt
wurden. Beim anschließenden Filmge-
spräch wird Regisseur Klaus Stanjek anwe-
send sein. Der Eintritt ist frei. brju


„Wir hatten vielleicht Vorbehalte,
dass die Polen Vorbehalte
haben könnten.“

Zufällig ein Maulkorb


Anders als der Titel vermuten lässt, ist die Ausstellung deutscher und polnischer Künstler im Landratsamt recht unpolitisch


Verwurzelt und verbunden


Die Initiative „Rettet die Unnützwiese“ hat die Grünfläche erfolgreich vor Bebauung bewahrt.
Nun will die Stadt das Areal aufwerten, einige Anlieger aber empfinden das eher als Zwangsbeglückung

Zwölf Wohnungen


im Olymp


Mörderjagd


im Quax


Verschwundene


Grenze


Vom Scheitern


der Räte


Offen einsehbar und offen für jede Art spontaner Nutzung: So schätzen die Truderinger ihre sonnige Unnützwiese.
An diesem Ideal orientiert sich der Anliegervorschlag (linkes Bild unten, linke Seite), das Konzept des Planungsbüros würde
deutlich mehr umgestalten. Stoff genug für engagierte Diskussionen.FOTOS: WINKLER-SCHLANG/OH, MOSES OMEOGO (2)

Michał Bacas Gemälde
„Das Duell“ (oben) zeigt
zwei Schachspieler
vor lärmenden
Zuschauern.
Claudia Lutterkord (unten)
hat die Künstlergruppe
„Hund und Katz“
gegründet und
ebenfalls ein Bild
zu der Ausstellung
beigesteuert.
FOTOS: CLAUS SCHUNK

Das Bürger-Konzept
will das Meiste
einfach so lassen

OSTEN


R8 PGS (^) STADTVIERTEL Donnerstag, 24.Oktober 2019, Nr. 246 DEFGH
FACHBERATERTAG
Samstag, 26.10.20 19
10 - 16 Uhr
Münchener Straße 41 in Schwabhausen
http://www.wohnhaus-sengfelder.de
KEINE KOMPROMISSE –
GENUSS FÜR SCHLAFGOURMETS

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