Berliner Zeitung - 23.10.2019

(Brent) #1

Berlin


Berliner Zeitung·Nummer 246·Mittwoch, 23. Oktober 2019 11 *·························································································································································································································································································

WannistderMenscheinMensch?


ZweiFrauenärztesolleneinenschwerhirnkrankenZwillingbeiderGeburtgetötethaben.BiskurzvorderNiederkunftwäredaskeineStraftatgewesen


VonKatrin Bischoff

T

otschlag. So lautet derVor-
wurf. DieAngeklagtenwer-
den an diesem Dienstag
trotzdemnichtausderUn-
tersuchungshaftvorg eführt. Siesind
auffreiemFuß,wasbeisoeinemAn-
klagepunktungewöhnlichist.Babett
R. ist promovierteGynäkologin und
OberärztinderKlinikfürGeburtsme-
dizinaneinem BerlinerKranken-
haus.Die58-Jährigearbeitetnoch
immerdort.DermitangeklagteKlaus
V.warinderKlinikChefarzt. 2012 ging
derProfessor,einstauchPräsident
derDeutschenGesellschaftfürGynä-
kologieundGeburtshilfe,indenRu-
hestand.Eristheute 73 Jahrealt.
IndemVerfahrenvorderSchwur-
gerichtskammergehtesumeinen
Fall,derneunJahrezurückliegt.Es
gehtumeinengetötetenZwilling,
umdieFrage,biszuwelchemZeit-
punkteinSpätabbruchderSchwan-
gerschaftzulässigist–undwannaus
einemFötuseinMenschwird.


SchwereHirnschädigung

InderKlinik,anderdiebeidenAnge-
klagten tätig sind oder waren, kom-
menjedesJahr3500KinderzurWelt.
EinDritteldavondurcheineRisiko-
geburt. Wieauch amTattag, dem
12.Juli 2010. AmMorgen diesesTa-
ges leiteten die beiden nun ange-
klagten Ärzte bei einer 27-jährigen
Patientin dieGeburtihrer Zwillinge
ein. DieFrauwar erst in der
32.Schwangerschaftswoche,die
Wehen hatten eingesetzt.Siehatte
bereitsbeiderseitMitteJunidauern-
denBehandlunginderKlinikeinem
selektivenFetozid,derTötungeines
ZwillingsimMutterleib,zugestimmt,
daderFötuseineschwereHirnschä-
digungaufwiesunddasandereKind
dadurchinGefahrwar.
LautGesetzhättederSpätabbruch
vorder Geburtnoch im Mutterleib
stattfindenmüssen.DochdieMedizi-
nerholtendasgesundeMädchenper


Kaiserschnitt auf die Welt, dann
durchtrennten sie dieNabelschnur
der krankenZwillingsschwester und
spritzten demKind 20 Milligramm
Kaliumchlorid.EskamzumHerzstill-
stand. Für dieStaatsanwältinSilke
vanSweringen haben damit die bei-
denMedizinerdasKindgetötet,alses
rechtlich nicht mehr zulässig gewe-
sensei. WeilessichmitderGeburt,in
diesem Fall mit dem Öffnen derGe-
bärmutter,bereits um einenMen-
schen gehandelt habe und nicht
mehrumeinenFötus.
DieangeklagtenMedizinergeben
zu, dass sie dem kranken Fötus erst
beim Kaiserschnitt dasKaliumchlo-

ridinjizierthaben. Eine Tötungvor
der GeburtimM utterleib,sow ie es
dasGesetzzulässt,seizuriskantge-
wesen für das gesundeKind, erklärt
dieOberärztin.DieZwillingeseienin
einer Plazenta gewachsen.Zu groß
seidie Gefahrgewesen,dasgesunde
Kind durchKaliumchlorid ebenfalls
zu schädigen oder gar zu töten.Ba-
bett R. fügt hinzu:Solange sich das
kranke KindnochinderGebärmut-
ter befunden habe,sei es für sie ein
Fötusgewesen.DieÄrztehättensich
„aufdersicherenSeite“gewähnt.
Eigentlich,sosagtesdieOberärz-
tin, habe man die 34. Schwanger-
schaftswoche abwarten wollen. Kli-

niken seien kontaktiertworden, um
andereMöglichkeitenzufinden,das
gesundeKindgefahrlosaufdieWelt
zubringen.OhneErfolg.
Dereinstige Chefarzt KlausV. er-
klärt, man habe damals nichtsver-
schleiert, auch denOperationsbe-
richt nicht geschönt.Im Team habe
es damals keineDiskussion um die
Vorgehensweise gegeben. „Weil wir
derMeinungwaren,dasRichtigezu
tun.“ DerKaiserschnitt sei der opti-
male Zeitpunkt für dieGeburtdes
gesundenKindesgewesen.„ImVor-
dergrund stand für uns Ärzte nicht
dasJuristische,sonderndasgesunde
Kind“,sagtderMediziner.

ElternalsZeugengeladen
Erst drei Jahrenach demToddes
Zwillings wurde Anzeige erstattet.
Anonym.DerAnzeigende nannte
sich„Mitarbeiter“.Er gab an, die in
der Klinik praktiziertenSpätabtrei-
bungen nicht mehr hinnehmen zu
wollen.2016erhobdieStaatsanwalt-
schaftAnklagegegendiebeidenMe-
diziner.Die langeDauer vonwie-
derum dreiJahren seit der Anklage-
erhebungbiszumBeginndesStraf-
verfahrens wirddamit begründet,
dassHaftsachenindemohnehinun-
terbesetzten Landgericht Vorrang
hätten. Biszum Proz essbeginn darf
ein Angeklagter in derRegel nicht
längeralssechsMonatein Untersu-
chungshaftsitzen.
EsisteinProz ess,derratlosmacht
und der nach einemUrteil vermut-
lich höchstrichterlich entschieden
werden muss.Denn die Ärzte wür-
den nicht auf der Anklagebank sit-
zen,wennsiedenFetoziddeskran-
ken Fötus nochvorder Geburtim
Mutterleib vorgenommen hätten –
und dabei auch das gesundeZwil-
lingskindgestorbenwäre.„Dasmuss
mansosehen“,sagtselbstdieStaats-
anwältinSilkevanSweringen.
Am nächstenProz esstag sollen
dieElterndesgetötetenZwillingsals
ZeugenvorGerichtaussagen.

Babett R. (l.) und KlausV. (r.) mit ihren Anwälten: Die Angeklagten bestreiten nicht, das tödliche Kaliumchlorid gespritzt zu haben. PRESSEFOTO WAGNER

„Wir holten uns keinen


juristischenRat, weil wir


keinen Zweifel an


unseremHandeln hatten.


ImVordergrund stand für


uns Ärzte nicht dasJuristische,


sonderndas gesundeKind.“


KlausV.,
der angeklagte einstigeChefarzt der Klinik für Geburtsmedizin, in der
jedes Jahr3500 Kindergeborenwerden

DoppelgutachtenfürdenBER


BundesregierungundFlughafengesellschaftgebenmehrere100000Euroaus


VonAndreas Niesmann

D


ie Bundesregierung und die
Flughafengesellschaft Berlin
Brandenburg(FBB) habenGutach-
ten für mehrere100 000 Euro zu
ähnlichenFragestellungen um das
geplante Regierungsterminal am
noch nicht eröffnetenHauptstadt-
flughafen BER inAuftrag gegeben.
DasgehtausderAntwortdesInnen-
ministeriums auf eine schriftliche
Frage derGrünen-Bundestagsfrak-
tionher vor, dieder BerlinerZeitung
(RedaktionsnetzwerkDeutschland)
vorliegt.
Laut der vonStaatssekretärin
AnneKatrin Bohleunterschriebenen
Antworthat die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben für 300000
Euro eine Machbarkeitsstudie in
Auftraggegeben,dieüberprüfensoll,
inwieweitdasbisherigeInterimster-
minaldenBedürfnissenderFlugbe-
reitschaft desVerteidigungsministe-
riumsentspricht.DasGutachtensoll
Endedes Jahres vorliegen.Gleichzei-
tighatauchdieFBBeinGutachtenin
Auftrag geben, um zu klären, inwie-
weitdasbisheralsÜbergangslösung
geplanteInterimsterminal in den
endgültigenRegierungsflughafenin-
tegrier twerdenkann.DieKostenfür
dieses Gutachten sind noch nicht
bekannt.
AusSicht der Grünen ist die
doppelte Begutachtung Ver-
schwendung vonSteuermitteln.
„Für mich ist das ein klarerFall
vonpurer Verschwendung.Die
Bundesregierung gibt 300000
Euro für eine einzigeStudie aus,
um mal zu gucken, ob der extra
neugebauteInterims-Regierungs-
terminalihrdochalsDauerlösung


genehmwäre. Undobendraufwill
die Flughafengesellschaft auch
gleichnocheinemachen–Kosten
nochunbekannt“,kritisiertStefan
Gelbhaar,Obmann imVerkehrs-
ausschuss der Grünen-Bundes-
tagsfraktion.

UmdenkenindenMinisterien
„Berliner und Brandenburger
müssenalsonochmaldasGleiche
obendrauf blechen“, soGelbhaar
weiter.„IchwerdedenRechnungs-
hofdarüberinformieren.“
Hintergrund des Streits sind
Überlegungen des Bundes,auf
den geplantenBaueines Regie-
rungsflughafens zu verzichten
und stattdessen das bislang als
Übergangslösunggeplantebereits
fertiggestellte Interimsterminal
dauerhaft für dieFlugbereitschaft
und dieAbfertigung vonStaats-
gästen undMinisternzun utzen.
FrüherhattederBundeinesolche
Planungsänderung kategorisch
ausgeschlossen, inzwischen aber
soll in denMinisterien einUm-
denkeneingesetzthaben.
Grund sind auch die explodie-
renKosten. Allein für diePlanung
des Regierungsflughafens sowie
die flugbetrieblichen Anbindung
hat dieBundesregierung bereits
31,7 Mio. Euro ausgegeben.Auch
die Kosten für dieBewachung des
bislang ungenutztenInterimsge-
bäudes amFlughafen Schönefeld
sindhoch.
BiszurÜbernahmedesGebäu-
desnachderfürOktober2020ge-
plantenEröffnung desFlughafens
BERerwartetdieBundesregierung
Bewachungskosten in Höhevon
1,8MillionenEuro.

Teuer,auch im geschlossenen Zustand –
der Flughafen in Schönefeld. IMAGO IMAGES

„Ich werdeden


Rechnungshof


darüber


informieren.“


Stefan Gelbhaar,
Obmann imVerkehrsausschuss
der Grünen-Bundestagsfraktion zu den
Ausgaben für das
doppelte Gutachten, das am Ende des
Jahresvorliegen soll.

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