Haushalte
EU verschickt
fünf
Mahnbriefe
Ruth Berschens Brüssel
F
ünf Euro-Staaten mit einer
überdurchschnittlich hohen
Staatsverschuldung bekom-
men Ärger mit Brüssel. Frankreich,
Italien, Spanien, Belgien und Portu-
gal bescheinigte die EU-Kommission,
dass ihre für das kommende Jahr ge-
planten Staatsausgaben zu hoch sei-
en. Die Regierungen müssten mehr
für die Haushaltskonsolidierung tun.
Ein besonderes Augenmerk liegt
dabei auf Frankreich und Italien, den
beiden nach Deutschland größten
Euro-Staaten. Die italienische Staats-
schuldenquote ist mit rund 132 Pro-
zent der jährlichen Wirtschaftsleis-
tung mehr als doppelt so hoch wie
von der EU erlaubt, und auch Frank-
reich liegt mit einer Schuldenquote
von rund 98 Prozent weit über dem
Limit. Die Regeln des Stabilitätspak-
tes sehen in solchen Fällen besonde-
re Sparanstrengungen vor: Das struk-
turelle, also von konjunkturellen Ef-
fekten bereinigte Defizit muss
jährlich um mindestens 0,6 Prozent-
punkte sinken.
Frankreich will seine strukturelle
Defizitquote nächstes Jahr aber unver-
ändert bei 2,2 Prozent belassen. Der
Anstieg der Staatsausgaben falle zu-
dem doppelt so hoch aus wie von der
Kommission empfohlen, kritisiert der
zuständige EU-Kommissionsvize Val-
dis Dombrovskis in seinem Schreiben
an den französischen Finanzminister
Bruno Le Maire. Die Abweichung von
den gemeinsam vereinbarten EU-
Haushaltsregeln müsse Frankreich
besser als bisher begründen.
Für Italien hat die Kommission ei-
ne noch größere Lücke errechnet
zwischen den aus Rom gelieferten
Zahlen zu den Staatsausgaben und
den EU-Vorgaben für das strukturelle
Defizit. Ebenso wie Frankreich recht-
fertigte sich Italien damit, dass sich
die Konjunktur verschlechtere und
der Staat gegenhalten müsse. Italien
versucht zudem erneut, die Flexibili-
tätsklauseln des Stabilitätspaktes zu
nutzen und für bestimmte Staatsaus-
gaben, etwa für Investitionen in die
Infrastruktur, eine Ausnahmegeneh-
migung zu erhalten.
Belgien weicht stark ab
Selbst wenn die Kommission die
Ausnahmen bewilligen würde, läge
Italien beim Defizit und bei den
Staatsausgaben immer noch deut-
lich über Plan.
Sollten Frankreich und Italien von
ihrer Haushaltsplanung nicht abrü-
cken und auch keine überzeugende
Begründung dafür liefern, dann
könnte theoretisch ein Strafverfahren
wegen überhöhter Defizite eingeleitet
werden. Faktisch ist das bisher aller-
dings noch nie geschehen – obwohl
beide Länder auch in der Vergangen-
heit schon gegen den Stabilitätspakt
verstoßen haben.
Im Falle Belgiens ist die Abwei-
chung von den EU-Haushaltsregeln
besonders krass. Der Euro-Staat mit
dem dritthöchsten Schuldenberg will
die primären Staatsausgaben nächs-
tes Jahr um 4,7 Prozent erhöhen –
dreimal mehr als von der EU erlaubt.
Die Kommission forderte die belgi-
sche Regierung deshalb auf, „so bald
wie möglich einen korrigierten Haus-
haltsentwurf “ einzureichen.
M. Greive, J. Hildebrand Berlin
I
n Kürze legt die Bundesregie-
rung ihre Halbzeitbilanz vor.
In der Haushalts- und Finanz-
politik wird sich Bundesfi-
nanzminister Olaf Scholz
(SPD) – wenig überraschend – ein gu-
tes Zwischenzeugnis ausstellen.
Deutschlands Haushaltspolitik sei
„expansiv“, die Investitionen lägen
auf „Rekordniveau“, die Steuern sän-
ken. Gleichzeitig vollbringe man das
Kunststück, den Schuldenstand zu-
rückzufahren, sagte Scholz am Wo-
chenende auf der Jahrestagung des
Internationalen Währungsfonds.
Der Bundesrechnungshof hingegen
kommt zu einer weniger ruhmrei-
chen Zwischenbilanz. In seinen neu-
en „Feststellungen zur finanzwirt-
schaftlichen Entwicklung des Bun-
des“, die dem Handelsblatt vorliegen,
gehen die Prüfer mit der Haushalts-
und Finanzpolitik der Bundesregie-
rung hart ins Gericht.
Insgesamt trage Scholz‘ Haushalts-
planung bis zum Jahr 2023 dem Ziel
tragfähiger Finanzen „nur in sehr be-
grenztem Umfang Rechnung“,
schreibt der Rechnungshof. „Die
Fortsetzung einer Finanzpolitik nach
dem Gießkannenprinzip wäre kon-
traproduktiv. Sie muss abgelöst wer-
den durch Schwerpunktsetzungen
auf zukunftsbezogene Aufgaben“,
heißt es in der 122 Seiten starken
Analyse mit dem Titel „Zeit der an-
strengungslosen Konsolidierung geht
zu Ende“.
So sei die Rentenpolitik der Gro-
ßen Koalition aufgrund von Refor-
men wie der Mütterrente nicht nach-
haltig, die neue Grundrente würde
die Ausgaben weiter „deutlich erhö-
hen“. Auch sei die Tendenz, Sonder-
vermögen außerhalb des Kernhaus-
halts zu schaffen, „ungebrochen“.
Dadurch würde der Bundesetat im-
mer intransparenter. Und wenn der
Staat seine Bürger entlaste, stehe dies
rechtlich auf wackeligen Beinen. So
berge der teilweise Soli-Abbau „hohe
verfassungsrechtliche Risiken“.
Besonders schlimm steht es laut
den Prüfern um die Finanzbeziehun-
gen zwischen Bund und Ländern:
Der Bund habe „quasi eine fiskali-
sche Allzuständigkeit akzeptiert“,
und „die vom Grundgesetz vorgege-
bene Trennung der Aufgaben- und
Finanzierungskompetenz der staatli-
chen Ebenen wurde weitgehend auf-
gegeben“. Der Bund müsse aufpas-
sen, über die Hilfen für Länder und
Kommunen „seine eigenen Aufgaben
nicht zu vernachlässigen“. In den ver-
gangenen Jahren hatte der Bund mit-
tels einiger Grundgesetzänderungen
Länder und Kommunen in Feldern
unterstützen können, die früher tabu
waren, etwa bei Kindertagesstätten
oder Schulsanierungen.
Haushaltspolitiker im Bundestag
regen sich darüber schon länger auf.
Laut Bundesrechnungshof aus guten
Gründen. Denn Folge der stärkeren
Bundesunterstützung sei ein „un-
übersichtliches Kompetenz- und Fi-
nanzierungsgemenge, das die demo-
kratische Sanktionierung politischer
Entscheidungen beeinträchtigt“. Nie-
mand blicke mehr durch, wer wofür
verantwortlich ist.
Gleichzeitig steht der Bund in den
nächsten Jahren vor großen Heraus-
forderungen, deren Kosten nicht ab-
sehbar sind. Der Bundesrechnungs-
hof nennt explizit höhere Beiträge
zum EU-Haushalt aufgrund des Bre-
xits, die Bewältigung der europäi-
schen Staatsschuldenkrise, den be-
schlossenen Ausbau des Euro-Ret-
tungsschirms ESM sowie den
Kohleausstieg und die Entsorgung
von Atommüll. Hinzu komme der de-
mografische Wandel.
Doch statt für diese Risiken vorzu-
sorgen, verstärkt der Bund sie aus
Sicht des Bundesrechnungshofs
noch. So „verharren“ die Investitio-
nen weit unterhalb des Anteils der
Sozialausgaben. Und ob der Steuer-
zuschuss an die gesetzliche Kranken-
versicherung ausreiche, sei fraglich.
Statt Risiken in der Finanzplanung
wie bisher über vage Sparvorhaben
abzubilden, solle der Bund sie
„durch konkrete Kürzungen verrin-
gern“, fordert der Rechnungshof. Ein
Weg wäre, „die zahlreichen steuerli-
chen Vergünstigungen endlich einer
kritischen Überprüfung zu unterzie-
hen“. Stattdessen würden neue Aus-
nahmen geschaffen.
Vor dem Hintergrund dieser Politik
ist der Rechnungshof froh, dass die
in der Kritik stehende Schulden-
bremse weiteren Ausgaben einen
Riegel vorschiebt. „Es ist ein Ver-
dienst, dass sie die begrenzten Spiel-
räume offenlegt“, schreiben die Prü-
fer und sind überzeugt: „Die eigentli-
che Bewährungsprobe für die
Schuldenbremse steht erst bevor.“
Haushaltspolitik
Rüge für Olaf Scholz
Ständig neue Ausgaben, zu geringe Investitionen und
zunehmende Intransparenz: Der Rechnungshof kritisiert
die Haushaltspolitik scharf.
Die
Fortsetzung
einer
Finanzpolitik
nach dem
Gießkannen -
prinzip
wäre kontra -
produktiv.
Bundesrechnungshof
Olaf Scholz im
Kanzleramt:
„Fiskalische
Allzuständigkeit.“
action press
Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204
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