Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Jan Keuchel Düsseldorf


D


as Kraftfahrt-Bundes-
amt (KBA) ließ keine
Zweifel aufkommen:
Im größten Skandal
der deutschen Auto-
mobilgeschichte konnten die Kunden
nicht auf Unterstützung der Behörde
hoffen. Ende Juli übermittelte das
KBA ein Schreiben an die 16. Zivil-
kammer des Landgerichts Stuttgart.
Das Dokument, das die Richter anfor-
derten, würde man ihnen nicht ge-
ben, hieß es aus Flensburg. Es ent-
halte Vorgänge, die „geheim gehalten
werden müssen“.
Das war schlecht für das Gericht –
und schlecht für den Daimler-Kun-
den, der dort sein Recht suchte. Gerd
Hader* hatte für viel Geld einen Daim-
ler GLK 220 CD 4matic gekauft. Spä-
testens Mitte 2019 erfuhr Hader, dass
sein Fahrzeug wohl vom Dieselskan-
dal betroffen war. Im Motor war ver-
mutlich eine illegale Software instal-
liert, die die Reinigung von Abgasen
nur zuließ, wenn der Daimler im Test-
labor fuhr – nicht aber auf der Straße.
Das Unternehmen bestritt vor Ge-
richt die Vermutung Haders. Nun gut,
schienen die Stuttgarter Richter zu
denken, man könne ja eine neutrale
und gut informierte Institution fragen.
Das KBA hatte Daimler 2018 per Be-
scheid verpflichtet, rund 700 000
Fahrzeuge der Euro-Norm 6b in die
Werkstätten zurückzuholen, weil da-
rin aus Sicht des KBA eine unzulässige
Abschaltsoftware verbaut war. Am 21.
Juni 2019 folgte ein ebensolcher Be-
scheid für den GLK 220 der Euro-
Norm 5 – ein Fahrzeug also, wie es
Kläger Hader fuhr. Diesen zweiten Be-
scheid wollten die Richter studieren.
Sie können es aber nicht. Das KBA,
dessen Schreiben an das Gericht dem
Handelsblatt vorliegt, weiß zwar um
die Natur der Software, die in diesem
Auto installiert ist. Es hält aber Fest-
stellungen im Schreiben für ein Ge-
schäftsgeheimnis, das es nicht verra-
ten darf – auch keinem Richter.
Das Handelsblatt fragte nach und
erfuhr: Das KBA entspricht mit sei-
nem Verhalten der Rechtsauffassung
der vorgesetzten Behörde. Laut Bun-

desverkehrsministerium enthält der
Bescheid Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse des Autokonzerns. Die gelte
es zu schützen.
Wer schützt die Dieselkunden?
Hunderttausende von Deutschen
kauften sich in den vergangenen Jah-
ren Dieselfahrzeuge von Daimler,
Volkswagen und anderen Herstellern,
weil sie den Werbeversprechen glaub-
ten: Dieselmotoren waren nicht nur
sparsam, sondern auch sauber. Seit
aufflog, dass es anders ist, zahlte
Volkswagen in den USA Milliarden
Dollar an die Geschädigten.
Auch in Deutschland ist der Wert
von Dieselfahrzeugen, die von dem
Skandal betroffen sind, gesunken.
Doch Kunden wie Hader, der sein Au-
to gegen Erstattung des Kaufpreises
zurückgeben will, finden beim Ver-
käufer kein Gehör. Und wenn sie kla-
gen, finden sie keine Hilfe beim KBA.
Dieser Zustand erzürnt nicht nur
die Autofahrer. Auch die Strafverfol-
gungsbehörden brauchen bei der Auf-
arbeitung des Skandals die Hilfe des
KBA – und müssen für ihren Ge-

schmack darauf viel zu lange warten.
2017 drohte der die Audi-Ermittlun-
gen führende Oberstaatsanwalt Domi-
nik Kieninger in München dem Präsi-
denten des KBA sogar an, strafrecht-
lich gegen dessen Mitarbeiter
vorzugehen – wegen Behinderung der
Justiz. Erst dann beteiligte sich die Be-
hörde etwas mehr an der Aufklärung.

Begehrte Dokumente


Dafür bremst das KBA die Justiz nun
in Zivilverfahren – dabei könnte es die
Aufarbeitung ungemein beschleuni-
gen. Das Oberlandesgericht Koblenz
erklärte jüngst in einem Verfahren ge-
gen Volkswagen, dass ein Bescheid
des KBA über das Vorliegen einer un-
zulässigen Abschalteinrichtung in ei-
nem bestimmtem Motorenmodell
ausreiche, um die sittenwidrige Schä-
digung des Kunden durch den Her-
steller als belegt anzunehmen. Es sei
dann „unerheblich“, was VW dem
entgegenstelle.
Bislang bekommen Richter solche
KBA-Dokumente aber nur selten zu
sehen. Die Autokonzerne selbst legen

sie in der Regel nicht oder umfassend
geschwärzt vor. Das KBA rückt sie gar
nicht heraus. Warum nicht? Das Amt
antwortet auf Nachfrage sehr zöger-
lich. Zu den durch das Geschäftsge-
heimnis geschützten Informationen
zählten alle auf ein Unternehmen be-
zogenen Tatsachen, Umstände und
Vorgänge, die nur einem begrenzten
Personenkreis zugänglich seien und
an deren Nichtverbreitung der Kon-
zern ein berechtigtes Interesse habe,
heißt es aus Flensburg. Dazu zählten
auch „detaillierte Angaben zur techni-
schen Funktionsweise des Emissions-
kontrollsystems und des Abgasrück-
führungssystems“.
Daimler schließt sich dieser Auffas-
sung an. In den Bescheiden würden
„unter anderem technische Details
von Fahrzeugen und der Motorsteue-
rung“ beschrieben, heißt es auf Anfra-
ge. Geschäftsgeheimnisse eben. Das
Handelsblatt hat zahlreiche KBA-Be-
scheide in Sachen Dieselaffäre einge-
sehen, die Autos von Volkswagen be-
trafen. Dort waren allerdings keine
Betriebsgeheimnisse erkennbar – nur
die ausführliche Beschreibung der
zahlreichen Schummel-Software-Vari-
anten in Dieselmotoren.
Für Anwalt Philipp Niephaus, des-
sen Kölner Kanzlei Rogert & Ulbrich
Tausende Dieselfahrer gegen Volkswa-
gen und Daimler vertritt, offenbart
das KBA ein offensichtliches Missver-
ständnis seiner Befugnisse. „Das Kraft-
fahrt-Bundesamt stellt die Interessen
der Industrie in bemerkenswerter
Weise vor diejenigen der Judikative
und Öffentlichkeit“, so Niephaus.
In Stuttgart wollen die Richter Ende
Dezember entscheiden, wie sie mit
der Haltung des KBA – und damit
auch des Verkehrsministeriums – um-
gehen. Sie können die Behörde nicht
zwingen, Dieselbescheide vorzulegen.
Die Richter können aber entscheiden,
wem die Verweigerungshaltung des
KBA schadet. Muss der Kunde trotz-
dem das Vorhandensein von Schum-
melsoftware beweisen, würde er
gleich dreimal im Stich gelassen – vom
KBA, dem Verkehrsministerium und
der Justiz.

Dieselskandal


Schützenhilfe für Daimler


Der Stuttgarter Fahrzeughersteller zeigt sich Justiz und Klägern gegenüber wenig kooperativ.


Unterstützung dafür bekommt der Konzern ausgerechnet vom Bundesverkehrsministerium.


Daimler-
Zentrale:
Betroffene im
Dieselskandal
beklagen
wenig Ko-
operations-
bereitschaft.

imago/Arnulf Hettrich

Das


Kraftfahrt-


Bundesamt


stellt die


Interessen


der Industrie


vor diejenigen


der Judikative


und Öffent -


lichkeit.


Philipp Niephaus
Klägeranwalt

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Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204

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