Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
Jakob Blume, Alexander Busch
Frankfurt, Santiago

D


en Ausverkauf in Ar-
gentinien hat Chris
Watson entspannt vor
dem Rechner in Lon-
don verfolgt. Der Ma-
nager eines auf Schwellenland-Anlei-
hen spezialisierten Fonds beim Ver-
mögensverwalter Finisterre Capital
hatte kurz vor den Vorwahlen um die
Präsidentschaft im August sämtliche
argentinische Bonds abgestoßen.
Sein Portfolio blieb daher von dem
Absturz um 50 Prozent bei argentini-
schen Staatsanleihen verschont, den
der überraschende Sieg von Heraus-
forderer Alberto Fernández über den
Amtsinhaber Mauricio Macri ausge-
löst hatte. Mittlerweile hält Watson
argentinische Staatsanleihen wieder
für ein interessantes Investment –
wenn auch nur kurzfristig: „Argenti-
nien ist ein Date, keine Ehe“, sagt der
Fondsmanager.
Erneut blicken die Kapitalmärkte
mit Spannung auf das lateinamerika-
nische Land: Fernández und Macri
treten am kommenden Sonntag noch
einmal gegeneinander an – diesmal
geht es wirklich um den Einzug ins
Präsidialamt. Macri konnte sich von
der Vorwahl-Schlappe im August
nicht erholen, er liegt in Umfragen
rund 15 Prozentpunkte hinter Fer-
nández. Der linke Herausforderer
kann sich berechtigte Hoffnungen
machen, bereits im ersten Wahlgang
über den konservativen Amtsinhaber
zu triumphieren.
Doch selbst wenn der Ausgang der
Wahl sicher scheint: Für die Zukunft
des Landes gilt das keineswegs. Ar-
gentiniens Wirtschaft leidet unter ho-
her Inflation, einer schwachen Lan-
deswährung und explodierenden
Auslandsschulden. Wie Fernández
die Krise bekämpfen und gleichzeitig
seine Wahlversprechen einlösen will,
ist unklar. Auch für Anleger steht viel
auf dem Spiel: Viele Fondsmanager
wurden von der Krise im August kalt
erwischt – sie sitzen in argentini-
schen Staatspapieren fest. Für speku-
lative Investoren winken jedoch auch
deutliche Gewinne, sollte das Land
seine Schuldenkrise lösen können.

Enttäuschte Anleger
Zum Amtsantritt im Jahr 2015 setzten
viele ausländische Investoren auf den
konservativen Macri. Noch vor zwei-
einhalb Jahren fragten sie begeistert
eine Anleihe der Republik Argenti-
nien mit hundertjähriger Laufzeit
nach. Doch inzwischen wenden sich
viele Anleger enttäuscht von dem
ehemaligen Unternehmer ab. Ihre
Hoffnung, Macri könne das Land
wirtschaftlich stabilisieren und zu ei-
nem verlässlichen Schuldner ma-
chen, ging nicht auf. Im Gegenteil:
Die Wahrscheinlichkeit eines neuen
Zahlungsausfalls sei hoch, sagt Edwin
Gutierrez, Chef für Emerging-Mar-
kets-Anleihen bei Aberdeen Standard
Investments.
Als Hauptgrund für Macris abseh-
bare Niederlage am kommenden
Sonntag sieht Gutierrez die hohe In-
flation, die Macri nicht senken konn-
te. Die Geldentwertung beträgt seit
Jahresbeginn 53,5 Prozent. Zudem ist
die Arbeitslosenquote die höchste
seit 14 Jahren. Die Armutsrate ist wie-
der deutlich auf über ein Drittel der

Bevölkerung gestiegen. Der Peso hat
seit Anfang 2018 etwa 80 Prozent sei-
nes Werts verloren. „Vor allem die
Währung ist ein Barometer, das an-
zeigt, wie schlecht das Land da-
steht“, sagt Gutierrez.
Angesichts der katastrophalen Lage
glaubten die Märkte derzeit nicht,
dass ein neuer Präsident Fernández
es schaffen werde, gleichzeitig das
Haushaltsdefizit weiter zu senken, die
Renten und Sozialleistungen zu erhö-
hen und zusätzlich die Schulden zu
tilgen. „Die Frage ist zunächst nicht,
ob die nächste Regierung ihre Kredite
zurückzahlen will – sie wird es nicht
können“, sagt Gutierrez. „Es grenzt
an die Quadratur des Kreises, gleich-
zeitig Wachstum und einen ausgegli-
chenen Staatshaushalt ohne Sparkurs
erreichen zu wollen“, ergänzt Finis-
terre-Capital-Manager Watson.
Er erwartet, dass der künftige Prä-
sident zunächst die ausländischen In-
vestoren zu einer freiwilligen Um-
schuldung bewegen wird. Setzt er
sich durch, könnten die Kurse für ar-

gentinische Bonds sprunghaft anstei-
gen. „In unserem Basisszenario, ei-
ner freiwilligen Umschuldung, könn-
ten die Anleihen um 15 bis 20 Cent
pro Dollar höher handeln“, sagt Wat-
son. Das entspricht einem Kursge-
winn von 40 bis 50 Prozent. „Des-
halb haben wir mittlerweile wieder
in Argentinien investiert.“

Vorbild Uruguay?
Als Beispiel könnte Uruguay dienen,
das 2003 eine ähnliche Reform vor-
genommen hat, schreibt Gustavo
Rangel, Chefökonom für Lateiname-
rika bei der niederländischen ING
Bank. Eine solche „investorenfreund-
liche Umschuldung“ sähe vor, die
Rückzahlung der ausstehenden An-
leihen für vier Jahre auszusetzen. Da-
für verzichtet das Land auf einen
Schuldenschnitt, bei dem Anleihe-
gläubiger einen großen Teil des No-
minalbetrags abschreiben müssten.
Doch die Chancen schätzt ING-Öko-
nom Rangel als gering ein. Der neue
Präsident müsste seine komplette

erste Amtszeit darauf verwenden,
drastische Sparmaßnahmen durch-
zuführen, und den heimischen Un-
ternehmen Kapitalverkehrskontrol-
len auferlegen.
Zudem müsste die argentinische
Zentralbank die Leitzinsen deutlich
anheben, um die Inflation im Land
einzudämmen und den Verfall des
argentinischen Pesos zu stoppen. All
diese Maßnahmen dürften die Wirt-
schaft des Landes weiter in Mitlei-
denschaft ziehen. Argentinien ist seit
2011 nicht gewachsen. Knapp sieben
Prozent wird die Wirtschaft in der
zweijährigen Rezession unter Macri
geschrumpft sein. „Im Fall Argenti-
niens ist eine derartig drastische fis-
kalische Konsolidierung unwahr-
scheinlich“, so das Fazit von Rangel.
Fest steht jedoch, dass die Zeit
drängt: Im kommenden Jahr muss
Argentinien der ING zufolge mehr als
50 Milliarden Dollar Schulden refi-
nanzieren. Zwar werden 2020 vor al-
lem Anleihen in Lokalwährung fällig.
Doch ab 2021 steigen auch die Rück-

Spekulanten in


Lauerstellung


Argentinien macht kurz vor den Wahlen eine schwere


Finanzkrise durch. Erste Investoren kehren zurück - trotz


aller Risiken für Anleger und das Land.


Argentinien


ist ein Date,


keine Ehe.


Chris Watson
Fondsmanager bei
Finisterre Capital

Private

Geldanlage

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WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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