Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
Bulle & Bär

Nur noch


kurze


Schrecken


G


ewinnwarnung ist ein schräges
Wort, aber jeder Börsianer ver-
steht, was damit gemeint ist. Un-
ternehmen, die absehen, dass sie Progno-
sen für die eigene Geschäftsentwicklung
nicht einhalten können, müssen die Inves-
toren vorwarnen. Und das machen sie seit
anderthalb Jahren verstärkt. Die Warnun-
gen der Unternehmen vor sinkenden Ge-
winnen, Umsätzen oder Gewinnmargen
haben angesichts der von Themen wie
Handelsstreit und Brexit belasteten Kon-
junktur massiv zugenommen.
Doch die gute Nachricht ist: Die War-
nungen verlieren ihren Schrecken. Die
Kurse brechen mitunter nur noch kurz ein
und erholen sich rasch wieder.
Ein prägnantes Beispiel dafür ist BASF.
Anfang Juli verkündete der Chemiekon-
zern, dass er statt eines operativen Ge-
winnwachstums von zehn Prozent für das
laufende Jahr einen Gewinnrückgang von
bis zu 30 Prozent erwartet. Die Aktie sack-
te nach dieser drastischen Ausblicksände-
rung kurzfristig um 6,5 Prozent ab. Nach
einigen Tagen lag sie aber wieder höher
als vor der Warnung. Zwischenzeitlich
ging es zwar erneut bergab, aber seither
auch wieder um ein Viertel nach oben.
Auch am Donnerstag stieg der Kurs, ob-
wohl der Konzern für das dritte Quartal
einen Gewinneinbruch meldete und
BASF-Chef Martin Brudermüller den Anle-
gern keine Hoffnung auf Besserung in die-
sem Jahr machte.
Vergangene Woche gab es Gewinnwar-
nungen von Unternehmen wie dem Silizi-
umhersteller Wacker Chemie oder dem
Stahlkonzern Klöckner & Co. Auch hier
haben die Aktien ihre kurzfristigen Ein-
brüche schon wieder wettgemacht.
Das sind positive Zeichen, denn sie zei-
gen, dass die Aktionäre nicht mehr so viel
schocken kann. So waren die Aktien von
BASF, Wacker Chemie und Klöckner & Co.
schon mehr als ein Jahr vor den letzten
Prognosesenkungen heftig eingebrochen.
Dass die Aktien nach schlechten Nachrich-
ten nur noch kurz fallen, heißt: Die Kurse
spiegeln schon viel Negatives wider, und
Anleger sehen rasch wieder Einstiegs -
chancen. Das gilt auch deshalb, weil die
Dividendenrenditen Aktien im Niedrig-
zinsumfeld attraktiv machen. Bei Zeichen
für eine bessere Konjunktur gibt es von
daher gerade für zuvor deutlich abgestraf-
te Aktien Potenzial nach oben.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Andrea Cünnen

zahlungen von US-Anleihen in den
zweistelligen Milliardenbereich. Zu-
dem steht Argentinien mit rund 56
Milliarden Dollar beim Internationa-
len Währungsfonds in der Kreide.


Kompromissloserer IWF


Der IWF gewährte die Kredite im ver-
gangenen Jahr in der Hoffnung, das
Land werde seinen Reformkurs unter
Macri fortsetzen. Doch diese Hoff-
nung könnte sich zerschlagen. Mit der
scheidenden IWF-Chefin Christine La-
garde, die zur Europäischen Zentral-
bank wechselt, verliert das Land zu-
dem eine prominente Fürsprecherin.
Lagarde hatte sich für den Milliarden-
kredit des IWF an Argentinien stark-
gemacht. Die neue IWF-Chefin Krista-
lina Georgieva werde weniger entge-
genkommend mit Argentinien
verhandeln, erwartet Rangel.
Verschlimmert wird die Situation
dadurch, dass die argentinische Lan-
deswährung seit Jahresbeginn gegen-


über dem Dollar rund 36 Prozent an
Wert verloren hat. Weil 80 Prozent
der ausstehenden Staatsschulden in
Fremdwährung notiert sind, trifft die
Währungskrise das Land doppelt:
Die Importe werden teurer, heizen
die Inflation an und drücken den
Wert des Pesos weiter. Gleichzeitig
wird die Bedienung der Auslands-
schulden immer schwerer. Um die-
sen Teufelskreis zu durchbrechen,
bleibt Argentinien nur eine Möglich-
keit: „Die Abwertung des Pesos muss
gestoppt werden“, unterstreicht Fi-
nisterre-Experte Watson.
Dafür müsste es Argentinien gelin-
gen, die grassierende Kapitalflucht aus
dem Land einzudämmen. Der Invest-
ment-Bank JPMorgan Cazenove zufolge
haben private Haushalte in Argentinien
seit Jahresbeginn für mehr als 25 Milli-
arden Dollar ausländische Wertpapiere
gekauft und damit Vermögen aus dem
Land geschafft. Das lastet zusätzlich auf
dem angeschlagenen Peso-Kurs.

Doch selbst wenn es Fernández ge-
lingt, gegenzusteuern und die Aufla-
gen des IWF zu erfüllen, bleiben die
Aussichten für das Land trübe. „Der
staatliche Finanzbedarf bleibt über
Jahre hoch“, schreiben die Experten
des Institute of International Finance
(IIF) in einer Studie. Es bestehe ein
hohes Risiko, dass die Finanzierung
nur kurzfristig und zu hohen Kosten
möglich sei. Eine zehnjährige argenti-
nische Staatsanleihe wirft aktuell ei-
ne Rendite von über 20 Prozent ab.
Für Anleger bleibt ein Argentinien -
engagement daher eins der risiko-
reichsten Investments bei Zinspapie-
ren. Das Land ist praktisch von den
internationalen Kapitalmärkten abge-
schnitten. Das bedeutet: Käufe von
argentinischen Wertpapieren sind
durchaus möglich. Aber im Krisenfall
werden Anleger die Papiere nicht los.
Die Erfahrung mussten auch manch
versierte Fondsmanager im vergange-
nen August machen.

Argentinien weiter in Turbulenzen


Argentinischer Peso
Wechselkurs zum US$


10-jährige Staatsanleihe
Kurs in Prozent

HANDELSBLATT Quellen: INDEC, Bloomberg


Inverse Skala

Inflationsrate
Änd. gegenüber
Vorjahresmonat

September
2019

+53,5


%


1 US$ = 59,31 Peso

24.4.2019 24 .10.

40


45


50


55


60


65


40,93 %

24.4.2019 24 .10.

80

70

60

50

40

30

Auslandsschulden
in Mrd. US-Dollar

283,6 Mrd. US$

31.3.’16 30 .6.’19

300

270

240

2
0


80


50

Straßenszenen
in Buenos Aires:
Die Wirtschaftskrise
drückt die Stimmung.

AFP/Getty Images, Bloomberg

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WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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