Mythos Vielflieger
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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Und beim Meilensammeln? Miles & More sei
schon sehr weit vorne, was die Anzahl der Sam-
melmöglichkeiten gerade im deutschsprachigen
Raum betrifft. „Vom monetären Gegenwert beim
Fliegen ist Miles & More durch die umsatzbasierte
Meilenvergabe allerdings nicht mehr das Top-Pro-
gramm“, urteilt Schumann.
British Airways, Teil der zweitgrößten Luftfahrt -
allianz Oneworld, zu der auch American Airlines,
Finnair und Qatar gehören, ist hingegen dafür be-
kannt, die Kunden mit seinen Meilen zu überschüt-
ten, oft gibt es Bonusaktionen, bei der sich die
„Avios“ günstig kaufen lassen. Auf Kurzstrecken
lassen sich Avios sehr gut einlösen, die Meilenwer-
te sind gering, auch die Zuzahlung für Steuern und
Gebühren sind sehr niedrig. „Auf der Langstrecke
gibt es dagegen gerade in den Premium-Klassen
vielfach nur schlechte Verfügbarkeiten – und auch
Steuern und Gebühren sind sehr hoch“, weiß
Schumann. Am Ende sei es für die Programme im-
mer eine Mischkalkulation, sie müssten ja profita-
bel sein: „Die Airlines versuchen, mehr durch den
Verkauf von Meilen an Autovermietungen, Hotels,
Verlage und Kreditkartenanbieter zu erlösen, als
am Ende die Einlösung durch den Kunden kostet.“
Am liebsten dürfte es den Airlines sein, wenn die
Kunden sich mit den teuer erflogenen Meilen einen
billigen Trolley aus dem Bordshop bestellen – oder
die Meilen gar verfallen lassen.
„Eine wesentliche Quelle für das wirtschaftliche
Ergebnis von Meilenprogrammen liegt beim Mei-
lenverfall“, gibt Anton Lill unumwunden zu. Lill
führte zuletzt Topbonus, das Meilenprogramm von
Air Berlin, das mit der Fluggesellschaft in die Insol-
venz schlitterte, obwohl es zuletzt der Emirate-Air-
line Etihad gehörte. Fleißige Sammler von damals
bekommen noch heute ab und an Post vom Insol-
venzverwalter. Dass sie jemals für die Millionen
von verlorenen Meilen entschädigt werden, gilt als
höchst unwahrscheinlich. Wer Meilen hortet, läuft
Gefahr, sie bei einer Insolvenz zu verlieren – oder
von einer Entwertung betroffen zu sein, wie es sie
auch bei der Lufthansa immer wieder gibt. Erst im
Mai wurden die benötigten Prämienmeilen für Flü-
ge im Schnitt um fünf Prozent erhöht.
„Die wertvollste Einlösung ist immer das Upgra-
de, da dort zum einen keine Steuern und Gebüh-
ren fällig werden und zum anderen das ,value-for-
money‘ aufgrund der Preisdifferenz zwischen den
Beförderungsklassen am höchsten ist“, erklärt Lill,
der in den Neunzigern auch das Miles-&-More-Pro-
gramm geleitet hat.
2018 wurden bei Miles & More 860 000 Flugprä-
mien und 155 000 Upgrades eingelöst. „Die Flug-
prämie ist unser emotionales Herzstück und Allein-
stellungsmerkmal“, sagt auch Programmchef Se-
bastian Riedle. Kein Wunder also, dass die Kritik
gewaltig war, als die „Hansa“ vor einigen Jahren die
Möglichkeiten von Prämienflügen stark einschränk-
te. Lieber wollte man den Sitz teuer verkaufen.
Doch die Kritik fruchtete. Mittlerweile gibt es einen
ganzen Baukasten, aus dem ein Flug über Meilen
bezahlt werden kann. Zwei Erwachsene und bis zu
fünf Kinder können ihre Flugmeilen bündeln, Poo-
ling nennt sich das. Oder es gibt eine Early-Bird-
Prämie: Wer sehr früh eine Flugprämie bucht,
kann viele Meilen sparen. Laut Riedle alles Wün-
sche, die von Kunden herangetragen wurden „und
die wir berücksichtigt haben“.
Meilen sammeln lohne sich immer nur dann,
wenn man plant, die Meilen auch wieder für Flüge
einzulösen, betont Moritz Lindner, Chef und Mit-
gründer des Reiseportals Reisetopia. Die größte Fal-
le sei und bleibe die Einlösung für Sachprämien,
Hotels und andere Leistungen, die nicht direkt mit
dem Fliegen zu tun haben. Trotzdem liegt die Sach-
prämien-Quote über alle Programme hinweg bei et-
wa einem Drittel. Lindner: „Dies ist aber auch so
gewünscht, weil die guten Einlösungen geschickt
verschleiert werden – und kaum zu finden sind.“
Beim Fliegen gilt am Ende die gleiche Überle-
bensregel wie in allen anderen Bereichen der Kon-
sumgesellschaft: Lass dich nicht verführen! Wer re-
gelmäßig abhebt, der sollte auch Meilen sammeln
und sie für gelegentliche Gratis-Upgrades in eine
höhere Klasse nutzen – ein einfacher Weg, sich das
Leben unterwegs angenehmer zu machen. Wer so
viel fliegt, dass es für eine Statuskarte reicht, kann
sich freuen. Denn sie hilft vor allem dann, wenn
beim Reisen mal nicht alles nach Plan geht.
Wer sich hingegen den Senator-Status eigens für
den Zutritt zur Lounge erfliegt, der wird dort mit
Sicherheit das teuerste Rührei seines Lebens ver-
speisen. Ganz abgesehen davon, dass solche „Mi-
leage Runs“ angesichts des Klimawandels ökolo-
gisch nicht mehr in die Zeit passen. Und wer tat-
sächlich glaubt, dass ihm der Status als Vielflieger
auch in den Zeiten der Flugscham noch einen
Imagegewinn verschafft, dem sei das Sortiment des
Online-Auktionshauses Ebay anempfohlen: Den
charakteristischen roten Gepäckanhänger aus Le-
der, den jeder Senator der Lufthansa erhält, gibt es
dort gebraucht schon für rund 30 Euro zu kaufen.
Der flugverrückte Schüler Lemke aus Graal-Mü-
ritz verfolgt einen anderen Plan. Er will selbst Pilot
werden – und wenn das nicht klappe, eben Flugbe-
gleiter oder Bundespolizist. Hauptsache, was am
Flughafen. „Fliegen ist absolut mein Leben“, sagt
Lemke.
Seine Eltern, die Mutter Hebamme, der Vater
Marketingmanager, fragen ihn manchmal, ob er
spinne, wieso er jeden Monat in der Luft sein
muss. Geld geben sie ihm nicht für das Luxushob-
by. Lemke hat sich jeden Cent selbst verdient, be-
tont er. Auch schon mal Toiletten geputzt für fünf
Euro die Stunde. Alles für die Fliegerei. Die sei ein
Muss für ihn, erklärt er, „sonst fehlt mir was“.
Mitarbeit: Ozan Demircan, Thomas Jahn
Klimaaktivistin:
Papa ist so stolz auf
seinen Senator-Status
- aber zu Hause
meckert die Tochter.
Stefan Boness/Ipon mauritius images / Westend61
Miles & More
Wir wissen nicht nur,
wann jemand fliegt.
Wir wissen auch, was er
wo einkauft, welche
Mietwagen er gern nimmt
oder welche Hotelkategorie.
Sebastian Riedle
Geschäftsführer Miles & More