Autor Händler:
Seine Romane ent-
stehen als Diktate.
Wie einst bei Goethe.
Helge Achenbach
Ein Menschenfänger
verzockt sich
In seiner zweiten Autobiografie beleuchtet der Kunstberater
auch seinen Absturz als Aldi-Betrüger.
M
an könnte Sie auch in der
Wüste ohne Wasser abset-
zen“, meint Michael Lucka
zu Helge Achenbach. „Sie kämen mit
zwei Kamelen und der hübschesten
Tochter des Nomaden wieder raus.“
Der Gefängnispfarrer der JVA Essen
hat das Wesen des verurteilten Aldi-
Betrügers klar erfasst: Tatendrang und
eine Schwäche für schöne Frauen.
Der wendige Kunstberater hatte in
seinen besten Jahren Berthold Al-
brecht, den Aldi-Erben, zu einem
Sammler von Kunst und Oldtimern ge-
macht. Manipulierte Rechnungen mit
erhöhten Einkaufspreisen wies das
Landgericht Essen auf Betreiben der
Witwe Babette Albrecht in 18 Fällen
nach. Achenbach wurde 2015 zu sechs
Jahren Haft verurteilt. Den Erben von
Berthold Albrecht muss er 19,4 Millio-
nen Euro Schadensersatz leisten. Der
Düsseldorfer verlor Vermögen, Haus,
Firmen und Kunst.
Seit Juni 2018 ist er wieder frei. Alte
Bekannte bitten hin und wieder um
seine Einschätzung zum Kunstmarkt.
Die gibt er ab, aber nur gegen eine
Spende für seinen Verein „Culture
with out Borders“. Auf einem Bauern-
hof hat er ein Kulturzentrum eingerich-
tet, das geflüchtete Kunstschaffende
unterstützt.
Die rasante Geschichte vom Aufstieg
zu Glamour und Geld, dem tiefen Fall
und der zweiten Chance schildert
Achenbach in seinen neuen Memoiren
unter dem Titel „Selbstzerstörung“.
Das schlechte Gewissen durchzieht
jetzt die pointierten Geschichten eines
Sonnyboys mit Knasterfahrung. Reue
den Betrogenen gegenüber, den Samm-
lerfamilien Albrecht, Boehringer und
Viehof. Im Nachhinein tut ihm der Ver-
rat leid. Gleichwohl konstatiert er un-
gebrochen stolz: „Dem gegenüber ste-
hen 2 500 Transaktionen und Umsätze
meiner Unternehmen in Höhe von 750
Millionen Euro, die heute drei Milliar-
den wert sind.“
Das Buchcover schreddert das Auto-
renporträt im Stil von Banksys „Love is
in the Bin“. Achenbachs zweite Lebens-
rückschau wiederholt in weiten Teilen,
was die erste Autobiografie „Der Kunst-
anstifter“ bereits 2013 ausgebreitet hat-
te. Der bescheidene Start, die frühe
Liebe zur Kunst, die im Umfeld der
Düsseldorfer Akademie Freiheit ver-
spricht. Mit 21 hatte Helge Achenbach
eine kleine Galerie aufgemacht und
war „zu einem der erfolgreichsten in-
ternationalen Kunsthändler aufgestie-
gen“. Das sahen nicht alle Marktteil-
nehmer so, berichtet Achenbach. Für
den Oppenheim-Banker Thomas
Bscher und Ehemann der Galeristin
Krystyna Gmurzynska sei Achenbach
nur der gewesen, der Poster in Firmen
aufhänge.
Die „Selbstzerstörung“ durchziehen
Schuldeingeständnisse und vulgärpsy-
chologische Erklärmodelle: „Eine Mi-
schung aus Selbstbewusstsein und Hu-
mor, manchmal auch ein bisschen
Dreistigkeit, kam meistens gut an. So
suchte ich nach der Liebe und Aner-
kennung, die ich zu Hause nur selten
fand.“ Achenbachs Talent ist stets das
Zuhören. Der Menschenfänger spürt,
was sein Gegenüber will. Er hat sich et-
was Antibürgerliches bewahrt und bot
unkonventionelle Finanzierungen an.
So kam er an große Deals heran.
Mit Freude beschreibt der Autor sei-
nen Narzissmus, „das größenwahnsin-
nige Leben“, das er lustvoll bis zum Ab-
sturz im Jetset führte und seine Eine-
Hand-wäscht-die-andere-Mentalität.
Dazu passt, dass Achenbach mit jenem
Bentley-Oldtimer durch Düsseldorf
kurvte, der einst Künstlerlegende Jo-
seph Beuys gehört hatte.
Neu sind in dem zweiten Buch ein
paar Details in den Kapiteln zur Freund-
schaft mit den Albrechts und der von
langer Hand vorbereiteten Inhaftierung
am 11. Juni 2014. Als Berthold Albrecht
2008 bereit ist, 60 Millionen in Kunst zu
investieren, zwingt er laut Achenbach
dem Art Consultant seine Konditionen
auf: „Er bot mir fünf Prozent Händler-
provision für jedes gekaufte Bild.“ Al-
brecht habe dies mit seiner Geschäft-
spraxis begründet. „Mehr, sagte er, be-
kommen auch meine Lieferanten
nicht“, schreibt Achenbach über Al-
brecht. Und mokiert sich: „Gewinn-
spannen von zehn bis 50 Prozent sind
im Kunsthandel üblich.“ Doch Achen-
bach begehrt nicht auf gegen Albrechts
Preisdrückerei. Ein folgenschwerer Feh-
ler, der „eitle Helge war im Spiel“. Diese
schlechte Provision führt dann zu den
im Nachhinein erhöhten Rechnungen.
Dass diese Manipulation aufflog, könne
nur an einem der Achenbach-Mitarbei-
ter gelegen haben. Der Autor nennt ihn
nicht mit Namen, schildert nur, dass er
„mehr Einfluss in meinem Unterneh-
men wollte“. Den hatte ihm der Patron
allerdings verweigert. „Nur er konnte
mich verraten haben.“
In einem anderen Kapitel beklagt
der Kunstberater die schleichende
Verrohung der Gesellschaft. So hatte
er einen Kunden, Manager eines Groß-
konzerns, der „eine Provision für die
Galerie seiner Frau zur Bedingung für
den Auftrag gemacht hatte“. Das hätte
er abgelehnt. Ein anderer war ein Un-
ternehmer, der regelmäßig zu einem
Auftrag ein Bild zu einem lächerlich
niedrigen Preis für seine Privatsamm-
lung forderte. Achenbach klagt auch
die Bundesregierung an: „Eine Regie-
rung, die zwar die Menschenrechtssi-
tuation in der Türkei kritisiert und die
Freilassung eines bekannten Journalis-
ten wie Deniz Yücel fordert, der aber
der Flüchtlingsdeal mit Präsident Er-
dogan viel wichtiger ist, als auch auf
der Freilassung der anderen unschul-
digen Deutschen in der Türkei zu be-
stehen.“
Helge Achenbach schimpft noch in
weiteren Beispielen über die vielen
Heuchler. Und rechnet sich selbst da-
zu. Susanne Schreiber
Helge Achen-
bach: Selbst-
zerstörung.
Bekenntnisse
eines Kunst-
händlers.
Illustrationen
von Yahia Silo,
Riva Verlag,
München,
240 Seiten,
19,99 Euro.
Literatur
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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Ich bereue nichts,
hätte aber lieber
meine Industriefirma
noch.
Ernst-Wilhelm Händler
Schriftsteller