Thomas Dashuber / Agentur Focus
Geld
und
gute
Worte
Ernst-Wilhelm Händler
verkaufte seine geerbte
Industriefirma – und
gewann ein Leben als
renommierter Romanautor.
Sein aktuelles
Lieblingssujet:
die diskrete Welt der
Finanzbranche.
Hans-Jürgen Jakobs München
E
ine Sache ist geblieben: das Diktieren
von Texten. Früher, nach dem Be-
such eines Kunden, sprach Ernst-Wil-
helm Händler auf dem Parkplatz so-
fort eine Aktennotiz in ein Aufnah-
megerät. Die Gedanken waren frisch. Da war er
noch Familienunternehmer und Vertriebsge-
schäftsführer.
Daraus ist für ihn Alltagsroutine geworden,
auch im jetzigen Leben als Schriftsteller und Au-
tor. Gelernt ist gelernt, Schreiben ist bei ihm erst
mal: reden und aufzeichnen. „Meine Romane ent-
stehen als Diktate“, erklärt Händler heute. Lacht
und verweist – bitte keine Missverständnisse! – auf
Mini ster Johann Wolfgang von Goethe in Weimar.
Den haben Staatsgeschäfte so sehr ausgefüllt, dass
er literarische Texte ebenfalls diktiert hat, und
zwar seinen Schreibern.
Das Leben des Ernst-Wilhelm Händler, 66,
muss man sich als Abfolge lauter ungewöhnlicher
Kreuzungen vorstellen: von Betriebswirtschaft
und Belletristik, von Geld und Gedanken, von Ge-
werbe und Kunst. Wenn schon Goethe, dann
kann man ihn als „uomo universale“ charakteri-
sieren, als universell Gebildeten, der Spaß an sei-
ner Rolle hat und dies auch der Welt gern vermit-
telt. Der Vielseitige also lässt einerseits Altbauten
in Thüringen und Sachsen aufmöbeln, verfasst an-
dererseits Essays (vorzugsweise für „Merkur“),
liebt die Mathematik, sammelt Kunstwerke und
liefert schließlich mit der Beständigkeit eines Uhr-
werks seit 1995 alle paar Jahre einen Roman ab.
Das neueste Werk („Das Geld spricht“) verbin-
det die Händlerwelt der Wirtschaft mit der Händ-
lerwelt der Worte – und hat die Botschaft, hey, ihr
Deutschen habt gute Gründer, aber von „Fi -
nance“ keine wirkliche Ahnung. Weshalb ich euch
die Typen dort vorführe. Und zwar mit einem Er-
zähler namens „Geld“ – der damit leben muss,
Macht zu haben, aber unverstanden zu bleiben.
Mit dem Buch stand Händler in diesem Jahr auch
auf der Shortlist des „Deutschen Wirtschaftsbuch-
preises“.
Im Münchener Café „Luitpold“ erläutert der Li-
terat aus Schwabing an einem Samstagvormittag
seine Philosophie hinter dem Buch. Er wirkt mit
Sneakers, Jeans und Sakko ungefähr so, wie man
sich seine Protagonisten im Alltag vorstellen
muss. Die seien meistens um die 40 Jahre alt, also
eine Generation jünger als Händler, die würden
Flüge über „Atmosfair“ kompensieren und sähen
Wirtschaft nicht mehr als ein einziges Katzbu-
ckeln für die Karriere.
Schon lange habe er über „Finance“ schreiben
wollen, referiert Händler am Kaffeehaus-Tisch.
Dann aber kam die Finanzkrise 2008, und aktuell
wolle er mit seinen Romanen nicht sein. Jetzt sei
die Lage viel interessanter, „mit der völligen Neu-
ordnung ökonomischer Machtverhältnisse“, spru-
delt es aus ihm heraus. Und zählt auf, was auch
Zeitungsleser täglich stutzig macht: das Geld
nichts mehr wert. Kein Ausweg aus der Niedrig-
zinsfalle. Verschuldete Länder fast pleite. Private
tief in der Kreide. Ein Stakkato des Niedergangs
und eine unmerkliche Neuvermessung der Welt.
„Mein Buch ist auch eine Vorahnung davon,
dass es viele neue Formen von Geld geben wird.“
Das ist ein Schlüsselsatz in dem halb beschreiben-
den, halb prognostizierenden Buch. Zum Beispiel
Kunst: Sie sei zur „Parallelwährung“ geworden,
referiert Händler, die Werke bekannter Künstler
seien inzwischen – als „Blue Chips“ – das neue
Geld. Und große Galerien handelten so wie Ban-
ken, die das Angebot genau rationierten. Hier re-
det einer, der schon früh in seinen Tagen als
Handlungsreisender in jedes Museum rannte und
Kunst kaufte. Der heute in seiner Kollektion auch
bekannte Namen hat und rhetorisch fragt, warum
ein Bild von David Hockney nicht 90 Millionen
Dollar kosten soll, wenn sich ein russischer Rei-
cher eine Jacht für eine Viertelmilliarde leistet.
Die Welt, die Ernst-Wilhelm Händler ausbreitet,
ist „Apocalypse Now“ als Normalzustand. So
atemlos wie ausweglos. Das ist das Faszinierende
seines aktuellen Romans, der einen Gründerun-
ternehmer 500 Millionen Dollar bei einem prinzi-
pienlosen Banker anlegen lässt, der ihm einst le-
benswichtige Kredite vorenthalten hatte. Zwecks
Anlage der Summe empfehlen sich drei Hedge-
fonds-Manager (wer sonst in diesen Tagen!): eine
Opportunistin („Banana Clip“), ein Mathematik-
Genie („schwerer Mann“), ein Flashtrader („Nano-
Mann“). Zwischen den Spielhandlungen entfaltet
sich eine Kybernetik der Finanzmaschinenwelt,
mit kleinen Essays und Merksätzen: „Das moder-
ne Schicksal heißt Blase.“ Hier gehen Thrillerpas-
sagen ansatzlos in Systemtheorie über. Das ist so
amüsant wie anstrengend.
Es geht hintergründig darum, wie Starinvesto-
ren ticken, die ja nicht einfach nur „gierig“ sind,
wie das bei Feuilletonisten so anklingt. Händler
findet, man müsse schon Ökonomie gelernt ha-
ben, um darüber zu reden. Und man sollte sich
von all den Metaphern fernhalten, von Geld als
„Blutkreislauf “, von der „unsichtbaren Hand“,
vom „Gott-Spielen“ der Investmentbanker. „Diese
Leute sind nicht deswegen Master of the Universe,
weil sie so viel Geld haben“, sagt er, „sondern weil
sie mit ihren Strategien und Kommentaren die
Welt unmittelbar beeinflussen.“ Jeder verfolge die
Theorien und die Methoden, „die zu seiner Seele
passen, da sind natürlich auch dunkle Seiten da-
bei“. Es geht ihm um Psyche, nicht um Volkshoch-
schule: „Ich würde keine Romane schreiben,
wenn das alles Margarine-Reklame wäre.“
Die Paradoxie, die Händler umgibt, wäre un-
vollkommen, wenn sich der Sinnenfreudige nicht
schon immer für Unsinnliches begeistert hätte:
Volkswirtschaft und Mathematik. Eines der
schönsten Bücher, die er kenne, sei „Theory of
Value“ von Gérard Debreu, ein Werk mit For-
meln. Händler fühlt sich erkennbar wohl, einmal
über Wirtschaft länger reden zu können, er hat da
feste Theorien. Etwa wie misslich es sei, dass der
von Militärs gegründete Thinktank Brookings In-
stitution die Lehre vom allgemeinen Gleichge-
wicht in der Volkswirtschaft durchgesetzt und der
Ökonom Herbert Simon verloren habe – der im
Buch „Bounded Reality“ früh die Verhaltenslehre
integrierte.
Philosophie hat Händler in München auch stu-
diert, schloss aber als Diplom-Kaufmann ab, ob-
wohl er nie in einer Übung für Betriebswirt-
schaftslehre („stinklangweilig“) war. Der Ab-
schluss machte sich aber nun mal besser als Erbe
einer Firma für Schaltschränke und Installations-
anlagen, die in der Spitze 250 Leute beschäftigte
und 25 Millionen Euro umsetzte. 2004, nach ei-
ner zu groß geratenen Investition in seinem Lieb-
lingsland Italien, verkaufte er an Siemens. „Ich be-
reue nichts, hätte aber lieber meine Industriefir-
ma noch“, bilanziert Händler.
Nun verwertet er mit einigen Unternehmen, an-
gesiedelt in seinem Geburtsort Regensburg, eben
Immobilen. Die Autorentätigkeit ist aber immer
bedeutender geworden. Dem Erscheinen des
Erstlings „Stadt mit Häusern“ kam noch die Pleite
des Verlags (Greno) in die Quere, woraufhin er bei
Joachim Unseld und der Frankfurter Verlagsan-
stalt landete. Man hatte einige Erfolge, vor allem
mit „Wenn wir sterben“ (Auflage: 50 000). Das
war 2002. Doch seit einigen Jahren ist Händler bei
S. Fischer. Er werde ja nicht jünger und brauche
einen größeren Verlag mit mehr Marketingkraft.
Hier wagte Händler 2014 einen „Versuch über den
Roman als Erkenntnisinstrument“ und 2016 den
Gesellschaftsroman „München“.
Kein Wunder, dass Händler den Autor Adalbert
Stifter lobt: Der lotete auch permanent Grenzen
aus. Und, überhaupt: Den österreichischen
Schriftstellern fühle er sich nahe. Alle seine Roma-
ne betrachtet Händler als durchgehendes Projekt,
für das er einen „Masterplan“ habe. Als Autor
bleibt er so irgendwie Unternehmer, der mit je-
dem Buch gezielt eine andere Sprache, ein ande-
res Werkzeug benutzt, „nichts ist in Stein gemei-
ßelt“. Im neuen Werk sei es Stilmittel, „keine an-
spruchsvolle Konversation zu beschreiben“, sagt
Händler: „Wenn Sie in einer Bank sind, hören Sie
keinen Satz, der nicht schon Millionen Male gefal-
len ist.“ Das Geld spricht manchmal wie Carsten
Maschmeyer.
Tief taucht Ernst-Wilhelm Händler, der Mittel-
ständler von einst, diesmal ins Finanzgewerbe
ein, das ihn so befremdet wie fasziniert. Das ihn
eine TV-Serie wie „Bad Banks“ schauen lässt, ob-
wohl die kriminellen Sachen da unrealistisch sei-
en. Sein Befund: „In Deutschland haben wir gar
kein Finance. Volksbanken und Sparkassen ha-
ben damit nichts zu tun. Herr Ackermann hat die
Deutsche Bank mit der Idee ruiniert, die Leute et-
was machen zu lassen, was sie nicht können. Die
guten Leute im Investmentbanking waren bald
weg. Das ist wie in Italien mit den Michelin-Res-
taurants: Sobald die einen Stern bekommen, ver-
kauft der Besitzer und macht 300 Meter weiter
einen neuen Laden auf.“ Stark seien die Deut-
schen nur in der „Variantenfertigung“, so Händ-
ler, also im speziellen Konfigurieren von Autos,
Anlagen, Maschinen. „Da sind wir Weltmeister.“
Amerika dagegen lebe vom gnadenlosen Wettbe-
werb in Verbindung mit der akzeptierten Un-
gleichheit.
Nach zwei Stunden Café Luitpold überrascht
Händler, der Philosophenunternehmerroman-
cier, am Schluss noch mit der News, dass er bei
allem Interesse für Quants, Hedgefonds und der-
gleichen nie einen Cent in Finanzanlagen ge-
steckt habe: „Als Romanautor bin ich am Sinnli-
chen interessiert. Vielleicht habe ich deshalb nie
in Fonds oder Aktien investiert. Mein Geld steckt
in Immobilien und in Kunst.“ Man müsse die Leu-
te an die Erkenntnis heranführen, dass Geld nicht
alles sei: „Sie sollen sich auch mit anderem be-
schäftigen.“
Ernst-Wilhelm
Händler:
Das Geld spricht.
S. Fischer,
München 2019,
400 Seiten,
22 Euro.
Literatur
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
62