Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
Kunstmarkt
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
66

Christian Herchenröder Berlin

K


unst von Asiaten, die in ihrem Heimat-
land, in Europa oder in Amerika leben,
hat zurzeit einen zufälligen Doppelauf-
tritt in Berlin. Das Times Art Center, eine
Dependance des Times Museums in Gu-
andong, ist aus beengten Räumen der Potsdamer Stra-
ße in den Brandlhuber-Bau in die Brunnenstraße gezo-
gen. Hier residierte bis zum Frühjahr die Galerie KOW.
Jetzt kann das Kunstzentrum auf drei Geschossen
Wechselausstellungen chinesischer Gegenwartskunst
zeigen. In ihrer dreiteiligen Debütschau hatte es 2018
einen Einblick in die Videokunst des chinesischen Perl-
fluss-Delta geboten. Auch jetzt ist wieder Videokunst
zu sehen, diesmal aber gemischt mit den Medien Male-
rei, Skulptur und Installation.
Die Kuratorinnen Nikita Yingqiang Cai vom Times
Museum und Xiaoyu Weng vom New Yorker Guggen-
heim Museum haben eine Schau mit Werken von 18
Künstlerinnen und einem Künstler zusammengestellt,
wobei mehrere der Ausstellenden solche Geschlechter-
zuschreibungen ablehnen. Ein sensibles Panorama fe-
ministischer Positionen. Die Arbeiten zeigen ein Frau-
enbild, das Vergangenheit und Gegenwart verbindet
und überkommene Gendernormen überwindet.
Ein Ausgangspunkt ist die Kritik der in Berkeley le-
benden Vietnamesin Trinh T. Minh-ha am dualisti-
schen System des Westens, das die Frau in eine ethni-
sche und eine weibliche Identität spalte. In ihrem Film
„Night Passage“ (2004) gewinnt eine in einem Nacht-
zug reisende junge Frau ihre Identität in einer Zwi-
schenwelt von Traum und Realität, die sich in rhythmi-
schen Sequenzen des Fensterausblicks verkörpert.
Einige Werke der Ausstellung haben einen autobio-
grafischen Hintergrund. Weil es um seine kranke Mut-
ter geht, haben die Kuratorinnen Arin Rung jang als
einzigen Mann zugelassen. Ergreifend konfrontiert der
Thailänder den Betrachter des Zwei-Kanal-Videos mit
ihrem traurigen Leben als Witwe eines 1977 von Ham-
burger Neonazis in den Tod geprügelten Ehemanns.
Den Körper als „politisches Universum“ darstellen
will die in Berlin und Seoul lebende Multimedia-
Künstlerin Sylbee Kim. Ihr Video „The Red Liquid
and Narcissus“ zeigt ein intimes verinnerlichtes Frau-
enbild, das die narzisstische Pose in Menstruationsrot
taucht und mit Innenaufnahmen des Körpers verbin-
det, die physische Kontraste setzen. Blutrot gefärbte
Schwämme, die sich am Boden häufen, verstärken zu-
gleich den Eindruck einer sinnlichen Nabelschau. Po-
litisch ist die Arbeit, weil sie die Frau als Leidende in
den Blick nimmt und gleichzeitig ein starkes Bewusst-

sein für das Frausein herauskehrt. Sanfte Atembewe-
gung hebt die Bettdecke einer aus Silberglas geformten
Schläferin in einer lebensgroßen Skulptur der in Genf
lebenden Mai-Thu Perret. Der gläserne Körper ruht
auf einem simplen Bett, das nach einem Modell des ita-
lienischen Designers Enzo Mari gebaut ist: weibliche
Fragilität auf robustem Sockel. Totale selbstinszenierte
Körperlichkeit zeigen die C-Prints der Kolumbianerin
Sara Modiano, die als androgyne, silberfarbige Kunst-
figur mit dem Urwald verschmilzt.
Die Entpersönlichung des Menschen während der ja-
panischen Besatzung Chinas illustriert eine Bilderfolge
von Thao Nguyen Phan. Sie zeigt in Übermalungen
von Röntgenaufnahmen Szenen nach unten blickender
Frauen. Ausgangspunkt ist das Bild einer Frau, die sich
vor japanischen Soldaten auf der Straße verbeugt. An-
dere Bildergeschichten in Comic-Manier zeigen die
Lichtdrucke der New Yorkerin Chitra Ganesh, die er-
zählerische Grundmuster indischer Kinderbücher in
Einzelbilder religiöser, sexueller, politischer Auswüch-
se verwandelt und sie mit subversiven Texten würzt.
Gegenüber dieser nachhaltigen Präsentation hat es
die Ausstellung „Micro Era. Medienkunst aus China“
im Berliner Kulturforum schwer. Sie ist ein Gemein-
schaftsprojekt der Nationalgalerie und der Gesellschaft
für Deutsch-Chinesischen Kulturellen Austausch. Eine
Schwachstelle sind aufwendige 60-Minuten-Videos im
Erdgeschoss. Langatmig ist das in diesem Jahr entstan-
dene Video des in Shenzhen lebenden Fang Di, das
den politischen Aufstieg eines Ministers in der südpa-
zifischen Inselnation Papua-Neuguinea zeigt. Ein vier-
einhalbminütiger Kontrastfilm des Künstlers führt Tän-
ze der Ureinwohner von Bougainville vor. Das Ganze
wirkt ausgesprochen lakonisch.
Auch die Videoinstallationen der Medienkünstlerin
Cao Fei aus Guangzhou sind nicht gerade spannend. In
einem Beitrag verfolgt sie die Wege der Waren einer Lie-
ferfirma vom Fließband zum Besteller, wobei sie die auf
Entmenschlichung zielenden Arbeitsvorgänge („Selling
is all that counts“) sichtbar macht. In einem zweiten Vi-
deo werden Einblicke in ein nahezu menschenleeres
Sortiercenter geboten, in dem ein Roboter die Arbeit
zweier Figuren kontrolliert, die in diesem Ambiente
zombiehaft reagieren.
Ohne nachhaltige Wirkung bleiben die trivialen Vi-
deos von Lu Yang. Sie folgen lediglich einer visuellen
Überwältigungsstrategie. Um wie viel substanzreicher
wirkt da der chinesische Videoveteran Zhang Peili in
seinem Purismus. Von ihm stammen die besten Arbei-
ten der „Micro Ära“-Schau. In ihrer Intensität und ih-
rem politischen Anspruch erinnern sie an den großen
Amerikaner Bruce Nauman.

Ausstellungen

Der Körper ist politisch


In Berlin lässt sich Videokunst aus


Asien in zwei Ausstellungen


vergleichen. Dabei schneidet das


Times Art Center mit seinen


feministischen Positionen besser


ab als die langatmigen Filme in


der Nationalgalerie.


Sylbee Kim:
Filmstill aus
„The Red
Liquid and
Narcissus“.

Times Art Center Berlin / Sylbee Kim

Sylbee Kim: Installation mit blutrot
gefärbten Schwämmen vor dem Video
„The Red Liquid and Narcissus“.

Die Ausstellung im Times Art Center
bis zum 4.1. 2020.
„Micro Era“ im Kulturforum
bis zum 26.1. 2020.

Times Art Center Berlin / Sylbee Kim / gr.berlin
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