Mathias Peer Bangkok
E
igentlich hatte Nandan Nilekani mit In-
fosys bereits abgeschlossen. Als sich
der Mann, der von den Medien als „In-
diens Bill Gates“ gefeiert wurde, vor ei-
nem Jahrzehnt von der Spitze des IT-
Giganten zurückzog, machte er klar, dass es ein Ab-
schied für immer sein sollte. Einhalten konnte er
diesen Plan jedoch nicht: Nach Skandalen rund um
die damalige Unternehmensführung kehrte der
Mitgründer 2017 zurück zu dem global tätigen Out-
sourcing-Konzern. Er versprach, so lange als Ver-
waltungsratschef zu bleiben, bis in dem Unterneh-
men wieder Ordnung herrsche. Neue schwere Vor-
würfe gegen die Geschäftsführung zeigen nun, dass
diese Aufgabe offenbar längst nicht abgeschlossen
ist.
Seit Anfang der Woche erschüttern Anschuldi-
gungen von anonymen Whistleblowern Infosys. Sie
beklagen in einem öffentlich gewordenen Schrei-
ben unethische Geschäftspraktiken und Unregel-
mäßigkeiten bei der Buchführung. Dem Unterneh-
men, das mit seinem Umsatz von zuletzt mehr als
zwölf Milliarden Dollar lange zu den Aushänge-
schildern der indischen Wirtschaft zählte, droht ei-
ne neue Führungskrise. Und Nilekani muss im Zu-
ge der Affäre um seine eigene Reputation fürchten.
Am Donnerstag teilte Infosys mit, dass die US-Wert-
papieraufsicht SEC Untersuchungen wegen des
Falls eingeleitet hat. Der Börsenkurs des Unterneh-
mens, an dem Nilekani gemeinsam mit seiner Fa-
milie noch etwas mehr als zwei Prozent hält, sack-
te daraufhin weiter ab. Er liegt nun mehr als 16 Pro-
zent unter dem Wert von vergangener Woche.
Kritiker werfen Nilekani vor, Investoren zu spät
über die Vorwürfe informiert zu haben. Harit
Shah, Analyst bei Reliance Securities, kommentier-
te, die Angelegenheit sehe für das Unternehmen
sehr hässlich aus. „Es ist besonders enttäuschend,
weil Nilekani gerade deshalb ins Unternehmen zu-
rückgeholt wurde, um Probleme mit der Führungs-
kultur zu beseitigen.“ Der 64-Jährige, der Infosys
vor fast vier Jahrzehnten zusammen mit der indi-
schen IT-Ikone N.R. Narayana Murthy gegründet
hatte, versprach, die Vorwürfe ernst zu nehmen:
„Wir werden sicherstellen, dass die Anschuldigun-
gen in vollem Umfang aufgeklärt werden“, sagte er.
Er kündigte zudem an, dass die Untersuchung un-
abhängig von dem aktuellen Vorstandschef Salil Pa-
rekh geführt werde.
Parekh, der früher zur Führungsmannschaft des
Beratungsunternehmens Capgemini gehörte, leitet
das operative Geschäft von Infosys seit Anfang
- Er steht nun im Zentrum der Vorwürfe. Eine
Gruppe, die sich „Ethische Angestellte“ nennt, be-
hauptet, Parekh habe Mitarbeiter angewiesen, In-
vestoren und Analysten unvollständige Informatio-
nen zu geben. Probleme sollen bei Präsentationen
für den Verwaltungsrat verschwiegen und Gewinne
künstlich aufgebläht worden sein. Dem Manager
wird zudem vorgeworfen, das Unternehmen für
private Reisen bezahlen zu lassen und sich despek-
tierlich über Verwaltungsratsmitglieder geäußert
zu haben. Davon soll es Tonaufnahmen geben. Öf-
fentlich vorgelegt wurden jedoch keine Beweise.
Dass die anonymen und unbelegten Anschuldi-
gungen dennoch auf so großes Interesse stoßen,
dürfte mit Erfahrungen in der Vergangenheit zu
tun haben: Zweifel mit Blick auf fragwürdige inter-
ne Vorgänge beschäftigen Infosys bereits seit Jah-
ren. So eskalierte 2017 ein Streit zwischen Mitgrün-
der Murthy und dem früheren Management, der
zum Abtritt des damaligen Vorstandschefs Vishal
Sikka führte. Dabei ging es unter anderem um die
200 Millionen Dollar teure Übernahme einer israe-
lischen Softwarefirma. Es waren ebenfalls Whistle-
blower, die seinerzeit den Vorwurf machten, dass
ein überhöhter Preis für das Unternehmen gezahlt
wurde und dass sich Infosys-Manager mit dem Deal
bereicherten.
Murthy war mit der Aufklärung der Vorwürfe
nicht zufrieden und beklagte auch eine ungewöhn-
lich hohe Abfindung für einen früheren Finanz-
chef. Er äußerte öffentlich den Verdacht, dass es
sich um Schweigegeld handeln könnte. Die andau-
ernde Kritik brachte Sikka, den ersten Infosys-CEO,
der nicht aus dem Kreis der Gründer stammte,
zum Rücktritt. Daraufhin warf der Verwaltungsrat
Murthy vor, dem Unternehmen mit seinen
200 000 Mitarbeitern zu schaden. Der Streit ver-
nichtete vier Millarden Dollar des Börsenwerts.
Murthys langjähriger Vertrauter Nilekani wurde an
die Spitze des Verwaltungsrats berufen, um den
Konflikt zu schlichten und die Krise zu beenden.
Gründung im Vorzimmer
Nilekani, der zwischen 2002 und 2007 selbst Vor-
standschef von Infosys war und damals den globa-
len Expansionskurs des Unternehmens vorantrieb,
arbeitete mit Murthy seit den 1970er-Jahren zusam-
men. Direkt nach seinem Abschuss am Mumbaier
Institute of Technology bekam der damals 23-Jähri-
ge ein Vorstellungsgespräch in Murthys damaligem
Unternehmen Patni Computer Systems. Anfang
der 1980er-Jahre gründeten die beiden zusammen
mit fünf weiteren Softwareentwicklern Infosys.
Die 10 000 Rupien, umgerechnet rund 125 Euro,
die zur Firmengründung nötig waren, lieh sich
Murthy von seiner Frau. Das IT-Unternehmen war
seiner Zeit voraus: Einen eigenen Computer konn-
ten sich die Gründer erst im zweiten Geschäftsjahr
leisten. „Wir hatten wenig Geld und große Hoffnun-
gen“, erinnerte sich Murthy, der für die Anfangs-
jahre das Vorzimmer seines Privathauses in Banga-
lore als Büro zur Verfügung stellte.
Weil Nilekani und seine Frau, die aus Indiens
Westen stammten, in der Metropole keine eigene
Unterkunft hatten, zogen sie bei den Murthys ein.
Während die Gründer Computerprogramme für
amerikanische Unternehmenskunden schrieben,
kümmerte sich Nilekanis Frau um Murthys Sohn.
Der Fokus auf den US-Markt brachte Infosys 1999
als erstes indisches Unternehmen an die amerika-
nische Technologiebörse Nasdaq.
Kurz nach der Jahrtausendwende zog sich Mur-
thy als Vorstandschef zurück und übergab nach
zwei Jahrzehnten an der Unternehmensspitze an
Nilekani, der die Geschäfte in Europa und China
ausbaute und Umsatz und Gewinn innerhalb von
fünf Jahren verfünffachte. Trotz der unternehmeri-
schen Erfolge verließ Nilekani die Privatwirtschaft
und wechselte in die indische Verwaltung. Unter
dem damaligen Premierminister Manmohan Singh
begann er mit der Entwicklung eines biometri-
schen Identifikationssystems für den mehr als eine
Milliarde Einwohner großen Subkontinent.
Erst die Turbulenzen bei Infosys brachten Nile-
kani wieder in die Geschäftswelt. Vergangenes Jahr
zeigte er sich öffentlich erfreut darüber, dass in das
Unternehmen wieder Ruhe eingekehrt sei: „Infosys
ist wieder langweilig, und das ist gut so“, verkünde-
te er. Nun steht fest: Lange hat die Langeweile
nicht gehalten.
Nandan Nilekani
Lebenswerk
in Gefahr
Der indische IT-Konzern Infosys wird erneut von
schweren Vorwürfen erschüttert. Die Aufklärung
liegt nun in der Hand des Gründers.
Nandan Nilekani: Der
Infosys-Mitgründer wollte
sich zurückziehen – daraus
wird erst einmal nichts.
Bloomberg
Wir werden
sicherstellen,
dass die An -
schuldigungen
in vollem
Umfang
aufgeklärt
werden.
Nandan Nilekani
Co-Gründer Infosys
Familienunternehmen
des Tages
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WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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