Die Welt Kompakt am Sonntag - 20.10.2019

(Rick Simeone) #1

42 KULTUR WE LT A M S O N N TAG N R. 4 2 2 0. O K TO B E R 2 019


arolina Eyck sitzt in einem Berliner Kel-
ler, den ihr Vater vor vielen Jahren in ein
Tonstudio verwandelt hat. Alles um sie
herum glimmert, glüht, blinkt: ein Misch-
pult, Fußpedale, ein Notebook, selbst ihr
Fingerring an der linken Hand gibt kleine Signale über
ein Display ab. Ein Ruhepol ist dagegen die Künstlerin.
Sie atmet ein, aus, immer sanfter, ihr Oberkörper ist
jetzt ganz ruhig. Vor ihr stehen ein Mikrofon und eine
Art Holzkasten, an dem, von ihr aus gesehen, eine ge-
bogene Antenne an der linken Seite
und eine vertikale Antenne an der
rechten Seite befestigt sind. Der
Kasten ist ein Theremin, eines der
jüngeren Musikinstrumente dieser
Welt. Es wurde erst vor 100 Jahren
von Lew Sergejewitsch Termen er-
funden, einem Russen, der später in
die USA auswanderte und sich Leon
Theremin nannte. Nach seiner
Rückkehr wurde er in ein Gulag
verbannt und geriet für Jahrzehnte
in Vergessenheit. Das nach ihm be-
nannte Instrument erfand er früher
in seinem Leben, er war damals ge-
rade mal 24 Jahren alt.

VON JOHANNES BOIE

Carolina Eyck beginnt zu sum-
men, sie schließt die Augen. Ihre
Hände schweben über der linken
und hinter der rechten Antenne des
Theremins. Man berührt das In-
strument beim Spielen nicht. Wenn
man so will, bespielt Eyck den
Raum zwischen ihrem Körper und
dem Instrument. Indem sie die lin-
ke Hand nach oben und unten be-
wegt, verändert sie die Lautstärke.
Indem sie die Finger der rechten
Hand bewegt, entlockt sie dem
Theremin unterschiedliche Töne.
Der Klang lässt sich mithilfe der üb-
rigen Technik im Raum anpassen.
Jetzt gerade klingt das Instrument
sphärisch, elektrisch. Das passt zu
der Art, wie es gespielt wird. Sanft,
im leeren Raum, eine Symbiose der
Künstlerin mit etwas, das anders
als eine Geige, ein Klavier oder ein
Synthesizer für sie spürbar, aber
nicht berührbar ist, wie ein Gedan-
ke oder ein Gefühl.
Mit 31 Jahren ist Eyck eine Vir-
tuosin auf dem Theremin. Es gibt
nicht viele Künstler, die das von
sich sagen können. Der Erfinder
selbst ist zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts mit
Clara Rockmore getourt, einer jungen Frau, die aus Li-
tauen in die USA emigriert war und dort maßgeblich
beeinflusste, wie das Instrument gespielt wird. Sie
starb 1998. Dann ist da noch Lydia Kawina, eine Rus-
sin, von der man nicht genau weiß, ob sie nun mit The-
remin verwandt ist oder nicht, die einen sagen so, die
anderen so. Sicher ist, dass Eycks Familie Kawina auf
einem Konzert ansprach und dass die Russin Eyck in
deren Kindheit unterrichtete.
Ihre Musik, mit der sie alleine in diesem Herbst Hal-
len in unter anderem New York, Los Angeles, Boston,
Chicago, Albany füllt, sonst aber auch in Asien, Europa
und Lateinamerika, ist sanft, oft melancholisch,
manchmal düster, fast immer elegisch. Das entspricht
dem manchmal klagenden, entrückten Klang ihres In-
struments. Wer Eyck zuhört, mag auch an die von Zau-
ber, Sagen und Märchen durchdrungene Kultur der

Sorben denken, der sie entstammt. Auf ihren Reisen
begleitet sie ihr Bruder, der als eine Art Manager ihr
Leben organisiert.

ERSTE KOMPOSITIONEN MIT SIEBEN JAHREN
Eyck komponiert ihre Musik selbst, ihr erstes Stück
drehte sich um einen Hasen, sie schrieb es mit sieben
Jahren. Ihr Glück ist das digitale Zeitalter, aus zwei
Gründen. Durch die globale Verbreitung ihrer Musik
im Netz findet Eyck rund um die Welt die Fans, die
sich für das Theremin begeistern.
Alleine auf YouTube hat sie knapp
100.000 Abonnenten. Außerdem
ist das digitale Blinken und Flim-
mern um sie herum für Eyck eine
Verheißung. Mithilfe der Technik
kann sie seit Kurzem in einem ent-
sprechend ausgestatteten Raum
Musik durch den Raum schicken,
gefühlt auch durch die Körper der
Hörer. Sie mischt live auf der Büh-
ne, wie ein DJ verändert und ver-
wendet sie die Klänge, die sie gera-
de erst geschaffen hat, in Schlei-
fen, bis ein Klangteppich entsteht.
Sie improvisiert gerne.
Eyck ist klassisch ausgebildet.
Sie lernte Klavier und Geige, bis die
Eltern in ihrer Kindheit ein There-
min besorgten. Eycks Vater spielte
lange in einer Band, den Tonstudio-
keller hat mittlerweile die Tochter
übernommen. Das Theremin war
für Eyck ein Segen. Schnell ent-
deckte sie, dass sich auf Konzerten
das Interesse des Publikums an ih-
rem Instrument die Waage hielt
mit der Unwissenheit. Ganz an-
ders, als wenn sie mit Klavier oder
Violine vor Zuhörern spielte. Beim
Geigenkonzert war sie aufgeregt,
beim Klavierkonzert zitterten ihr
die Knie. Beim Theremin hingegen
dachte sie sich: „Ich kann da jetzt
hingehen, die Leute wissen nicht,
was ich da mache.“ Etwas selbst zu
entdecken, sich zu eigen machen,
das Instrument für sich definieren
zu können, „das hat mich mental
unterstützt, das hat mir Freiheit ge-
geben“. Sie besuchte ein Musik-
gymnasium und studierte an der
Königlichen Musikhochschule
Stockholm.
Längst ist Eyck selbst zur Lehre-
rin geworden, für einige wenige
Glückliche, denen sie Stunden gibt,
auch aus der Ferne über Skype oder
in Workshops rund um die Welt. Und für Tausende,
die das Buch übers Thereminspielen lesen, das Eyck
mit 17 Jahren geschrieben hat. Weil das Instrument so
jung ist, gab es keine klare Systematik. Während jeder
Geigenschüler in der dritten, vierten Unterrichtsstun-
de lernt, dass es nach der ersten Lage für die linke
Hand noch die zweite, dritte, vierte Lage gibt, war das
Theremin für Jahrzehnte für seine Spieler vor allem
ein Experiment.
Damals sei es so gewesen, dass man beim Spielen
den Ton ungefähr anpeilte und dann, wenn man ihn
hörte, blitzschnell nachjustierte, erinnert sich Eyck.
„Ich wollte aber wissen, dass ich einen Ton sauber
spielen werde, bevor ich ihn höre.“ Gerade schreibt
Eyck ein zweites Buch, es wird um Körperhaltung und
die richtige Atmung gehen. Man wird das Theremin-
spielen also nach Anleitung lernen können – wie alle
anderen Instrumente auch.

SSSphärische Klängephärische Klänge
Carolina Eyck zaubert durch Handbewegungen
Musik aus dem Theremin

CHRISTOPH BUSSE/ VISUM

Bitte nicht berühren!


C


Das Theremin wird per


Antenne nur durch Gesten


gespielt. Carolina Eyck


brilliert auf diesem


speziellen Instrument

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