Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

100


Sport

220
bis
222
Mrd. $

Ausufernd
Kosten der Fußball-
weltmeisterschaften;
Schätzungen
Quelle: Internationaler
Gewerkschaftsbund

Brasilien
2014

15 Mrd. $

Russland
2018

12 Mrd. $

Katar
2022

sowie seine Reaktionen darauf würden
den Arabern zunehmend peinlich. Khe -
laifis Aussagen beim Verhör eines franzö-
sischen Untersuchungsrichters könnten
sich, einem Dokument zufolge, das dem
SPIEGEL, dem »Guardian« und dem
französischen Portal Mediapart vorliegt,
als Falschaussagen herausstellen. Der 45-
Jährige erklärte das Beweis dokument für
gefälscht und kündigte rechtliche Schritte
an – bis heute folgenlos.
Richtig unangenehm könnte es für
Katar werden, wenn sich Ermittler die
Ereignisse in den Jahren 2013 und 2014
näher ansehen. In dieser Zeit arbeitet
der US-Jurist Michael Garcia an einer
Untersuchung zu den Korruptionsvor-
würfen um die WM-Vergabe. Beobachter
erhoffen sich davon Beweise für Stimmen-
kauf und eine Neuausschreibung der
Weltmeisterschaft. Zumal allen Beteilig-
ten klar ist, dass den Spielern und Fans
kein Sommerturnier bei 50 Grad Celsius
zuzumuten ist.
Noch steht die Entscheidung, eine WM
erstmals auf den Winter zu verlegen, aus.
Die britische Premier League besteht auf
ihrem wichtigsten Spieltag direkt nach
Weihnachten. Und die Geldeintreiber der
Fifa macht die Aussicht auf Konkurrenz-
ereignisse wie Wintersport und American
Football nervös.
Am 3. Oktober 2013 tritt das Fifa-Fi-
nanzkomitee zusammen. Das Protokoll
findet sich im Datensatz der Enthüllungs-
plattform Football Leaks. Ein kameruni-
scher Funktionär will demnach wissen, ob
Katar bereit sei, mögliche Einnahmever-
luste durch die Verschiebung in den Win-
ter auszugleichen. Fifa-Generalsekretär
Jérôme Valcke antwortet, die Fifa könne
zusätzliche »Vorteile« von katarischen Un-
ternehmen erhalten. Der Franzose beru-
higt also seine Kollegen: Es werde mehr
Geld aus Katar fließen. Es steht offenbar
nur noch nicht fest, auf welchem Weg.
Einen Tag vor der Komiteesitzung hat
Valcke nach Erkenntnissen der Schweizer
Bundesanwaltschaft eine private Mail ge-
schrieben, in der er ankündigt, ein Haus
auf Sardinien zu kaufen. Einen Kredit
brauche er für die 438 Quadratmeter
große Villa nicht, schreibt Valcke: »Ich
schließe den Erwerb eines Hauses in Porto
Cervo am 8. November mit eigener
Finanzierung ohne Kredit ab, durch einen
außergewöhnlichen Mittelzufluss, der
die Anschaffungskosten deckt, nämlich
5 Mio. €.«
Woher stammen diese »außergewöhn -
lichen« Mittel? Valcke erhält als General-
sekretär von 2007 bis 2016 ein Millionen-
gehalt und lässt sich üppige Sonderprämi-
en auszahlen. Doch den Preis für die Villa
kann oder will Valcke offenbar nicht selbst
zahlen. Den Schweizer Ermittlern liegt ein
Dokument vor, das Valcke am 30. Oktober

E


ine Runde aus 22 betagten Herren
entscheidet an einem Donnerstag im
Dezember des Jahres 2010 über die
Zukunft. Sie tritt in Zürich zusammen und
wählt Katar zum Gastgeber der Fußball-
weltmeisterschaft 2022, ihre Entscheidung
sendet politische, wirtschaftliche und
sportliche Schockwellen aus. Außerhalb
von Katar gibt es kaum jemanden, der eine
der wichtigsten Sportveranstaltungen der
Welt in der Wüste sehen will.
Seit Jahren ermitteln Strafbehörden und
angeblich unabhängige Fifa-Kammern,
wie es zu der WM-Vergabe kommen konn-
te. Gegen mindestens zehn Entscheider
gibt es mittlerweile Korrup tionsvorwürfe,
einige sind vom Weltverband Fifa suspen-
diert, andere tot. Zugleich ziehen Staats-
anwaltschaften in Frankreich und der
Schweiz immer engere Kreise um Nasser
Al-Khelaifi, den einflussreichsten katari-
schen Sportfunktionär. Neuen Erkenntnis-
sen des SPIEGELund der Partnerredaktio-
nen des Recherchenetzwerks EIC zufolge
spielt Khelaifi, der Präsident von Paris
Saint-Germain (PSG), eine entscheidende
Rolle bei dem Geschachere.
Besonders nach der misslungenen
Leichtathletikweltmeisterschaft vor zwei
Wochen steigt die Nervosität im Emirat.
Für die katarische Herrscherfamilie wird
Khelaifi immer mehr zu einer Last. Insbe-
sondere, wenn sich der jüngste Verdacht
erhärtet: dass sich Katar womöglich nicht
nur die Fußball-WM gekauft hat – sondern
obendrein noch Geld bezahlte, um sie zu
behalten.
Nur noch drei Jahre und ein Monat sind
es bis zum Anpfiff. Die Fußball-WM soll
den Höhepunkt einer durchchoreografier-
ten Entwicklung markieren. Katar, seit
über 150 Jahren von derselben Familie be-
herrscht, liegt auf den drittgrößten Erdgas-
reserven der Erde, die Katarer haben eines
der höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Doch
die fossilen Rohstoffe sind endlich. Wenn
die Quellen versiegen, muss die Wirtschaft
der Golfstaaten auf eigenen Beinen stehen.
Den Plan dazu hat der Emir schon ent-
wickelt: Bis 2030 soll Katar zur führenden
Sportnation werden.
Entworfen wurde die Fantasie einer
Sportweltmacht am Reißbrett. Innerhalb
weniger Jahre trug das Emirat Weltmeis-
terschaften im Schwimmen und im Hand-
ball aus, dazu Tennisturniere, Motorrad-
WM-Rennen und Radrundfahrten. Bayern


München ist dieses Jahr zum neunten Mal
hintereinander ins katarische Trainings -
lager gereist.
Die Mittel scheinen unendlich. Doch
der erhoffte Imagegewinn für den Gasstaat
blieb bislang aus. Bei der Leichtathletik-
WM wollte die deutsche Bronzemedaillen-
gewinnerin im Kugelstoßen, Christina
Schwanitz, »nur noch nach Hause«. Dass
Katar die WM ausrichten durfte, könne
nur daran gelegen haben, dass »die Rei-
bung zwischen Daumen und Zeigefinger«
gestimmt habe.
Eine Schlüsselrolle in der Strategie Ka-
tars spielte lange Zeit der Funktionär Mo-
hamed Bin Hammam. »Wer sich mir in
den Weg stellt, dem schlage ich Kopf, Hän-
de und Beine ab«, lautete einer seiner
Sprüche. Der Manager mit den Geldum-
schlägen und schwarzen Kassen wurde
von den WM-Organisatoren als ihr wich-
tigster Mann bezeichnet – und doch
schließlich fallen gelassen, als zu viele Vor-
würfe gegen ihn laut wurden. Im Sommer
2011 sperrte die Fifa Bin Hammam lebens-
lang für alle Ämter.
Muss Katar bald den nächsten Funktio-
när aus der Schussbahn nehmen? Nasser
Al-Khelaifi, Chef von PSG und dem
Medienkonzern BeIN, gelte bei der Herr-
scherfamilie im Golfstaat mittlerweile als
schwer kontrollierbar, so ein Insider. Die
zahllosen Vorwürfe gegen den Manager

Die Villa in Porto Cervo


FußballDer Aufstieg zur Sportgroßmacht stellt sich für die katarischen


Herrscher als schwieriger heraus als erwartet. Ihr wichtigster
Funktionär ist wegen Korruption beschuldigt, es gibt neue Vorwürfe.
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