sende Syrer, die Assad, ohne einen Schuss
abfeuern zu müssen, zurückbekommt.
Am 13. Oktober unterzeichneten die
beiden obersten kurdischen Militärführer
ein »Memorandum of Understanding«,
eine Vereinbarung, die nichts anderes ist
als eine Kapitulationsurkunde: Sie bestä-
tigt, dass die syrische Armee in den Nord-
osten zurückkehrt, definiert mehrere Zu-
ständigkeitszonen sowie dass fortan wie-
der Baschar al-Assad gehuldigt werde.
Es ist ein bizarres Dokument, dessen
Echtheit die kurdische Führung nach dem
Bekanntwerden einen Tag lang zu demen-
tieren versuchte und das zwei Kernfragen
ausklammert: Was wird aus der YPG, dem
militärischen Arm der Kurden? Kommen
auch Assads Geheimdienste, die in den
vergangenen Jahren eher Todesschwadro-
nen waren, zurück in die Kurdengebiete?
Nach Aussagen eines kurdischen Funk-
tionärs hat Damaskus den Kurden zudem
angeboten, ihre YPG-Einheiten behalten
zu dürfen, sie müssten nur demnächst in
Idlib mitkämpfen, der letzten Rebellen-
hochburg im Nordwesten Syriens. Was sie
vermutlich gern tun werden, angesichts
des Hasses, den der Vormarsch der syri-
schen Rebellen an der Seite der Türken
bei den Kurden ausgelöst hat.
Putin kann seine feinziselierte, hoch -
flexible Politik fortsetzen, mit allen im Ge-
spräch zu bleiben, Druck auszuüben,
Feindschaften für sich zu nutzen – und am
Ende den Sieger zu kontrollieren. Schritt
für Schritt höhlt Russland damit Assads
Reich von innen aus, übernehmen russi-
sche Firmen Verträge für Gasfelder, Häfen,
stechen dabei die Iraner aus. Baschar al-
Assad wird zum Diktator von Moskaus
Gnaden.
Und auch Erdoğan ist vom guten Willen
Putins abhängig.
Erdoğans Größenwahn
Erdoğan ist ein begnadeter Populist, ein
Menschenfänger, aber eines ist der türki-
sche Präsident nicht: ein guter Diplomat.
Nirgends rächt sich seine Selbstüberschät-
zung gerade so sehr wie im Syrienkonflikt.
Erdoğan und Assad waren einst befreun-
det. Sie verbrachten einen gemeinsamen
Urlaub an der türkischen Mittelmeerküste.
Im Arabischen Frühling 2011 sah Erdoğan
die Chance, eine Führungsrolle in der Re-
gion einzunehmen. Er rüstete ausgewählte
Islamisten im Kampf gegen das Assad-
Regime auf. Jahrelang konnten sich Mili-
zionäre frei zwischen der Türkei und Sy-
rien bewegen.
Erdoğans imperialistische Träume, von
Beobachtern als »Neo-Osmanismus« be-
schrieben, haben sich nicht erfüllt. Statt-
dessen musste der türkische Staatschef mit-
verfolgen, wie Assad mithilfe Russlands
und Irans seine Macht konsolidierte. Er-
doğan richtete seine Syrienpolitik neu aus:
Ihm geht es nicht mehr darum, Assad zu
stürzen. Er will die Kurdenmiliz YPG zer-
schlagen, das ist nun sein oberstes Ziel.
Die USA schätzten die YPG als Verbün-
dete im Krieg gegen den »Islamischen
Staat«. Erdoğan hingegen betrachtet die
Miliz, durchaus zutreffend, als den syri-
schen Ableger der verbotenen kurdischen
Arbeiterpartei PKK, die sich lange Jahre
im bewaffneten Kampf gegen den türki-
schen Staat befand. Erdoğan stellte in
den vergangenen Jahren immer wieder
klar, dass er einen Kurdenstaat unter
YPG/PKK-Herrschaft als Nachbarn nicht
akzeptiert. Als Trump seine Soldaten aus
der Region abziehen ließ, sah Erdoğan sei-
ne Chance, und die türkischen Truppen
rückten vor.
Bereits zwei Schlachten hat das türki-
sche Militär in Syrien geschlagen, 2016 ge-
gen den »Islamischen Staat« in Dscharab-
lus, 2018 gegen die YPG in Afrin. Die jet-
zige Operation »Friedensquelle« ist jedoch
der mit Abstand riskanteste und folgen-
schwerste Einsatz. Erdoğan will vom Fluss
Euphrat bis zur irakischen Grenze eine
mehr als 500 Kilometer lange und rund
30 Kilometer tiefe Pufferzone schaffen –
16 DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019
AP / DPA / PA
Assad-Anhänger im Norden Syriens: Wer sich nicht unterwirft, darf nicht zurück