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sicheren Wissen zwingt, dass ich allein so euren Klarblick
erlangen kann und frei sein werde wie ihr.«
Wäre das die gültige Definition von Freiheit geworden,
gäbe es heute kein Problem mit diesem Begriff und der
Klimapolitik. Man nähme die Daten und Analysen der
meisten Wissenschaftler als Wahrheit und übte Verzicht,
um die Welt zu retten. In der Askese läge die Freiheit.
Aber Comtes Auffassung hat sich nicht durchgesetzt.
Sie wäre auch mit der Demokratie nur schwer zu verein-
baren, weil sie einer kleinen Elite, den Bescheidwissern,
enorme Macht einräumte. Genau das will die Demokra-
tie nicht. Sie setzt den mündigen Bürger voraus, der
selbst entscheiden kann, was gut oder schlecht für ihn ist.
Kaum ein Begriffspaar ist so eng miteinander verfloch-
ten wie dieses: Demokratie und Freiheit. Wenn das Volk
herrschen soll, muss es frei sein. Der Kampf für die Demo-
kratie war ein Kampf gegen Zwänge und Verbote unter
feudaler Herrschaft. Das Volk verdrängte die Könige und
Fürsten und wurde selbst zum Souverän.
Aber muss der Souverän einen SUV mit hohem Benzin-
verbrauch fahren dürfen? Muss er in den Urlaub fliegen,
Kreuzfahrten machen können? Täglich
Fleisch essen? Gehört das zur Freiheit,
oder könnte man es verbieten, ohne den
Kern der Demokratie zu verletzen?
Schon den Vordenkern der Freiheit war
deren Paradox bewusst: Schrankenlose
Freiheit führt ins Verderben. Früher hatten
die Menschen vor allem Angst vor Gewalt.
Der Stärkere würde den Schwächeren un-
terdrücken, beiseiteräumen, umbringen,
wäre er vollkommen frei. Deshalb haben sich Philoso-
phen vor allem Gedanken über die Grenzen der Freiheit
gemacht.
Immanuel Kant hat dafür Ende des 18. Jahrhunderts
den Standard gesetzt: Handle nur nach Maximen,
die auch zum Gesetz für alle werden könnten. Das Indivi-
duum ist damit auch dem Allgemeinwohl verpflichtet.
Etwas anders klingt das später bei John Stuart Mill,
einem der Urväter des Liberalismus: »Die einzige Frei-
heit, die den Namen verdient, ist das Recht, unser Wohl
auf unsere Weise zu suchen.« Aber Mill war klar, dass
diese Freiheit im Wohl der anderen eine Grenze finden
muss. Auf das Klimathema übersetzt: Wer gern über die
Autobahn rast, genießt den Nutzen schnellen Transports
und großen Spaßes, bläst aber eine Menge CO²durch den
Auspuff und könnte damit der Allgemeinheit schaden.
Mill zielte allerdings auf ein Maximum an Freiheit.
Demokratische Gesellschaften diskutieren eher das
Minimum. Wie viel Einschränkung ist erträglich, ohne
dass sich die Mehrheit der Bürger unfrei fühlt?
Demokratien sind also durch ihre Theoriegeschichte
sehr gut auf Verbote vorbereitet und haben diese selbstver-
ständlich immer wieder ausgesprochen. Es kommt auf das
Maß an, für das es allerdings keine festen Regeln gibt. Viele
Deutsche leben gut mit Verboten, was private Waffen an-
geht, möchten aber auf Autobahnen unbegrenzt rasen dür-
fen. Für viele Amerikaner gehören Waffen zur Freiheit, mit
Schleichfahrten tun sie sich hingegen nicht schwer.
Es ist immer ein bisschen wohlfeil oder schwach, eine
Debatte zu fordern, aber hier wäre sie notwendig: Wel-
ches Minimum ist in Zeiten des Klimawandels notwen-
dig? Ein Tempolimit würde den Kern der Freiheit sicher-
lich nicht beschädigen. Die wirklich wichtigen Fragen
wie Meinungs- oder Versammlungsfreiheit sind vom Klima -
thema ohnehin nicht berührt.
Gerechtigkeit
Demokratien gründen auf dem Gedanken der Gleichheit:
Jede Stimme soll das gleiche Gewicht haben, jeder
Mensch soll gleich sein vor dem Gesetz. An soziale
Gleichheit war ursprünglich nicht gedacht. Diesen Gedan-
ken brachten erst die Frühsozialisten sowie Karl Marx
und Friedrich Engels im 19. Jahrhundert ins Spiel. Die De-
mokratien konnten ihn nicht ganz ignorieren, wandelten
die Frage der Gleichheit aber in die Frage der Gerechtig-
keit um. Die Gesellschaft der mündigen Bürger dürfe
nicht zu weit auseinanderfallen in ein Oben und Unten.
Dabei geht es vor allem um Teilhabe. Gerechtigkeit
herrscht, wenn jeder die Möglichkeiten seiner Zeit im
Prinzip nutzen kann. Zunächst war Fliegen teuer, weshalb
es sich privat nur Wohlhabende leisten konnten. Über
gesteigerte Effizienz und verminderten Komfort sanken
die Preise für Flüge, bis sie für die breiten Massen er-
schwinglich waren. Nun befeuern sie den Klimawandel.
Neben Verboten gilt daher ein höherer Preis als Mittel,
die Probleme in den Griff zu bekommen. Preise lassen sich
über Steuern oder Abgaben anheben, es wäre also möglich
für den Staat, den Anbietern von Billig -
flügen das Geschäftsmodell zu verderben.
Gerecht wäre das nicht, da Wohlhabende
weiterhin fliegen könnten. Man wäre also
wieder dort, wo man schon einmal war.
Höhere Preise wirken wie Verbote,
die nicht für alle gelten, was sie noch
problematischer macht. Sie können eine
Gesellschaft spalten, können den Zorn
der unteren Schichten anfachen, wie in
Frankreich geschehen. Die Gelbwesten wehren sich gegen
höhere Benzinpreise.
Die Bundesregierung will aus dem Dilemma heraus-
kommen, indem sie die Preise auf den CO²-Verbrauch nur
wenig anhebt. Das stellt aber die Wirksamkeit infrage. Es
hilft wenig, die höheren Steuern durch Ausgleichszahlun-
gen für Ärmere zu lindern. Denn die könnten das Geld
nutzen, um sich die teureren Flugtickets für den Urlaub zu
kaufen. Zudem fördert Umverteilung die Bürokratie und
macht den Staat fett. Ohne Beschränkungen wird es aber
nicht gehen. Da Reiche tendenziell mehr CO²verbrau-
chen als Arme, wären Verbote insgesamt gerechter als hö-
here Steuern. Es kommt auf die richtige Mischung an.
Eine Gerechtigkeit lässt sich nur schwer herstellen: die
zwischen den Nationen. In der Europäischen Union kann
es eine einheitliche Linie geben, weltweit nicht. Hier muss
man es aushalten, wenn andere wenig oder nichts tun,
genauso wie andere es aushalten müssen, dass sie mehr
tun als die Deutschen.
Pursuit of Happiness
Als Thomas Jefferson einen Entwurf für die Unabhängig-
keitserklärung der amerikanischen Kolonien 1776 schrieb,
nahm er das Streben nach Glück, Pursuit of Happiness, als
unveräußerliches Recht der Menschen auf. Die Forschung
weiß nicht genau, warum, aber nun steht es dort und ist zu
einem der zentralen Begriffe der Demokratie geworden.
Was in Zeiten des Klimawandels ein Problem darstellt.
Worin Menschen ihr Glück finden könnten, blieb zu-
nächst offen. Aristoteles hatte noch gehofft, es könne das
Gemeinwohl sein, genauso die Anhänger des Repu -
blikanismus im 18. Jahrhundert, die einen tugendhaften
Bürger beschworen. Aber so kam es nicht.
Das lag auch daran, dass sich die Demokratie bald mit
dem Kapitalismus verbündete. Ihre Freiheiten nutzten
Deutschland
Welches Minimum
an Freiheit
ist in Zeiten des
Klimawandels
notwendig?