Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

M


ark Zuckerberg weiß, dass es
jetzt auf jedes Wort ankommt.
Er habe lange an dieser Rede
gearbeitet, schrieb der Face-
book-Chef am vergangenen Mittwoch –
auf seinem Facebook-Account, wo auch
sonst. Er wolle über die »großen Bedro-
hungen für die freie Meinungsäußerung
weltweit« sprechen, über die »Herausfor-
derungen, die mehr Stimmenvielfalt und
das Internet mit sich bringen«. Das hörte
sich an, als bereitete Zuckerberg eine Rede
zur Lage der Nation vor.
Tatsächlich sprach der Facebook-Boss
am Donnerstagnachmittag bloß an der
Georgetown University in Washington,
D. C. Doch was in normalen Zeiten ein net-
ter, harmloser Auftritt gewesen wäre, ist
dieser Tage ein Politikum. Seit die demo-
kratische Präsidentschaftskandidatin Eliza-
beth Warren den Konzern vorige Woche
mit einem geglückten PR-Stunt vorführte,
tobt wieder die Debatte über Meinungs-
freiheit und Desinformation auf Facebook.
In diesem aufgeheizten Umfeld, das weiß
Zuckerberg, passt man besser genau auf,
was man sagt. Und so blieben von seiner
Rede banale Sätze wie diese: »Wir können
entweder weiter für freie Meinungsäuße-
rung einstehen oder uns dafür entscheiden,
dass der Preis dafür schlicht zu hoch ist.«
Warren hatte in dem sozialen Netzwerk
eine Anzeige geschaltet – mit einer offen
als Lüge deklarierten Behauptung: »Brea-
king News: Zuckerberg und Facebook ru-
fen zur Wiederwahl von Trump auf.« Das
war frei erfunden und stand auch so im
dritten Absatz des Anzeigentexts. Aber
genau das war Warrens Botschaft: Auf
Facebook kann jeder Politiker so viele Lü-
gen verbreiten, wie er will.
Der Anwurf ist nicht neu. Doch für Zu-
ckerberg kommt der öffentliche Clinch mit
der demokratischen Spitzenpolitikerin zur
Unzeit. Seit Monaten steht der Konzern
unter Beobachtung: Das Justizministerium
in Washington, der Rechtsausschuss des
US-Repräsentantenhauses und die Bun-
desbehörde FTC ermitteln gegen den Tech-
riesen, wegen möglicher Verstöße gegen
Wettbewerbsrecht.
Allein im Oktober hagelte es schlechte
Nachrichten: US-Justizminister William
Barr forderte Facebook auf, die Pläne für
eine weitere Verschlüsselung seiner Mes-
senger-Dienste aufzugeben, damit auch
Strafverfolger mitlesen könnten – ein Di-


lemma für das Unternehmen, das bei den
Nutzern um Vertrauen in die Sicherheit
seiner Daten wirbt.
Der Europäische Gerichtshof befand,
dass Facebook künftig gezwungen werden
kann, rechtswidrige, beleidigende Kom-
mentare weltweit zu löschen. Facebooks
Währungsprojekt Libra laufen die Partner
davon (siehe Kasten Seite 70). Und Ende
vergangener Woche machte auch noch die
Onlinenachrichtenseite Politico publik,
dass Zuckerberg konservative Politiker
und Journalisten mit Abendessen in seinen
Privathäusern zu umgarnen versuchte. Er-
boste Nutzer bescherten daraufhin dem
Hashtag #DeleteFacebook ein Comeback.
Politik, Justiz, Aufsichtsbehörden und
Öffentlichkeit haben sich auf den Konzern
eingeschossen – Zuckerberg, so viel ist klar,
steht ein heißer Herbst bevor. Aber kann
das Facebook wirklich gefährlich werden?
Zuckerberg und sein Konzern sind Kri-
sen gewohnt. In den 15 Jahren seines Be-
stehens ist der Techriese vom erfolgsver-
wöhnten Start-up zu einem staatsähnli-
chen Gebilde herangewachsen, mit 2,7 Mil-
liarden Nutzern, die das Netzwerk Tag für
Tag nutzen, gestalten – und missbrauchen.
Die unschuldigen Zeiten, als das Publi-
kum noch an Zuckerbergs Vision glaubte,
aus der Erde »einen besseren Ort« zu
machen, sind lange vorbei. Facebook ist
längst auch ein Ort für Wahlmanipulatio-
nen, Datenmissbrauch, Fake News, Hate
Speech.
Doch bisher konnte der Konzern jede
noch so große Krise aussitzen, weg -
kommunizieren oder schlicht abbezahlen.
Selbst den Datenskandal um Cambridge
Analytica, der fünf Milliarden Dollar und
eine Menge Vertrauen kostete, hat das Un-
ternehmen glimpflich überstanden. Die
Firma ist an der Börse mittlerweile mehr
als 500 Milliarden Dollar wert, die Nut-
zerzahlen wachsen, der Umsatz auch.
Zuckerberg selbst nimmt den Dauerbe-
schuss recht sportlich. Das erfuhr die Welt
kürzlich durch die geleakte Aufnahme
einer Facebook-internen Besprechung.
Die Technews-Website The Verge hatte
Audiomitschnitte von Diskussionen veröf-
fentlicht, wie sie Zuckerberg regelmäßig
mit seinen Angestellten abhält. In diesen
Meetings redet der Facebook-Chef offen
und unverblümt, ganz anders als in seinen
meist blutleeren Interviews. Lachend sagt
er etwa, er wäre zweifellos schon »mehr-

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Wirtschaft

MIKE BLAKE / REUTERS

Big-Tech-Kritikerin Warren

»Ist das scheiße? Yeah«


KonzerneFacebook steht unter Beschuss von allen Seiten: Politik, Behörden und Öffentlichkeit.
Kann Gründer Mark Zuckerberg den Mehrfrontenkrieg gewinnen?

2014 2016 2018

50

100

150

200

Affäre um
Cambridge Analytica

190


Quelle: Refinitiv Datastream, Stand: 17. Oktober

Quelle: 2020campaigntracker.com

Begehrte Plattform
Facebook-Aktie in Dollar

Facebook-Anzeigen: Ausgaben von US-Politikern


  1. Januar bis 12. Oktober 2019


Donald Trump

Bernie Sanders

Elizabeth Warren

Joe Biden

15,1 Mio. $

4,0

3,3

2,6
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