Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

Frodeno, 38, gewann am vergangenen Wo-
chenende als erster Deutscher zum dritten
Mal den Ironman auf Hawaii, die Lang-
streckenweltmeisterschaft aus Schwimmen,
Radfahren und Laufen. In Peking hatte er
2008 olympisches Gold geholt – dieses Dou-
ble schaffte bislang kein anderer Triathlet.


SPIEGEL:Herr Frodeno, vor zwei Jahren
haben Rückenschmerzen Sie beim Iron-
man auf Hawaii ausgebremst, 2018 muss-
ten Sie wegen einer Hüftfraktur absagen.
Wie haben Sie sich wieder so fit bekom-
men, dass Sie nun auch den Streckenre-
kord aufstellten?
Frodeno:Der Wille war da. Mein Trainer
Dan, mein bester Kumpel Felix und ich
haben im vergangenen Jahr ein Schreiben
aufgesetzt, dass wir drei alles geben, damit
ich in diesem Jahr wieder topfit an der
Startlinie stehe.
SPIEGEL: Was mit 38 Jahren keine Selbst-
verständlichkeit ist.
Frodeno:Im Ausdauersport ist es durch-
aus üblich, im fortgeschrittenen Alter noch
Topleistungen bringen zu können. Und die
Wehwehchen, die ich hatte, waren ja nicht
altersbedingt, sondern basierten auf Ver-
letzungen, die ausheilen mussten.
SPIEGEL: Sie sind ein Kosmopolit, aufge-
wachsen in Köln und Kapstadt, lebten in
Noosa, Australien, und wohnen nun mit
Ihrer Familie im spanischen Girona.
Frodeno:Ja, denn mit zwei kleinen Kindern
ist das Kosmopolitendasein auf Dauer zu
anstrengend. Und das Klima in Girona bietet
ganzjährig optimale Trainingsbedingungen.
SPIEGEL:Sie trainieren etwa 35 Stunden
die Woche. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Frodeno:Ich stehe etwa um halb sieben
auf, mache mir einen Kaffee, dann gehe
ich fünf, sechs Kilometer schwimmen. Da-
nach gibt es ein kleines Frühstück mit den
Kindern, gefolgt von einer intensiven Ein-
heit auf dem Rad. Nach dem Mittagessen
versuche ich, ein Schläfchen zu machen,
und abends habe ich Lauftraining. Nach
Massage und Abendessen gehe ich meist
zeitig ins Bett.


SPIEGEL: Was treibt Sie an, dieses Pro-
gramm jeden Tag so durchzuziehen?
Frodeno:Ich will immer besser ins Bett
gehen, als ich aufgestanden bin. Denn das
ist ja das Wunderschöne am Sport, dass
alles so schwarz oder weiß ist. Man hat
entweder gut trainiert oder nicht, die Zei-
ten haben gestimmt oder nicht. Zu sehen,
dass man sich immer noch verbessern
kann, ist total motivierend.
SPIEGEL:Schwimmen, Radfahren, Laufen
und dann wieder alles von vorn. Langweilt
Sie das nicht manchmal?
Frodeno:Hinter allem liegt ein abwechs-
lungsreiches Programm aus Intervallen
und Intensitäten. Fragt man einen Autor,
ob er sich langweilt, wenn er jeden Tag
acht Stunden lang ein Buch schreibt, wird
er das auch verneinen. Wie bei allem wird
das Ganze im Kopf mit Leben gefüllt.
SPIEGEL: Sie sind ein großer, athletischer
Typ, wirken souverän. Dabei gab es Zei-
ten, in denen Sie unter Selbstzweifeln lit-
ten. Wie haben Sie diese besiegt?
Frodeno:Ich weiß nicht, ob man Selbst-
zweifel jemals besiegt, sie sind ja mensch-
lich. Und Zweifel können auch eine starke
Motivation sein, sie dürfen nur nicht
Überhand gewinnen. Damals, 2008, war
es so, dass ich mich nur über meinen
Sport und meinen Erfolg definiert habe.
Als ich nach meinem Olympiasieg in Pe-
king dann relativ kläglich scheiterte, Welt-
meister auf derselben Distanz zu werden,
waren mein Selbstwertgefühl und mein
Selbstvertrauen im Keller. Ich war immer-
zu in Dialogen mit mir selber gefangen
wie: Schaffe ich das jetzt, diesen Berg
hochzufahren? Obwohl ich wusste, dass
ich das kann. Diese Zweifel haben sich in
mir aufgestaut.
SPIEGEL:Sie sagen, dass Sie damals vor
einem Burn-out standen.
Frodeno:Ich habe alles so lange hinausge-
zögert und forciert, bis mein Kopf kom-
plett abgeschaltet hat und gesagt hat: Ich
will nicht mehr. Der Begriff Burn-out ist
ja ein medizinischer Begriff, das wurde bei
mir nie diagnostiziert, aber viele der Symp-

tome haben zugetroffen: eine Lustlosig-
keit, eine ewige Frustration und eine kom-
plette Leistungsunfähigkeit. Ich habe mich
nur noch abgeschottet, mich hat alles über-
fordert und gestresst.
SPIEGEL:Wie haben Sie diesen Zustand
überwunden?
Frodeno:Mithilfe meiner Familie, meines
engsten Freundeskreises und mit einem
gewissen Abstand. In meinem Kopf war
die Hölle los, sodass ich nicht sehen konn-
te, dass ich in einer Negativspirale war. Ich
musste lernen, welche Denkmuster in mir
stecken, und lernen, täglich und situativ
mit ihnen umzugehen. Und mich nicht so
krass über eine Sache zu definieren, die
im Endeffekt eine wunderschöne Neben-
sächlichkeit ist.

Sport

»Es gibt guten


Schmerz«


TriathlonWeltmeister Jan Frodeno über Selbstzweifel,
den Moment, als er beinahe von einem Laster
überfahren wurde, und die Techniken, sich mental zu stärken

Ausdauersportler Frodeno beim Ironman

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