Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1
F. Fasse, T. Hanke, M. Murphy,
D. Riedel München, Paris, Berlin

B


eim deutsch-französi-
schen Ministerrat in Tou-
louse in der vergangenen
Woche feierten Frank-
reich und Deutschland
ihre Einigung bei den gemeinsamen
Rüstungsprojekten. Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) und Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron beton-
ten einmal mehr, dass sie hinter dem
geplanten Kampfflugzeug-Verbund
„Future Combat Air System“ (FCAS)
und dem Hochleistungspanzer stehen.
Auch den Streit um die Regeln für den
Rüstungsexport habe man beigelegt.
Jedoch: In der schriftlichen Erklä-
rung fehlt einmal mehr jegliche Kon-
kretisierung. Industrievertreter sind
deshalb nach der Lektüre verwirrter
als vorher. Konkreter als die Aussage
Macrons, dass die Arbeiten am FCAS
beschleunigt und bis 2026 flugfähige
Demonstratoren fertig werden sollen,
wurden die Regierungschefs nicht.
Nicht zum ersten Mal hängt das
Projekt in der Schwebe. Die wichtigs-
ten Partner, Airbus und Dassault, ha-
ben ihre Zusammenarbeit zwar gere-
gelt. Doch nun streiten sich die Trieb-
werk-Lieferanten MTU und Safran,
wer bei den Motoren die Führung
übernimmt. Bevor die Bundesregie-
rung weiteres Geld in das FCAS-Pro-
jekt steckt, will sie eine vollständige
Einigung der Industrie sehen. In
Frankreich war man nach einem Ge-
spräch zwischen Merkel und Macron
jedoch davon ausgegangen, dass alles
geklärt wäre.
Dem ist wohl nicht so. Eine Spre-
cherin des Verteidigungsministeri-
ums sagte, dass beim FCAS noch Ver-
handlungen unter den Firmen über
die Gestaltung der Triebwerksent-

wicklung und Nutzungsrechte liefen.
Nach Informationen aus Industrie-
kreisen hakt es gewaltig. Nach fran-
zösischen Vorstellungen soll Safran
bei den Triebwerken die Führung
übernehmen, MTU bliebe die Rolle
des Zulieferers.
Bei MTU und bei der deutschen
Politik stößt das auf Widerstand. Sa-
fran und MTU sind im Zivilgeschäft
erbitterte Konkurrenten, mögliche
Patente aus dem Projekt sollen bei-
den Unternehmen nutzen, lautet die
deutsche Forderung. Die Deutschen
verlangen deshalb die Gründung ei-
nes Joint Ventures, so wie es bei frü-
heren Projekten, wie Eurofighter und
A400M, üblich war. Die Patente da-
raus nutzt MTU beispielsweise für die
Entwicklung des „Geared Turbofan“.
Dieses Triebwerk ist mittlerweile ein
Bestseller für den Airbus-Mittelstre-
ckenjet A320 neo.
Offiziell will sich MTU nicht äußern.
Die Gespräche zwischen den Unter-
nehmen sollen aber seit einigen Wo-
chen auf Eis liegen, hieß es aus Indus-
triekreisen. Die Firmen warteten auf
eine politische Einigung.
Frankreich will möglichst schnell
mehr Geld für das FCAS bereitstel-
len, damit man im Zeitplan bleibt
und Dassault und Airbus mit der Vor-
bereitung der Demonstratoren begin-
nen können. Die Industrie hat dafür
bereits im Sommer auf der Luftfahrt-
schau von Le Bourget für drei Jahre
Mittel in Höhe von 220 Millionen
Euro beantragt. Die Bundesregierung
wird die Mittel für ihren Anteil aber
erst nach einer vollständigen Indus-
trieeinigung beim Haushaltsaus-
schuss beantragen.
Während es bei FCAS hakt, haben
sich beim Panzer die in einer gemein-
samen Holding verbundenen Herstel-
ler Krauss-Maffei Wegmann (KMW)

und Nexter mit Rheinmetall auf die
Zusammenarbeit als Konsortium ge-
einigt. Jede der drei Firmen soll ein
Drittel der Vorarbeiten übernehmen.
Die Mittel für diese Studie belaufen
sich laut Branchenkreisen auf 30 Mil-
lionen Euro, die je zur Hälfte von
Deutschland und Frankreich über-
nommen werden sollen.
Diese Arbeitsaufteilung ist ein
Rückschlag für Rheinmetall: Der Kon-
zern hatte eine Fusion der drei Fir-
men unter seiner Führung ange-
strebt, nachdem Deutschland und
Frankreich vereinbart hatten, dass
der Panzer unter deutscher und das
Flugzeug unter Frankreichs Führung
entwickelt werden sollen. Auch wenn
Beteiligte darauf verweisen, dass die
vereinbarte Arbeitsteilung nicht für
die Zukunft gelten müsse, so dürfte
doch kaum mehr daran gerüttelt wer-
den. Rheinmetall wäre damit Junior-
partner von KMW-Nexter. Weil deren
Holding zur Hälfte deutsch ist, halten
sich beide Länder an die Vereinba-
rung einer deutschen Führungsrolle.
Trotzdem herrscht in Industriekrei-
sen weiter Misstrauen, weil bei Nexter
der französische Staat Eigentümer ist.
Unklar ist zudem weiterhin, wie
die ebenfalls in Toulouse verkündete
Einigung auf gemeinsame Richtlinien
für Rüstungsexporte aussieht; ein
detaillierter Text fehlt auch hier. Der
deutsche Rüstungsindustrieverband
BDSV befürchtet, dass „die deutsche
Industrie zum Juniorpartner der
französischen staatlichen Rüstungs-
industrie degradiert“ werden könn-
te, sagte BDSV-Hauptgeschäftsführer
Hans Christoph Atzpodien: „Das wä-
re gemessen an unserem Anspruch,
mit unseren Nachbarn auf Augenhö-
he zu agieren, inakzeptabel.“


Kommentar Seite 16



Deutsch-französische Kooperation


Rüstungsprojekte stocken


Merkel und Macron betonen ihre Einigkeit – doch bei der Umsetzung mit der


Industrie türmen sich beim gemeinsamen Kampfflugzeug neue Hürden auf.


Die deutsche


Industrie


wird zum


Junior -


partner der


französischen


Rüstungs -


industrie


degradiert.


Hans Christoph
Atzpodien
Hauptgeschäftsführer
BDSV

Streitobjekt
in Europa: Ein
Modell des
FCAS-Kampf-
flugzeugs.

AFP/Getty Images

Rot-Rot-Grün


Berlin einigt


sich auf


Mietenstopp


Silke Kersting Berlin


D


ie Mieten in Berlin sollen für
fünf Jahre eingefroren wer-
den. Darauf hat sich die Ber-

liner Regierungskoalition aus SPD,


Linkspartei und Grünen geeinigt. Da-


mit werden Mieterhöhungen stark


begrenzt, Ausnahmen sind rar. „Ab


2022 wird die Möglichkeit eines Infla-


tionsausgleichs von 1,3 Prozent pro


Jahr geschaffen“, heißt es in einem


Eckpunktepapier, das dem Handels-


blatt vorliegt. Modernisierungsmaß-


nahmen dürfen ohne Genehmigung


in Höhe von einem Euro pro Qua-


dratmeter umgelegt werden.


Bestehende Mieten sollen aber


nicht nur eingefroren werden. Ver-


meintlich hohe Mieten, im Papier als


„Wuchermieten“ bezeichnet, sollen


auch gesenkt werden dürfen. Kon-


kret: Mieten von mehr als 120 Pro-


zent einer Höchstmiete, die der Se-


nat in einer extra angefertigten Mie-


tentabelle festlegt, dürfen neun


Monate nach Inkrafttreten des Geset-


zes auf 120 Prozent gesenkt werden.


„Private Vermieter werden um ihre


Altersvorsorge gebracht“, warnt Jür-


gen Michael Schick, Präsident des


Immobilienverbands IVD. Eigentü-


mer, die sich bislang am aktuellen


Mietspiegel orientiert oder eine mit


der Mietpreisbremse konforme Miete


vereinbart haben, seien gezwungen,


die Miete entsprechend zu senken.


Der stellvertretende rechtspolitische


Sprecher der CDU/CSU-Bundestags-


fraktion, Jan-Marco Luczak, hält das


Vorhaben für verfassungswidrig.


Düsseldorf lehnt Deckel ab


Der Berliner Mietendeckel hatte in


den vergangenen Monaten bundes-


weit für Aufsehen gesorgt. Die SPD


forderte bereits einen bundesweiten


Mietendeckel. Allerdings sind nicht


alle Sozialdemokraten von der Maß-


nahme überzeugt. Düsseldorfs Ober-


bürgermeister Thomas Geisel sagte


dem Handelsblatt, ein Mietendeckel


helfe vor allem denjenigen, „die


schon eine Wohnung haben, und


nicht denen, die noch eine suchen“.


Die Mieten in Berlin explodierten


auch deshalb, weil in der Vergangen-


heit ein erheblicher Teil des kommu-


nalen Wohnungseigentums privati-


siert worden sei. Das sei beispiels -


weise in Wien, das oft für seinen


bezahlbaren Wohnraum gerühmt


wird, nicht der Fall. „Deshalb folgen


wir in Düsseldorf dem Wiener Bei-


spiel und stärken unsere Städtische


Wohnungsgesellschaft SWD.“


Münchens Oberbürgermeister Die-


ter Reiter (SPD) erklärte, alles, was


dazu führe, Mieter besser zu schüt-


zen, könne er nur unterstützen. Aller-


dings würden ihm viele andere Maß-


nahmen einfallen, mit denen Mieten


langfristig bezahlbar bleiben könn-


ten. „Beispielsweise mit einem sozia-


len Bodenrecht, das die wahnsinni-


gen Bodenpreisentwicklungen in den


Ballungsräumen beendet.“ München


habe in diesem Jahr einen Mieten-


stopp für die eigenen städtischen


Wohnungen beschlossen, ergänzte


er. Das bedeutet, dass die Mieten zu-


mindest für die rund 60 000 städti-


schen Wohnungen für die nächsten


fünf Jahre nicht steigen werden.



Kommentar Seite 17



Wirtschaft & Politik
MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202

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