Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

geizig, auch bei unseren Gewinnzielen. Inzwischen


haben wir begonnen, uns Gedanken zu machen,


wie es nach 2020 weitergehen kann. Wir schauen


uns dazu sehr systematisch an, wie das wirtschaft-


liche Umfeld aussieht und welche geschäftlichen


Ideen sich auszahlen. Wenn es das Marktumfeld er-


laubt, sollte langfristig ein Jahresgewinn von 2,8


Milliarden Euro sicherlich nicht das Ende der Fah-


nenstange sein.


Die Munich-Re-Aktie notiert derzeit auf einem All-


zeithoch, was auch an der hohen Dividende von


9,25 Euro je Papier liegt. Dürfen sich die Aktionä-


re für 2019 erstmals auf eine Zehn vor dem Kom-


ma freuen?


Erst im kommenden Frühjahr werden wir über die


Dividende entscheiden, das laufende Geschäftsjahr


ist ja noch nicht beendet. In den vergangenen Jahr-


zehnten haben wir sie in guten Jahren erhöht, in


schlechten Jahren haben wir sie konstant gehalten.


Sollten wir – wie gerade angekündigt – unser bishe-


riges Ziel einer Gewinnsteigerung auf 2,5 Milliarden


Euro im laufenden Jahr am Ende also wirklich


übertreffen, ist eine höhere Dividende natürlich im


Bereich des Möglichen.


Sie haben gerade 250 Millionen Dollar in das US-


Versicherungs-Start-up Next investiert. Ist das der


Beginn einer M&A-Offensive?


M&A-Offensive würde ich das nicht nennen. Aber


wir sind durchaus bereit, durch Beteiligungen und


Zukäufe zu wachsen. Entscheidend ist für uns, dass


das Investment uns strategisch neue Geschäftsmög-


lichkeiten erschließt. So war es bei dem IoT-Spezia-


listen Relayr, den wir im vergangenen Jahr gekauft


haben. Und das ist auch jetzt bei unserer Anteilser-


höhung an Next Insurance der Fall. Denn Next


adressiert mit seinen modularen, online abschließ-


baren Versicherungslösungen für kleine und mitt-


lere Unternehmen in den USA einen hochattrakti-


ven Markt.


Naturkatastrophen zu versichern ist das Kernge-


schäft der Munich Re. Stellen Sie im Zahlenwerk


eigentlich bereits fest, dass der Klimawandel Spu-


ren hinterlässt?


Vor allem stellen wir fest, dass es global in vielen


Regionen an einem passenden Versicherungs-


schutz hapert. Sehr viele Menschen haben bis heu-


te überhaupt keine entsprechende Police, obwohl


die schweren Stürme und Waldbrände in den USA


doch vielen Betroffenen in Erinnerung gebracht


haben sollten, wie groß die Schäden ausfallen kön-


nen. Vielfach herrscht jedoch weiter die Fehlein-


schätzung vor: Mich trifft es schon nicht. Die finan-


ziellen Folgen einer Naturkatastrophe ohne jeden


Schutz durch eine Versicherung können allerdings


fatal sein.


Die Landwirtschaft ist durch zwei heiße Som-


mer in Folge zumindest aufgeschreckt. Bayern


setzt sich für eine teilstaatliche Dürreversiche-
rung ein. Wäre eine solche Police auch für Mu-
nich Re interessant?
Grundsätzlich unterstützen wir solche Initiativen
sehr. Viele Landwirte sind in Deutschland nicht ge-
gen Dürre versichert, weil die Prämien sehr hoch
sind. In Österreich wird für solche Versicherungen
deshalb schon seit Jahren eine staatliche Unterstüt-
zung gezahlt. Weltweit gibt es kein einziges wirk-
lich funktionierendes Ernteversicherungssystem,
bei dem nicht in irgendeiner Form der Staat betei-
ligt ist. Public-Private-Partnership-Lösungen sind
hier der beste Weg.

Der Branchenverband GDV hält Schäden durch
Unwetter und Dürre bei einer Erderwärmung von
vier Grad nicht mehr für versicherbar. Wird Ihr
Kerngeschäft der Rückversicherung vor diesem
Hintergrund bald unmöglich?
Sie fragen, ob unser Geschäft irgendwann unmög-
lich werden könnte; andere werfen uns dagegen
vor, die heimlichen Profiteure des Klimawandels zu
sein. Beides ist falsch. Zwar steigt einerseits der
Druck auf viele Kunden, sich zu versichern, je
mehr Risiken sich realisieren. Andererseits steigen
eben zugleich auch die Schäden, die wir beglei-
chen müssen.

Ende September war Weltklimatag mit weltweiten
Protestdemonstrationen, denen sich auch viele
Firmen angeschlossen haben. Waren Sie persön-
lich dabei?
Ich bin zwar im Büro geblieben, verfolge die Be-
schäftigung mit dem Thema Klimawandel aber
grundsätzlich mit großer Sympathie. Munich Re
weist schon seit einem knappen halben Jahrhun-
dert regelmäßig auf die durch den Klimawandel
entstehenden Risiken hin. Insofern freut es mich,
dass diese Frage mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Die Bundesregierung hat im Klima-Kabinett nun
zahlreiche Maßnahmen beschlossen, die auf ein
geteiltes Echo gestoßen sind. Munich Re hatte
früh appelliert, den CO 2 -Preis drastisch zu verteu-
ern. Was halten Sie vom Klimapaket?
Wir haben gesagt, dass der CO 2 -Ausstoß einen Preis
bekommen muss, sei es über eine Steuer oder
über Emissionshandel. Wenn dieser Preis nicht
hoch genug ist, wird er aber keine Steuerungswir-
kung haben. Um es deutlich zu sagen: Ein CO 2 -Preis
muss wehtun. Bei einem Einstiegspreis von zehn
Euro pro Tonne Kohlendioxid könnte man Zweifel
anmelden, ob dieser Effekt erzielt wird. Wichtig ist
aber, dass damit der Einstieg in die CO 2 -Bepreisung
geschafft ist.

Im Jahr 2017 kosteten Naturkatastrophen mit 340
Milliarden Euro so viel wie noch nie weltweit.
Fürchten Sie sich schon vor der laufenden Hurri-
kan- und Taifunsaison?
Die finanziellen Schäden durch Wirbelstürme zu

begleichen gehört zu unserem Geschäftsmodell –
davor fürchten wir uns natürlich nicht. Erst in den
vergangenen Wochen haben wir mit Hurrikan Do-
rian im Atlantik und den Taifunen Faxai und Hagi-
bis im Pazifik schwere Wirbelstürme erlebt. Natür-
lich schaue ich persönlich mit Interesse auf die Ent-
wicklung der Stürme – und zwar nicht nur als Fi-
nanzchef, sondern vor allem auch als Mensch mit
Mitgefühl gegenüber den Opfern.

Für den Finanzchef hatten die schweren Sturm-
saisons der vergangenen Jahre auch etwas Gutes:
Die Preise sind im laufenden Jahr erstmals seit
Langem wieder leicht angezogen. Glauben Sie,
dass sich dieser Trend fortsetzt?
Wir sehen tatsächlich, dass die Preise wieder an-
steigen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser
Trend auch in den nächsten Erneuerungsrunden
fortsetzen wird. Aber, und das muss man auch sa-
gen, deutliche Preissprünge, wie wir sie nach dem
Wirbelsturm Katrina im Jahr 2005 erlebt haben,
sind das nicht.

Die Branche kämpft nicht nur mit Preisdruck,
sondern auch mit anhaltend niedrigem Zinsni-
veau. Wie sehr belastet das die Munich Re?
Das anhaltend niedrige Zinsniveau ist tatsächlich
problematisch. Langfristig setzt uns das unter
Druck. Interessanter finde ich aber eine andere
Perspektive: Die wirklich gefährlichen Folgen des
Zinsrückgangs sind gesellschaftliche – ganz ähnlich
wie beim Klimawandel. Ich habe das Gefühl, dass
wir gerade dabei sind, neu auszuhandeln, wie die
Generationen miteinander umgehen. Beim niedri-
gen Zins ist es genauso wie beim Klimawandel: Die
Zeche wird die jüngere Generation zahlen, die den
riesigen Schuldenberg irgendwann zurückzahlen
muss. Wenn ich an die Sparer und die vielen Men-
schen denke, die Geld für ihre Altersvorsorge zu-
rücklegen, dann bräuchten wir eigentlich auch ei-
nen „Fridays for Future“ für Zinsen.

Die Reisebranche machte Ihnen dieses Jahr keine
Freude. Das Flugverbot für die Boeing 737 Max
kostet Sie viel Geld. Wird die Pleite von Thomas
Cook auch teuer?
Wir hatten schon im August darauf hingewiesen,
dass sich unsere finanzielle Belastung durch Boe-
ing erhöhen könnte. Zu Thomas Cook kann und
möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts Konkre-
tes sagen. Sollten wir hier betroffen sein, wäre es
aber auf jeden Fall von der Größenordnung her ei-
ne ganz andere, kleinere Dimension. Dieses Thema
bereitet mir daher kein Kopfzerbrechen. Wir zah-
len schließlich gerne Schäden.

Herr Jurecka, wir bedanken uns für das Inter-
view.

Die Fragen stellten Carsten Herz und Christian
Schnell.

Der Manager Der in
Bergisch Gladbach
geborene Österrei-
cher leitet seit diesem
Jahr das Finanzres-
sort des Rückversi-
cherers. Zuvor war er
2011 bereits mit 36
Jahren zum CFO der
Düsseldorfer Ergo
berufen worden. Pri-
vat ist der Topmana-
ger, der in Graz Tech-
nische Physik stu-
dierte und in Braun-
schweig in Theoreti-
scher Physik promo-
vierte, ein Fan des
Linzer Fußballklubs
LASK.

Das Unternehmen
Der Dax-30-Konzern
Munich Re ist einer
der größten Rückver-
sicherer der Welt. Ins-
besondere das Kern-
geschäft ist jedoch
seit Jahren schwierig.
Für 2019 hob der
Konzern mit seinen
rund 41 000 Mitarbei-
tern am Freitag die
Gewinnprognose auf
ein Ergebnis über 2,5
Milliarden Euro an. Im
ersten Halbjahr sind
davon bereits 1,6 Milli-
arden Euro erwirt-
schaftet worden.

Vita Christoph
Jurecka

Im Gespräch: Jureck a
sieht nach höherer
Prognose langfristig
weiteres Potenzial.

Manuel Niebele

Erstes Interview als
Munich-Re-CFO:
Christoph Jurecka (Mitte)
im Gespräch mit den
Handelsblatt-Redakteuren
Christian Schnell (links) und
Carsten Herz (rechts).

Manuel Nieberle

Finanzen & Börsen


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


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