Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1
Entscheidung treffen, brauchen sie
Klarheit. Eine Entscheidung über
die Verlängerung sollte daher erst
dann fallen, wenn das Unterhaus
über das Austrittsabkommen abge-
stimmt hat.

Johnson hat es versäumt, seinen
Verlängerungsantrag zu begrün-
den – obwohl die EU-27 genau das
immer verlangt haben.
Wir haben in Großbritannien die
komplexe Situation, dass Regierung
und Parlamentsmehrheit in der
Brexit-Frage unterschiedlicher Auf-
fassung sind. Sollte sich zeigen,
dass Johnson keine Mehrheit findet
und der Austrittsvertrag im Parla-
ment scheitert, dann wird die briti-
sche Seite darlegen müssen, wie es
weitergeht.

Mit jedem Aufschub des britischen
EU-Austritts verlängert sich auch
die Unsicherheit. Johnson spricht
in seinem Brief an EU-Ratspräsi-
dent Donald Tusk von einem „Kor-
rosionseffekt“ für die Wirtschaft.
Damit hat er doch gar nicht so un-
recht, oder?
Die mit dem Brexit verbundene
Unsicherheit ist für die Wirtschaft
natürlich eine sehr große Heraus-
forderung. Doch was ist die Alter-
native? Wenn das Austrittsabkom-
men im britischen Parlament er-
neut durchfallen sollte und wir die
britische EU-Mitgliedschaft dann
nicht verlängern würden, käme es
zum ungeordneten Austritt am 31.
Oktober. Der No-Deal-Brexit wäre

sehr negativ vor allem für die briti-
sche Volkswirtschaft, aber auch für
die EU.

Inzwischen fordern alle britischen
Oppositionsparteien ein zweites
Referendum über die EU-Mitglied-
schaft, und Zehntausende gehen
dafür in London auf die Straße.
Könnte es so kommen, dass der
Brexit am Ende gar nicht
stattfindet?
Das hängt ganz davon ab, ob es
Neuwahlen gibt und welche Regie-
rung das Vereinigte Königreich da-
nach bekommen wird.

Großbritannien gilt vielen als
Bremsklotz, der europapolitische
Integrationsschritte immer wieder
blockiert hat. Wäre die EU in Wahr-
heit nicht besser dran, wenn sie oh-
ne Großbritannien weitermacht?
Ganz sicher nicht. Eine EU mit 28
Mitgliedstaaten ist immer besser als
eine EU-27 ohne das Vereinigte Kö-
nigreich. Der Brexit kennt nur Ver-
lierer. Ausgeschlossen ist in der bri-
tischen Politik nichts. Wir haben
immer wieder Überraschungen er-
lebt. Sollte es tatsächlich zu einem
zweiten Referendum kommen und
sollten sich die Briten mehrheitlich
für einen Verbleib in der EU ent-
scheiden, würde ich das sehr be-
grüßen.

Herr McAllister, vielen Dank für
das Interview.

Die Fragen stellte Ruth Berschens.


Am Montag


oder Diens-


tag könnte


es zu einer


Abstimmung


kommen.


Aber hundert-


prozentig


vorhersagen


kann man


nichts.


David McAllister
Vorsitzender des
Auswärtigen
Ausschusses im
EU-Parlament

Deutschland


Demonstrative Geduld


D


ie Bundesregierung zeigt
sich bereit, den Briten mehr
Zeit für den Brexit einzu-
räumen. Es sei noch eine gute Lö-
sung möglich, wenn Premierminis-
ter Boris Johnson auf das Parlament
zugehe, sagte Bundeswirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier (CDU). „Wenn
eine Verlängerung um ein paar Wo-
chen nötig ist, hätte ich damit kein
Problem“, sagte er der „Bild am
Sonntag“.
Die deutsche Wirtschaft reagier-
te zwar enttäuscht darauf, dass die
Austrittsvereinbarung mit der EU
am Samstag im britischen Unter-
haus nicht verabschiedet wurde.
„Aber ist eine etwas längere Unsi-
cherheit mit der noch recht hohen
Chance auf einen geordneten Aus-
tritt nicht besser, als es ein Schei-
tern des Abkommens am Samstag
gewesen wäre?“, fragte DIHK-
Hauptgeschäftsführungsmitglied Il-
ja Nothnagel. Lieferketten und Ge-
schäftsbeziehungen seien gerade
bei den stark exportorientierten
deutschen Betrieben langfristig
ausgerichtet. Unsicherheit schade
da natürlich. „Ein Brexit mit Ab-
kommen könnte die negativen Fol-
gen für deutsche Unternehmen
aber abfedern“, sagte Nothnagel
dem Handelsblatt.
DIHK-Präsident Eric Schweitzer
hatte zuvor darauf hingewiesen,

dass auch der harte Brexit noch
immer nicht vom Tisch sei. „Für
die Unternehmen drohen Störun-
gen in den Wertschöpfungs- und
Lieferketten durch die Einführung
von Zöllen und Zollkontrollen an
den Grenzen“, sagte er. Der deut-
sche Außenhandel mit Großbri-
tannien sei seit dem Brexit-Refe-
rendum bereits deutlich rückläu-
fig. „Der DIHK rät Unternehmen
mit Geschäftsbeziehungen zum
Vereinigten Königreich dringend,
sich mithilfe der Brexit-Checkliste
auf den Brexit vorzubereiten“,
mahnte er.
Auch der deutsche Handelsver-
band BGA forderte Geduld von den
Europäern. „Obwohl das Verhalten
Großbritanniens extrem nervt, gilt
es nun, auf europäischer Seite auf
die Zähne zu beißen und nicht die
Geduld zu verlieren“, sagte BGA-
Präsident Holger Bingmann. Die
schlechteste aller möglichen Varian-
ten wäre ein chaotischer Brexit oh-
ne Abkommen. Die weitere Verzö-
gerung sei aber auch keine gute
Nachricht. „Leidtragende sind ein-
mal mehr die Menschen, aber na-
türlich auch die Unternehmen.
Denn damit verlängert sich der läh-
mende Schwebezustand mit seinen
negativen Auswirkungen auf die
Wirtschaft dies- und jenseits des Ka-
nals.“ dri

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Der Brexit-Streit
MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202

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