Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

David McAllister


„Es steht Spitz auf Knopf


in London“


David McAllister besitzt neben der


deutschen auch die britische Staats-


bürgerschaft und gilt als Kenner der


innenpolitischen Verhältnisse im


Vereinigten Königreich. Der Christ-


demokrat war von 2010 bis 2013


niedersächsischer Ministerpräsi-


dent und zog 2014 ins Europaparla-


ment ein. Seit drei Jahren leitet er


in der EU-Volksvertretung den Aus-


schuss für Außenpolitik.


Herr McAllister, dreimal hat das


Unterhaus den Brexit-Vertrag


schon durchfallen lassen. Wird das


nächste Woche zum vierten Mal


passieren?


Das ist schwer einzuschätzen. Vor-


hersagen zur britischen Politik sind


immer gewagt, selbst wenn man sie


nur 48 Stunden vorher trifft. Dass


am Samstag ein Antrag auf Ver-


schiebung der Abstimmung gestellt


und eine Mehrheit finden würde,


damit hat vorher auch nicht jeder


gerechnet.


Wie wird es nun weitergehen im
britischen Parlament?
Offenbar will Premierminister
Johnson schon am Montag die im-
plementierende Gesetzgebung für
den Austrittsvertrag in das Parla-
ment einbringen. Am Montag oder
am Dienstag könnte es zu einer
Abstimmung kommen. Aber hun-
dertprozentig vorhersagen kann
man nichts. Man weiß ja nicht,
welche Anträge die Opposition
noch einbringen und welche Ab-
stimmungen der Speaker genehmi-
gen wird.

Halten Sie es überhaupt für mög-
lich, dass Johnson das Abkommen
durch das Parlament bringt?
Möglich ist das. Vielleicht ist Boris
Johnson seinem Ziel am vergange-
nen Samstag sogar ein Stück näher
gekommen. 306 Abgeordnete hat
er schon an Bord. Unter den Parla-
mentariern, die am Samstag für
eine Verschiebung gestimmt ha-

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament hält es für möglich,


dass das Unterhaus den Brexit-Vertrag nächste Woche bewilligt.


ben, gibt es einige, die den Vertrag
befürworten wollen. Johnson
kommt also jetzt in die Nähe der
erforderlichen rund 320 Ja-Stim-
men. In London steht es Spitz auf
Knopf. Auf jeden Fall werden wir
noch dramatische Abstimmungen
erleben.

Johnson hat eine Verlängerung der
britischen EU-Mitgliedschaft bean-
tragt und sich zugleich mit einem
zweiten Brief wieder davon distan-
ziert. Was soll die EU mit dieser wi-
dersprüchlichen Botschaft anfan-
gen?
Dass Johnson den Verlängerungsan-
trag nicht unterschrieben und die
Verlängerung in einem zweiten
Brief abgelehnt hat, könnte noch
ein juristisches Nachspiel haben.
Ich könnte mir vorstellen, dass eini-
ge britische Parlamentarier vor Ge-
richt klären wollen, ob Johnson sich
damit rechtskonform verhalten hat.
Schließlich hat ihm das Parlament

David McAllister:
„Die EU sollte sich
nicht unter Druck
setzen lassen.“

Stefan Boness / VISUM

per Gesetz den Auftrag erteilt, ei-
nen Verlängerungsantrag in Brüssel
zu stellen.

Sollte die EU die Verlängerung be-
willigen? Es wäre immerhin schon
die vierte ...
Die EU-27 sollten sich nicht unter
Zeitdruck setzen lassen. Bevor die
Staats- und Regierungschefs eine

% &! #'!


! % )'%&!!


))! +"! )'"&$


! ! "%'&%''


! %'&'"!$


 !       


  "  "  "  


Der Brexit-Streit
MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202

6


Anzeige

Free download pdf