Der Spiegel - 26.10.2019

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Kultur

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D


as Haus Windsor, es zittert, aber wankt es schon?
Die Aufregung im Königreich ist groß, die Stim-
mung besorgt. Von der konservativen »Times«
bis zum progressiven »Guardian«, vom schlich-
ten Yellow-Press-Leser bis zum vermeintlichen Insider der
Hofberichterstattung – man hat eine Meinung und, vor
allem, ein Gefühl. In diesem Fall: kein gutes.
Eine knappe Woche liegt die Ausstrahlung eines Films
im britischen Fernsehen zurück, der die Reise der jüngs-
ten Royal Family nach Afrika zeigt: Prinz Harry, 35, seine
Frau Meghan, 38, und Baby Archie, 5 Monate. Sie sind
bei Aids-Hilfe-Initiativen zu sehen, in prekären Wohnvier-
teln in Kapstadt, bei einer NGO für junge Mädchen, die
Selbstverteidigung lernen. Im Naturschutzpark in Bots -
wana und einem Krankenhaus für Landminenopfer in
Angola, das nach Harrys Mutter, Lady Diana, benannt ist.
Das junge Paar im Gespräch mit zutraulichen Kindern
und engagierten Lehrern, zu Hause bei einer muslimischen
Familie und mit dem emeritierten Erzbischof Desmond
Tutu am Altar. Mission accomplished: das Geld der briti-
schen Steuerzahler effizient investiert
in Charity und Glamour im dynami-
schen Gleichgewicht.
Wären da nicht diese fatalen Sätze.
Nach dem Verhältnis zu seinem Bru-
der William, 37, befragt, gibt Harry
zur Antwort, es gebe da eben, wie in
jeder Beziehung, gute und weniger
gute Tage. Man sei derzeit »auf unter-
schiedlichen Wegen«, aber immer
füreinander da. Meghan auf die Frage,
wie es ihr gehe: »Nett, dass Sie fragen. Das kommt nicht
oft vor.« Es sei eine harte Zeit gewesen, hinter den Ku -
lissen. »Ich war darauf vorbereitet, dass es nicht einfach
sein würde. Aber ich dachte, es liefe wenigstens fair. Ich
war naiv. Ich komme aus den USA, da gibt es diese Art
von Presse nicht.« Ob man, so der Interviewer, das
so verstehen könnte, dass es ihr nicht wirklich gut gehe?
Was sie klar bestätigt.
In der nicht royalen westlichen Welt würden Äußerun-
gen wie diese als realistisch, sogar rücksichtsvoll durch -
gehen. Auch in der historischen Skala britischer Königs-
häuser, reich an Mord, Intrige und Exzentrik, nehmen
sich solche Sätze milde aus. Auf der bürgerlichen Gold-
waage dürften sie erst recht als höflicher Feinstaub gelten.
Doch hier sind weder William Shakespeare noch der
britische Durchschnitts-Smith der Maßstab, sondern das

beispiellose Training in Selbstverleugnung und Haltung,
wie es seit Queen Victoria für die Windsors gefordert ist:
mehr als 63 Jahre lang Oberhaupt des Empire, zeremoniel-
le Untadeligkeit fast jederzeit und überall. Einweihungen,
Parlamentssitzungen, Schiffstaufen zwischen Bombay
und Edinburgh, Neuseeland und Südafrika, Kanada und
Britisch-Guayana, das war das öffentliche Leben Victorias.
Das in seiner Untadeligkeit noch übertroffen wird von
Queen Elizabeth II., mit bald 68 Jahren auf dem Thron
dienstälteste Monarchin der Gegenwart und eine Ver -
körperung von Duldungsfähigkeit und Disziplin, die selbst
radikalen Anti-Royalisten Respekt abnötigt.
Der Zweite Weltkrieg, die erste existenzielle Bedrohung
der Insel seit der Invasion der Normannen vor knapp
tausend Jahren, gab der »Firma«, wie man die Windsors
gern nennt, Gelegenheit zu zeigen, wozu eine königliche
Familie taugt: in Buckingham Palace zu bleiben, zumin-
dest offiziell, während die deutschen Bomben fallen, und
mit diskretem Stolz die zivile Seite der Churchill-Losung
»We shall never surrender« zu verkörpern. Elizabeth,
inzwischen 93, war damals ein Teenager. Unter historisch
dramatischen Bedingungen erwarb sie jene Tugend, die
wohl ihre wichtigste ist, die legendäre »stiff upper lip«.
Genervtsein, Überforderung, Rührung oder Zorn für sich
zu behalten, die Würde jedem Selbstausdruck vorzu -
ziehen. Und insofern ist es eben doch eine Revolution, die
Meghan, Duchess of Sussex, geborene Markle, im briti-
schen Fernsehen mit zwei Sätzen anzettelte: Sie habe ver-
sucht, sich diese Kompetenz anzueignen. Sie glaube aber,
das richte inneren Schaden an. Mit anderen Worten: Sollte
ich wählen müssen zwischen dem Heil meiner Seele und
dem des Königreichs, dann wäre mir die Seele lieber.
Dabei ist Meghans Seele nach dem Arbeitsvertrag mit
der Firma zwar ihre Privatsache. Ein neutral liebenswür-
diges Auftreten aber die Leistung, die sie nun mal erbrin-
gen muss. Ihre Schwägerin Kate, 37 und Mutter von drei
Kindern, ist darin royale Spitzenkraft. Die Gattin des
nächsten oder auch übernächsten Thronfolgers – je nach-
dem, ob Prinz Charles seine Mutter beerbt oder zuguns-
ten Williams verzichtet – lässt außer Wohlerzogenheit
und einer gewissen Vorliebe für Mantelkleider keinerlei
Persönlichkeit erkennen. Die gebürtige Britin, Tochter
wohlhabender Unternehmer, hat in einer langen Ver -
lobungszeit offenbar rückstandsfrei inhaliert, woraus ihr
Job besteht: je nach Anlass freundlich oder ernst in
Pumps zu balancieren. Die »wahre« Kate spielt dabei
keine Rolle, und inzwischen hat sogar die Yellow Press
aufgehört, nach ihr zu suchen.

M


eghan hingegen trat in das Königshaus mit der
Botschaft ein: Ich bin schon wer. Die Tochter
einer afroamerikanischen ehemaligen Sozial -
arbeiterin und eines Filmbeleuchters hatte sich
in ihrer Heimat Los Angeles durch Begabung, Fleiß und
Ehrgeiz auf eigene Füße gestellt. Als sie Harry kennen-
lernte, war sie eine millionenschwere Fernsehschauspie -
lerin und Botschafterin diverser gemeinnütziger Orga -
nisationen, unter anderem in Afrika – das Idealbild einer
emanzipierten, charismatischen Frau, für die Diversity
und Veganismus so selbstverständlich sind wie das tägli-
che Yogaprogramm. Als Influencerin in den sozialen Netz-
werken mit vier Millionen Followern nutzte sie ihren Ein-
fluss für Geplauder über Konsum wie für Einblicke in ihre
Psyche, die den Charme des Offenherzigen mit morali-
schen Werten verbanden. Hier ist eine, so der glitzernde

Elke Schmitter


Heute keine


Königin


EssayWie authentisch darf die Royal Family


sein? Wie viel Gefühl darf sie preisgeben?


Prinz Harry und Herzogin Meghan testen


gerade die Grenzen aus.


Wofür waren die


Windsors da? Um im


Palast zu bleiben,


wenn die deutschen


Bomben fallen.


DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019
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