Der Spiegel - 26.10.2019

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Miami in dem Jahr die Finals ge-
spielt haben, saßen die Miami-
Fans beim Freiwurf mit David-
Hasselhoff-Gesichtern aus Pap-
pe da und haben versucht, mich
aus dem Konzept zu bringen.
SPIEGEL:Um den Kopf freizu-
bekommen, haben Sie auch mit
dem Mentaltrainer Ihres Teams
gearbeitet?
Nowitzki:Mit Don Kalkstein, ja,
das ist ein supernetter Kerl. Der
ist für alles ansprechbar gewesen
und hatte Schweigepflicht gegen-
über dem Coach. Wenn ich mal
zu ihm bin und gesagt habe, puh,
mit den Kids zu Hause ist es ge-
rade anstrengend, da ist der
nicht gleich zum Coach und hat
gesagt: Ich weiß, warum der
Dirk nicht gut spielt. Der hatte
immer ein gutes Feeling. Wenn
ich mal zwei, drei schlechte Spie-
le hatte, hat er einfach gefragt,
ob wir mal essen gehen wollen.
SPIEGEL:Wie haben Sie ver-
sucht, vor Spielbeginn den Kopf
freizukriegen, damit Sie sich da-
rauf fokussieren können?
Nowitzki:Die Erfahrung hilft.
In der Routine zu sein, das zu
tun, was man kann und liebt.
Eine meiner besten Play-off-Serien war
die, als der ganze Tumult in meinem Pri-
vatleben war (Nowitzkis damalige Verlobte
hatte sich als Betrügerin entpuppt, die meh-
rere Namen trug und mit Haftbefehlen ge-
sucht wurde –Red.) Da war ich alles andere
als frei im Kopf. Jede Sekunde vor dem
Spiel und jede Sekunde danach habe ich
daran gedacht. Und trotzdem habe ich es
verstanden, mich voll zu fokussieren. Zwei
Stunden auf dem Spielfeld nicht daran zu
denken, das war für mich in dem Moment
Freiheit.
SPIEGEL:In Ihrer Biografie »The Great
Nowitzki« heißt es, Sie hätten immer ver-
sucht, sich Freiräume zu schaffen.
Nowitzki:Wir haben das immer Freiheits-
grade genannt. Es ging darum, zum Bei-
spiel Interviews und Werbeauftritte in ein
paar Tage zu bündeln, die dann vollge-
packt waren, aber danach war auch wieder
ein paar Wochen Ruhe, damit ich mich
aufs Training konzentrieren oder in den
Urlaub fahren konnte.
SPIEGEL:Wie viel Freiheit hat Ihnen der
Alltag als Basketballprofi gelassen?
Nowitzki:Nicht so viel. Aber ich hätte es
nicht so lange gemacht, wenn mir das kei-
nen Spaß gemacht hätte. Klar, vor allem
am Schluss, als mir alles mehr wehgetan
hat, da musste ich mich schon antreiben.
Aber so zwischen 20 und 30, da wollte ich
selbst bei gefühlten 38 Grad in der Halle
drei, vier Stunden trainieren. Da habe ich
nur geölt, mich weiter verbessert, auf die


großen Turniere, die EM, WM, die Olym-
pischen Spiele vorbereitet. Das war für
mich Freiheit. Das war genau das, was ich
wollte.
SPIEGEL:Wie sieht Ihr Alltag nun aus?
Nowitzki:Ich genieße es gerade, mal Zeit
für meine Familie zu haben. Die Kids ste-
hen im Vordergrund. Wenn sie in der Früh
alle im Kindergarten sind, gehe ich meist
rüber ins Büro meiner Stiftung. Neulich
hatten wir zum Beispiel ein Tennisevent,
ein Turnier, das wir in vier Wochen orga-
nisiert haben. Da war ich in jedem Meeting
dabei. Das hat mir total Spaß gemacht.
Früher habe ich immer gesagt, ich muss
trainieren.
SPIEGEL:Diese Ausrede entfällt jetzt.
Nowitzki:Damit komme ich auch zu Hau-
se bei meiner Frau und meinen Kindern
nicht mehr weiter.
SPIEGEL:Sie haben drei Kinder im Alter
von sechs, vier und zwei Jahren. Was wol-
len Sie denen vermitteln?
Nowitzki:Meine Eltern sind da ein super
Vorbild. Sie hatten eine gute Mischung aus
Strenge und Spaß. Ich konnte mit meinem
Vater jeden Blödsinn machen, aber wenn

er gesagt hat, jetzt langt es, jetzt
machen wir das, dann war das
so. Mal schauen, ob wir das hin-
kriegen.
SPIEGEL:Und darüber hinaus?
Nowitzki:Jetzt gerade sind wir
mit ihnen zwei Monate durch
Europa gereist. Wir wollen
ihnen noch viel ermöglichen,
bevor die Schule losgeht. Wir
wollen sie bei allem unterstüt-
zen, auch sportlich. Sie können
gerne alles ausprobieren, nur
bei American Football würde
ich sagen: Das machen wir jetzt
nicht. Zu allem anderen fahre
ich sie hin.
SPIEGEL:Wie es scheint, haben
Sie den Übergang ins Renten -
alter perfekt gemeistert. Sind Sie
wirklich noch nie in ein Loch ge-
fallen?
Nowitzki:Damit hatte ich ei-
gentlich direkt nach meinem
Karriereende gerechnet. Aber
es war echt viel los. Ich bin viel
geehrt worden von unterschied-
lichen Organisationen, dann
war ich in China bei der Basket-
ball-WM. All das wird aber na-
türlich ru higer werden. In zwei,
drei Jahren wird keiner mehr sa-
gen: Komm, jetzt laden wir den Dirk noch
mal ein.
SPIEGEL:Wie oft hatten Sie seit Ihrem letz-
ten Spiel noch einen Basketball in der
Hand?
Nowitzki:Ich glaube, einmal. Ich hatte im
Sommer für einen Sponsor ein Fotoshoo-
ting. Sie wollten, dass ich Basketball spiele,
drei gegen drei, mit 20-Jährigen! Die habe
ich angeguckt und gesagt: vergesst es. Ers-
tens hatte ich mir ordentlich was angeges-
sen und zweitens monatelang keinen Ball
in der Hand. Das letzte Jahr war echt
schwer mit den Schmerzen im Fuß, da hab
ich echt damit abgehakt.
SPIEGEL:Sie hatten eine Knöchelverlet-
zung. Wie akut sind die Schmerzen noch?
Nowitzki:Ich habe Arthrose in dem Fuß.
Deshalb kann ich auch nicht so aktiv sein,
wie ich mir das vorgestellt hatte. Das
macht mir ein bisschen Sorgen.
SPIEGEL:Kann man da was machen?
Nowitzki:Ich höre mich gerade um, was
ich für Optionen habe, werde aber nichts
schnell entscheiden. In der Zwischenzeit
versuche ich mithilfe von regelmäßigen
Behandlungen, dass ich das Leben genie-
ßen, wandern, Ski fahren, Tennis spielen
kann. Ein Basketballfeld werde ich nie
mehr hoch- und runterrennen. Die Zeiten
sind vorbei. Und das will ich auch gar nicht
mehr. Ich bin über Basketball hinweg.
SPIEGEL:Herr Nowitzki, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

130 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


MATTHIAS ZIEGLER
Mentor Geschwindner, NBA-Profi Nowitzki 2004
»Wollt ihr heute in die Halle oder ins Schwimmbad?«

»Ein Basketballfeld werde


ich nie mehr hoch- und


runterrennen. Die Zeiten


sind vorbei.«

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