Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

Nachdenken: Wohin würde man einen
Ausflug mit Kindergartenkindern machen,
um ihnen zu zeigen, wo unser Essen her-
kommt? Auf eine Streuobstwiese, in einen
Bauerngarten oder in ein Schlachthaus,
wo letztlich auch ein Biobauer seine Tiere
abliefert?
Brigitte Otterstein, Bernshausen (Nieders.)


Nicht (nur) die Wurst ist verdorben, es ist
das Land.
Peter Lattmann, Hamburg


Die heilige Kuh, die zu schlachten nie-
mand sich traut, ist der neoliberale Irrglau-
be von der »freien Marktwirtschaft« im
Lebensmittelbereich. Dem erliegen nicht
nur zahlreiche Politiker, sondern auch die
Funktionäre des Deutschen Bauernverban-
des (DBV). Tierleid, Umweltverschmut-
zung und Klimawandel sind ein Teil der
Folgen. Seit Jahren weist unsere Dach -
organisation auf diese Missstände hin: Die
Marktwirtschaft funktioniert längst nicht
mehr, weil Oligopole die Preise bestim-
men. Darunter haben zuallererst die Tiere
zu leiden und ebenso die Landwirte, die


Tiere nicht anständig halten können, weil
der Preisdruck sie zwingt, industrielle
Mastmethoden anzuwenden. Doch statt
dass der mächtige Lobbyverband DBV da-
gegen vorgeht, propagiert er globale Märk-
te und betet das Mantra vom »Wachsen
statt Weichen«. Dies heizt den Wettbe-
werb und damit den Preiskampf zusätzlich
an. Schuld daran wird dem Verbraucher
gegeben, der es eben billig möge. Dabei
wird der Verbraucher, wie der SPIEGEL
zu Recht bemerkt, geradezu gezielt desin-
formiert, auch mit ungeschützten Produkt-
bezeichnungen wie »Premium« und »De-
likatess«. Und Politiker trauen sich nicht
an die Lösung: strenge Auflagen, die zu
einer Erhöhung der Lebensmittelpreise
führen würden. Der Wähler könnte ja ver-
schreckt werden.
Andreas Grede, Vorstand und Sprecher Aktions -
gemeinschaft Agrarwende Nordhessen e.V., Kassel


Um den inzwischen gesundheitsgefährden-
den Fleischkonsum zu reduzieren, müssen
wir endlich weg von der Massentierhal-
tung. Dies geht aber nur, wenn Fleisch rich-
tig teuer wird, sodass die Bauern wieder
Klasse statt Masse anbieten können. Au-
ßerdem brauchen wir, wie auf Zigaretten-
schachteln, an jeder Fleischtheke und auf
jeder Fleischverpackung abschreckende
Bilder von dem unsäglichen Leid der Tiere,
die für das, was wir uns gedankenlos auf
den Teller laden, einen sinnlosen Tod ge-
storben sind. Der Fleischkonsum würde
mit Sicherheit signifikant zurückgehen,
und die Bauern und fleischverarbeitenden
Betriebe könnten wieder hygienisch, sau-
ber und sicher produzieren.
Anne Essmann, Berlin

Wer tatsächlich glaubt, beim Metzger um
die Ecke weniger belastetes Fleisch zu kau-
fen, der irrt. Um die vielfältigen Wünsche
der Kunden bedienen zu können, muss
auch er viele seiner Produkte fremd bezie-
hen, also einkaufen. Dies geschieht sehr
häufig in Großhandelsmärkten, die wie-
derum ihre Waren aus Fleisch- und Wurst-
fabriken beziehen. Am besten ist es daher,
ganz auf Fleisch und tierische Produkte zu
verzichten: sich selbst, der Umwelt und
nicht zuletzt den Tieren zuliebe.
Sonia Lühring, Breisach (Bad.-Württ.)

Der Bericht über die Doppelvergabe des
Literaturnobelpreises ist deutlich misslun-
gen. Der in launigem Stil geschriebene Ge-
meinschaftsartikel ärgert mich sehr, da er
mehr Interesse aufbringt für das Leben der
Preisträger als für ihre Werke. Beide wer-
den als Schriftstellerin und als Schriftsteller

abgewertet. Geschmäcker sind verschie-
den, jedoch wird dieses Geschreibsel im
Jargon deutscher Bedenkenträgerschaft
dem literarischen Werk beider nicht ge-
recht. Ich erwarte vom SPIEGELeine dif-
ferenziertere Betrachtung von Handkes
und Tokarczuks literarischen Œuvres.
Joachim Wehrenbrecht, Herzogenrath (NRW)

Immerhin sind dank des Eingriffs des
schwedischen Königs die Wiederaufnahme
und der Fortbestand des weltweit wich-
tigsten Literaturpreises gesichert worden,
was wir als Hamburger Autorenvereini-
gung sehr begrüßen. Auch dass mal wieder
ein deutschsprachiger Autor ausgezeichnet
wird, ist nicht zu kritisieren. Die Bewer-
tung der politischen Aussagen von Peter
Handke und Olga Tokarczuk ist ein eige-
nes Thema. Was für Günter Grass galt, gilt
auch hier. Im Vordergrund steht die Be-
wertung ihres schriftstellerischen Werkes.
Überdies könnte der Bogen politischer Ein-
stellung kaum gegensätzlicher sein als bei
dem Österreicher und der Polin. Das mar-
kiert auch kulturelle Vielfalt in Europa und
damit einen Reichtum gegenüber man-
chem Mainstream-Würgegriff aus Wirt-
schaft und Politik.
Peter Schmidt, Hamburger Autorenvereinigung,
Wedel (Schl.-Holst.)

Der SPIEGELmeint, Peter Handke vertre-
te keine Minderheit und sei daher kein
»politisch korrekter« Nobelpreiskandidat.
Wie immer wieder ist auch dies nicht ein-
mal eine Mutmaßung, sondern Unkennt-
nis. Handke ist Kärntner Slowene und des-
halb Angehöriger einer österreichischen
Minderheit.
Prof. Dr. Janko Ferk, Klagenfurt (Österr.)

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Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe
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sowie digital zu veröffent lichen und unter
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Briefe

MAXIMILIAN VON LACHNER / VISUM
Fleischregal in Großmarkt

SERGE PICARD / AGENCE VU / LAIF
Preisträger Handke

Korrektur


zu Heft 43/2019, Seite 28: »Mehr Gnade als Recht«
Die Mutter von Siegfried Kirschenbaum ist nicht in einem »polnischen Lager« gestorben,
sondern in einem deutschen NS-Lager in Polen.


Er ist ein Dichterfürst!
Nr. 42/2019 Die umstrittene Doppelvergabe
des Literaturnobelpreises an
Olga Tokarczuk und Peter Handke

Peter Handke hat erst die etablierten
Schriftsteller beleidigt, dann das Publikum
beschimpft und später Herrn Milošević
verteidigt – da erscheint der Literatur -
nobelpreis ja geradezu folgerichtig. Und
ist aufgrund seines Könnens auch durchaus
verdient. Aber der begnadete Wortakro-
bat Handke hat sich leider im Gestrüpp
der Politik verlaufen.
Hans-Georg Gohlisch, Wuppertal

Meine Muttersprache ist Ungarisch, als
Erwachsene habe ich Deutsch gelernt. Es
war ein Schlüsselerlebnis, unter anderem
»Das Gewicht der Welt« zu lesen. Wie
poetisch, wie schön Deutsch sein kann!
Deshalb erfuhr ich mit echter Freude, dass
Handke den Nobelpreis erhält. Ihre vier
Autoren, die die kolportierten dunklen
Seiten Handkes beleuchteten, ändern mei-
ne Meinung nicht. Er ist und bleibt ein
Dichterfürst!
Maria Adam, Linz (Österr.)
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